Aus alt mach neu – Die Radlretterei

 

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Unbenutze Räder, die in Keller und Hinterhöfen Münchens verrosten, sollen wieder neue Liebe erfahren. Und darum kümmert sich die Radlrettei, gegründet von Heidi und Horand. Aus meist gespendeten, ungenutzten Rädern, egal ob noch funktionstüchtig oder absolut schrottreif, zaubern die beiden wieder benutzbare und wunderschöne Drahtesel. Und diese sind neben ihrer Nachhaltigkeit auch noch echte Unikate- sogar mit eigenem Namen und eigener Geschichte. Nach der Restauration werden die aufgepeppelten Räder weiterverkauft. 20 Prozent des Erlöses gehen an soziale Projekte. Eine tolle Sache, zu der wir Heidi und Horand ein paar Fragen gestellt haben.

Woher kommt der Name Radlretterei?

RADLRETTEREI – Der Name entstand zufällig aus einer Wortspielerei. Horand hat, weil wir immer mal wieder knapp bei Kasse waren, auf Ebay-Kleinanzeigen Dinge günstig eingekauft oder bei ‚zu verschenken‘ gefunden, die er dann in liebevoller Handarbeit aufgepeppelt und wieder hergerichtet hat, entweder für uns privat, oder um sie gewinnbringend weiterzuverkaufen. Da das immer gut geklappt hat und es ihm dieses ‚Aus alt mach neu‘ – Spielchen großen Spaß gemacht hat, hab ich ihm eines Tages beim Radln über die Theresienwiese vorgeschlagen, diese ‚Rettereisache‘ einfach gewerblich zu machen, anfangen konnte er mit den schrottreifen Rädern in unserem Keller.

Lange schon haben wir nämlich nach einer authentischen und selbstständigen Berufung gesucht und beim Namen der Retterei ist es uns wie Schuppen von den Augen gefallen: Das ist es. Das entspricht total unserer Lebenseinstellung: Müll vermeiden, Ressourcen schonen, aus alten oder kaputten Dingen neue bauen anstatt wegwerfen und neu kaufen… Und Radl – klar, wir sind (Wahl-)Münchner. RRR, die RADLRETTEREI klingt toll!:)

Was ist neu, anders und einzigartig an eurem Projekt?

Viel!

Einzigartig ist, dass alle Räder bei uns zu Unikaten gemacht werden – vom Look her, den wir ihnen verpassen, aber auch durch die jeweilige Geschichte, die uns vom Spender erzählt wird und die von uns auf ein geupcyceltes Hangtag (hängendes Etikett) am Radl befestigt und erzählt wird. Wir freuen uns über jedes neu vermittelte Rad und darüber, wenn uns aus dem zweiten oder dritten Leben eines Rades neue Geschichten erzählt werden.

Die RADLRETTEREI schafft in jeder Richtung eine Win-win-Situation, denn alle Beteiligten erleben einen Vorteil: Der Spender wird seine alten Dinge und somit eine Sorge mehr los, wir Retter erhalten wertvolle Rohstoffe und Arbeitsmaterial und der Käufer erhält ein fahrbereites, cooles Unikatradl mit einzigartiger Geschichte zu einem total fairen Preis. Alle unsere Räderpreise bewegen sich zwischen 60 und 220 Euro – auch wenn man knapp bei Kasse ist, kann man auf einem unserer aufgewerteten Schätze die Isar rauf und runter radln.

Einzigartig ist, dass wir jede Schraube wiederverwenden und uns Arbeitsmaterialien und Zubehör hauptsächlich gespendet werden – somit muss nicht immer alles neu gekauft werden, wo doch sowieso in jedem Haushalt Ersatz und Einzelteile rumliegen und nicht mehr gebraucht werden. Wir arbeiten mit einem ganzheitlichen Wertstoffkreislauf und UPcyceln mehr als wir REcyceln.

Der Laden, den wir gerade mittels Crowdfunding auf die Beine stellen möchten, wird klimaneutral, mit Ökostrom von Polarstern, weitestgehend müllfrei betrieben und mit einer kleinen bio vegetarisch/veganen Gastro ausgestattet sein, die auf FairWertung und Mehrwegsysteme baut. Außerdem ist das Konzept grenzenlos – so planen wir beispielsweise auch diverse Workshops zu Do-it-yourself und Upcycling in unser Angebot mit ein, um Ideen für einen nachhaltigeren Lebensstil gleich mitgeben zu können.

Wie viel Zeit habt ihr in euer Projekt investiert und werdet ihr investieren?

Hui. Seit Februar 2017 machen wir die RADLRETTEREI offiziell hauptberuflich. Da geht schon einiges an Zeit drauf – Die Orga, die Retterei, das Richten in der Freizeit, das Aufhübschen. Aber auch die handgemachten Visitenkarten und Hangtags, Kommunikations- und Kooperationswege ausbauen, die Homepage, Fanpage bei Facebook und das Crowdfunding Projekt sind zeitintensiv. Dabei ist aber eins ganz wichtig: Wir sind mit Herz und Seele dabei und fühlen uns total befreit durch den Schritt in die Richtung Authentizität auch im Beruf… das ist es total wert!

Noch steht uns ein zeitintensiver Weg bevor mit dem Crowdfunding bei place2help und dann natürlich der Umsetzung mit eigenem Laden – wir sind euphorisch und freuen uns drauf!

 Wo findet man euch?

Noch arbeiten wir in unserem privaten Hof und in diveresen privaten Kellern im Westend, wo wir die Räder auch lagern.

Wer also jetzt ein Radl sucht, schaut sich die auf unserer Homepage an und schreibt oder ruft uns an. Alle Kontaktdaten findet man auf unserer Homepage oder auf Facebook. Wir machen einen Termin zum Proberadln aus und treffen uns bei uns im Hof an der Schwanthalerhöhe. Radlspenden holen wir gerne mit unserem Lastenradl ab, sie können aber natürlich auch vorbeigebracht werden, denn ein Auto haben wir nicht. Für Radlspenden außerhalb machen wir auch gern einen Sammeltermin ab und holen dann alles mit einem geliehenen Sprinter in einem Aufwasch ab.

Wer unterstützt euch?

Radlspenden, Zubehör und Arbeitsmaterial erhalten wir hauptsächlich von Privatleuten, die unsere Idee begeistert. Alexandra Partale und Alka Celic von place2help unterstützen uns mit unserer Crowdfunding Kampagne, genauso wie die AWM und einige andere Projekte hier in München, die Nachhaltigkeit leben. Unsere Wohnungsgenossenschaft sitzt mit uns im Boot sowie die Polizei München, bei der wir unsere Räder überprüfen und registrieren lassen. Außerdem natürlich alle Nachhaltigkeitsbewussten und unsere Freunde und Familie, die uns beispielsweise beim Business Plan schreiben helfen oder mit unserer Tochter auf den Spielplatz gehen, damit wir eine weitere wertvolle Lücke zum werkeln haben – und hoffentlich bald auch ihr! 😉

Was macht ihr, wenn ihr nicht an eurem Projekt arbeitet?

Die RADLRETTEREI und viele der aktiven Tätigkeiten dabei lassen sich sehr gut mit unserem Alltag, auch mit Kindern, verbinden. Es ist keine Arbeit wie jede andere, wir haben festgestellt, dass durch die RADLRETTEREI alles immer mehr im Fluss ist: Alltag, Familie, Freunde und Arbeit, Genießen und Lachen, Werkeln und Retten, das gehört alles zusammen, weil das nicht strikt getrennt ist durch fixe Zeiten oder Örtlichkeiten, an die man gebunden ist. Somit können wir durchaus auch mit unserer kleinen Tochter im Lastenrad auf Rettereitour fahren oder im Hof werkeln, was auch ihr Spaß macht.

Wir verstehen eure Frage aber durchaus 😉 Daher:

Wenn wir nicht richten, retten, basteln oder werkeln, kutschiert Horand uns Mädls gerne mit einem Eis auf der Hand im Lastenradl durch die Gegend ohne Ziel. Oder wir gehen mit dem Laufrad, Skateboard oder Radl zu den Wildgänsen im Westpark und erkunden die Blumen und das Kleingetier, das unserer Tochter ungemein zu imponieren scheint. Wir gehen klettern auf dem Affenspielplatz oder besuchen Freunde, schauen einen Film im Programmkino oder skaten eine Runde auf der Theresienwiese oder an der Schnecke beim Verkehrsmuseum – das machen wir alle gern und es finden sich immer noch ein paar begeisterte, die mit Horand Tricks üben, denn er ist der einzige von uns, der das richtig gut kann.

Alles in allem sind wir eine Familie, die gern zusammen Zeit verbringt, dabei ist das WOBEI meist gar nicht so wichtig.

Was liebt ihr an München besonders?

Wir lieben München. Wir lieben es wirklich. Horand und ich sind beide Wahlmünchner, aber greifbar ist nicht nur EIN Grund. Wir lieben es, weil es groß ist. So groß, dass wir immer noch nach so vielen Jahren, die wir bereits hier leben, an einem beliebigen Ort abgesetzt werden können und uns erstmal orientieren müssen, um wieder nach Hause finden zu können. Wir lieben es daher auch, dass wir immer noch Orte, Projekte, Viertel, Läden, Cafés und Menschen, Veranstaltungen und Organisationen entdecken, die neu für uns sind und uns deshalb immer wieder neue Euphorie für München spüren lassen.

Wir lieben es aber auch, weil es so klein sein kann – denn jedes Viertel ist eine Kleinstadt für sich. Das Westend, in dem wir wohnen – und allein dieses Viertel wird von Jahr zu Jahr schöner, sozialer, bunter, kreativer und offener. Das finden wir toll! Wenn wir das Westend verlassen, lieben wir die Vielseitigkeit, die man in den einzelnen Vierteln findet und sich wie im Urlaub fühlt, weil man in so unterschiedliche Welten eintauchen und soviel Wertvolles und Neues entdecken kann.

Neu für uns entdeckt haben wir z.B. den Familienbaum am Kolumbusplatz, da werden wir sicherlich noch oft zu finden sein – und wir sind offen für weitere, kreative Projekte und Plätze hier in München…

Wir lieben München auch, weil es so sauber ist und Wert auf Details gelegt wird. Es gibt viele Orte in München, an denen man Achtsamkeit und Offenheit spürt für Mensch, Umwelt und den Rest der Welt.

Wir haben das Gefühl, dass in keiner anderen deutschen Stadt die Entwicklung zu einem nachhaltigen Lebensstil so präsent ist und statt leerer Phrasen tatsächliche Veränderungen willkommengeheißen und herbeigeführt werden. Das finden wir wunderbar.

Eure Infos im Netz?

Brandaktuell und vor allem lebenswichtig, unsere Crowdfunding-Kampagne auf place2help:

und generell: www.radlretterei.com und auf Facebook.

Ein Song, der mit eurem Projekt zu tun hat?

Ein Lied? Die Frage gefällt uns. Es gibt eine Analogie zwischen diesem Lied und der Idee der RADLRETTEREI, denn beides konnten wir lange nicht finden:

Egyptian Reggae von Jonathan Richman & The Modern Lovers

Als wir uns kennenlernten, hat Horand mir einen Teil dieses Liedes vorgepfiffen mit der Frage, ob ich wüsste, wie es heißt, weil er es seit knapp 20 Jahren suchte. Wusste ich nicht. Kennt ihr das, wenn euch ein Titel oder ein Name auf der Zunge liegt, dieser aber immer wieder entwischt und ihr den einfach nicht greifen könnt? Entnervend!

Jedem meiner Freunde pfiff er dieses Lied vor in der Hoffnung, auf jemanden zu treffen, der den Titel seines Ohrwurms kennen könnte.

Genauso verhält es sich mit der Idee der RADLRETTEREI: Wir waren uns beide schon jahrelang klar darüber, dass wir auf der Suche nach einer Berufung und nicht nach einem Beruf sind. Was genau der Inhalt dieser Berufung ist, wurde uns erst dieses Jahr bewusst – eben das im Beruf zu leben, was wir privat bereits tun und was sich genau richtig für uns anfühlt.

Dieses Lied hat uns noch ein paar Jahre als Mysterium begleitet – das Rätsel gelüftet hat ein DJ auf einer Party, auf der Horand war. Seitdem findet es sich auf jeder Mix-CD, die er verschenkt.;)

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