Graugrüner Start der Skisaison

Die Schlacht um den Ausbau des Sudelfeldes, eines traditionsreichen Skigebietes vor den Toren Münchens, haben die Umweltschützer verloren. Doch die Debatte um Sinn oder Unsinn des Skitourismus im Klimawandel geht weiter.Auf diesen Moment hatten die bayerischen Skiliftbetreiber sehnlich gewartet. Erstmals war es in der vergangenen Woche kalt genug, um die Schneekanonen anzuwerfen. Vielleicht reicht es ja noch, damit die neue Skisaison am dritten Adventswochenende starten kann. Eigentlich sollte der Pistenrummel schon am letzten Wochenende beginnen. Doch die Hänge blieben graugrün, wie schon im Jahr zuvor, als es den ganzen Winter hindurch so gut wie nicht geschneit hatte.

klima1
Das Sudelfeld bei München im Sommer. Bayerns größtes Skigebiet wird bald auch im Winter weitgehend schneefrei sein, sagen Wissenschaftler. Die Liftbetreiber ficht es nicht an. (Foto: Alois Köppl)

Dabei waren die Liftbetreiber auf dem Sudelfeld bei Bayrischzell so stolz darauf, pünktlich mit dem Ausbau des traditionsreichen, wenn auch in die Jahre gekommenen Skigebietes fertig geworden zu sein. Dazu wurde unter anderem Deutschlands größter Speichersee zur Herstellung von Kunstschnee aus dem Berg gefräst. Außerdem entstand während des Sommers ein neuer Sechser-Sessellift mit Sitzheizung und ein kilometerlanges Netz von Wasserleitungen und Stromkabeln zum Betrieb von knapp 100 Schneelanzen und Schneekanonen. Nicht kleckern, sondern klotzen, lautete die Devise.

Um die Modernisierung des Sudelfeldes tobte monatelang eine erbitterte Schlacht zwischen Naturschützern, Liftbetreibern und der Gemeinde Bayrischzell. Deren Tourismuschef Harald Gmeiner ist einer der vehementesten Verfechter des Großprojektes, das mindestens in den kommenden 30 Jahren den Wintertourismus als wichtigste Einnahmequelle des kleinen Urlaubsortes sichern soll. Trotz Klimawandels. Eine Pleite wie im vergangenen Winter wollte man nicht noch einmal erleben.

„Höhepunkt der Zerstörung der bayerischen Alpen“

Natur- und Alpenschützer sehen mit der Modernisierungsoffensive, die nächstes Jahr fortgesetzt werden soll, eine „rote Linie“ überschritten. Der Sudelfeld-Ausbau sei der „bisherige Höhepunkt der Zerstörung und Hinrichtung der bayerischen Alpen“, sagte Hubert Weiger, Chef des mächtigen Bund Naturschutz in Bayern (BN). Wer in Zeiten fortschreitender Erderwärmung noch in Schneekanonen und neue Lifte investiere, ruiniere die empfindliche Flora und Fauna der Berge, heize den Klimawandel weiter an und versündige sich an kommenden Generationen. Zusammen mit dem Deutschen Alpenverein (DAV) zog der BN vor Gericht, um einen Baustopp zu erwirken. Doch die Richter wiesen die Klage ab. Unmittelbar darauf rückten die Bagger an.

Überall im Alpenraum wird kräftig in den Ausbau von Skigebieten investiert. Alte Lifte werden durch neue, komfortablere und leistungsfähigere ersetzt. Hochmoderne Bergbahnen schaufeln Skifexe in immer höhere, mutmaßlich schneesichere Regionen. Nach jahrzehntelangem Kampf wurde erst im Dezember 2013 eine neue Bahn auf den fast 3.000 Meter hohen Piz Val Gronda in der Samnaungruppe eröffnet, bis dato ein beliebter Berg für Skitourengeher, die unberührte Natur schätzen. Viele Ausbaumaßnahmen werden als Erweiterungen oder Zusammenschlüsse bestehender Skigebiete ausgegeben. Wie jene 7,2 Kilometer lange Mega-Seilbahn, die die Liftgesellschaften von Flachau und Zauchensee im Salzburger Land planen und als „längste Drei-Seil-Umlaufbahn der Welt“ vermarkten.

Enorme Investitionen, die sich langfristig nicht rechnen

„Die Skiorte versuchen sich gegenseitig mit immer neuen Attraktionen zu übertrumpfen“, sagt Tobias Hipp, Klimaexperte beim Deutschen Alpenverein. Auf die Belange des Naturschutzes werde dabei wenig geachtet. Technisch gibt es kaum noch Grenzen. Eine Handvoll kalter Nächte reicht aus, um auch in großen Skigebieten eine künstliche „Grundbeschneiung“ zu ermöglichen. Wenn das Wasser in den Speicherseen für die Schneeerzeugung zu warm ist, werden Kühlaggregate dazwischengeschaltet.

Die Alles-ist-möglich-Mentalität bringt Umweltschützer in Rage. Kurzfristig rechneten sich die Investitionen vielleicht noch, sagt Kurt Schmid, Regionalreferent für Oberbayern beim Bund Naturschutz in München. Doch langfristig sei der Skitourismus zumindest in tieferen und mittleren Lagen der bayerischen Alpen ein Auslaufmodell. „Es wäre besser, man würde frühzeitig in Alternativen investieren, um später vielleicht die Nase vorn zu haben.“

klima2
Naturschützer protestierten immer wieder gegen den den Schneekanonen-Ausbau auf dem Sudelfeld. Aber umsonst. (Foto: Mountain Wilderness)

Einer DAV-Studie zufolge haben die allermeisten bayerischen Skigebiete keine Chance, auch nur das nächste Vierteljahrhundert zu überleben – trotz Kunstschnees. Und je wärmer es werde, je mehr Schnee erzeugt werden müsse, umso gravierender seien die Folgen für den Naturhaushalt, etwa wegen der benötigten Wassermengen oder des gigantisches Energieverbrauchs für die Schneekanonen-Armada.

Doch die Lift- und Seilbahnunternehmer schossen zurück und präsentierten Ende November ihrerseits eine Studie zu den mutmaßlichen Auswirkungen des Klimawandels auf den Skitourismus. Darin wird zwar nicht die Existenz der menschengemachten Erderwärmung an sich bezweifelt, wohl aber die Prognose, dass sich Skigebiete in tieferen Lagen schon bald nicht mehr rentierten. „Es wird auch in Zukunft noch genug kalte Nächte geben, um die Schneekanonen anzuwerfen“, sagt Hannes Rechenauer, Sprecher des Verbandes Deutscher Seilbahnen.

„Sonst fahren die Leute weiter nach Österreich“

Und was den viel kritisierten CO2-Ausstoß der für Kunstschnee benötigten Infrastruktur angehe: Bei der An- und Abreise der Skitouristen werde doch viel mehr Energie verbraucht als von den Schneekanonen. „Oder wollen Sie, dass die Leute statt ins nahe Sudelfeld weiter nach Österreich fahren oder gleich mit dem Flieger zum Heliskiing in die Rocky Mountains?“

Solcherlei Ferntourismus ist sicher nicht im Sinne des DAV, der letzte Woche in München vermeintlich „sanfte“ Alternativen zum alpinen Skitourismus präsentierte. Mit der Kampagne „Natürlich auf Tour„, einer Neuauflage der seit zwanzig Jahren laufenden Aktion „Skibergsteigen umweltfreundlich“, wollen die DAV-ler den boomenden Skitouren-Tourismus in halbwegs geordnete Bahnen lenken.

Von 1995 bis heute hat sich die Zahl der Tourengeher, die sich meist abseits der Pisten durch die winterliche Bergwelt schieben, auf 300.000 annähernd verdreifacht. Dazu kommen rund 150.000 regelmäßige Schneeschuhgeher. Mitarbeiter des DAV haben zwischen Berchtesgaden und dem Bodensee rund 180 Tourenberge mit etwa 500 Touren und Varianten abgeklappert, sensible Naturgebiete mit seltenen Tierarten wie dem Auerwild identifiziert und im Gelände sowie in einem neuen Portal im Internet markiert.

Mit „Nebelwandern“ lässt sich nichts verdienen

Mit seiner Werbung für Ski- und Schneeschuhtouren bietet der DAV den Liftbetreibern allerdings eine offene Flanke. Die verweisen nämlich gerne darauf, dass es für die Natur besser sei, wenn sich die Erholung suchenden Massen in einigen intensiv genutzten Gebieten konzentrierten, als wenn sie sich über den ganzen Alpenraum mehr oder weniger gleichmäßig verteilten.

Für Manfred Scheuermann vom DAV ist aber der „Bergsport aus eigener Kraft per se naturverträglich“, auch wenn er zugibt, dass bei immer mehr Skitourenfans die Wahrscheinlichkeit steige, dass die Empfehlungen in punkto Naturverträglichkeit missachtet würden.

DAV-Funktionär Hanspeter Mair hat noch andere Vorschläge für die Zukunft des alpinen Wintertourismus in petto: Nebelwanderungen im Bergwald etwa und Schneekristall-Beobachtung. „Wer kennt denn noch einen Schneekristall? Am Fenster haben wir das schon lange nicht mehr.“

klima3
Schneekanonen am Sudelfeld: Weil es immer weniger schneit, wird immer mehr nachgeholfen. Der Energieverbrauch heizt den Klimawandel zusätzlich an. (Foto: Mattes/Wikimedia Commons)

Dass mit solchen Angeboten das wirtschaftliche Potenzial des alpinen Skitourismus nicht aufzuwiegen sein wird, verschweigt Mair nicht. Der „wirtschaftliche Niedergang“ einstiger Skiregionen könne dadurch nicht verhindert, aber wenigstens begrenzt werden.

Bei solcherlei gut gemeinten Vorschlägen schauen Traditions-Touristiker wie Harald Gmeiner aus Bayrischzell erst etwas angestrengt zur Decke und dann aufs Handy: Ob die Temperaturen niedrig genug sind, um die Schneekanonen anzuschalten.

Kommentieren