Münchens Vision – Eine Zukunft ohne Kohle?

In Paris hat die internationale Gemeinschaft ein neues Klimaabkommen beschlossen, das die Temperaturerhöhung auf unter 2 Grad regulieren soll. Um den Schadstoffausstoß weltweit massiv zu verringern, arbeiten jetzt alle Staats- und Regierungschefs von Entwicklungs- und Industrieländern zusammen. Aller Anfang ist schwer und muss insbesondere lokal erfolgen – München galt beim Thema Ökoenergie stets als Vorreiter. Die Stadtwerke München setzten sich das Ziel, bis 2025 die ganze Stadt mit Ökostrom versorgen zu können. Dabei gibt es nur einen Haken: Im Block 2 des Heizkraftwerkes Nord (HKW Nord 2) in Unterföhring werden jährlich immer noch 800.000 Tonnen klimaschädliche Steinkohle umgesetzt. Dies entspricht einer CO2-Emission von 17% der ganzen Stadt, und ist mehr als der PKW- und LKW-Verkehr aller Münchner zusammengenommen.

 

Ein Bündnis aus über 40 Organisationen will dieses Kohlekraftwerk nun bis 2022 abschalten lassen. Dafür haben sie das Bürgerbegehren „Raus-aus-der-Steinkohle“ initiiert, das sich zum Ziel gesetzt hat, bis diesen Sommer die nötigen 30.000 Unterschriften gesammelt zu haben. Die SWM, die das HKW betreiben, stellen sich dagegen – ein Ausstieg aus der Kohle sei erst 2035 sinnvoll. Was die Befürworter des Kraftwerkes und dessen Gegner sagen, ist nun mehr zu einer einzigen Rauchwolke zusammengeschmolzen. Die fünf zentralen Fragen zum HKW Nord 2 im Überblick:

 

Stimmt es, dass das Kohlekraftwerk der Hauptumweltsünder Münchens ist?

 

Das sagen die Befürworter des Kraftwerks:

Die Befürworter des Kraftwerks und die SWM als Betreiber argumentieren, dass das Kohlekraftwerk eine sehr effiziente Energiequelle darstelle. Durch die Kraft-Wärme-Kopplung, die in dem Kraftwerk verbaut ist, kann die erzeugte Energie zu 90% genutzt werden. Außerdem verfüge es durch weitreichende Modernisierungsmaßnahmen Anfang der 90er Jahre über umweltschonende Rauchgasreinigungsanlagen und Filtertechnologien. Aufgrund dieser fortschrittlichen Techniken erhielt das HKW Nord 1993 den Power-Plant-Award, eine vom Power Magazine jährlich verliehene Auszeichnung für umweltschonende und innovative Stromerzeugung. Trotz der umweltschädlichen Emissionen, derer sich die Befürworter bewusst sind, wird das HKW Nord 2 als besonders effektiv und modern eingestuft und so dessen Weiterbetrieb gerechtfertigt.

 

Das sagen die Gegner des Kraftwerks:

Die Unterstützer des „Raus aus der Steinkohle“-Bürgerbegehrens führen an, dass der Block 2 des HKW Nord alleine für 17% des gesamten CO2-Ausstoßes der Stadt München verantwortlich sei. Dies sei mehr als der gesamte PKW- und LKW-Verkehr der gesamten Landeshauptstadt. Laut dem Ökoinstitut-Gutachten könnte deshalb durch eine Stillegung des Kraftwerkes im Jahr 2025 eine Emissionsminderung von 4,1 bis 9,6 Milliarden Tonnen CO2 erreicht werden.

Die Investitionen der Stadtwerke in Ökostromanlagen in weiter Ferne ist auch ein großer Streitpunkt: Die SWM verpeste das Münchner Klima und umweltfreundlichere Anlagen würden anderswo gebaut. Was bedeutet es aber konkret, wenn die Münchner Luft verschmutzt wird? Eine Studie von Greenpeace in Zusammenarbeit mit der Uni Stuttgart untersuchte die Gesundheitsschädlichkeit und die Auswirkungen der 67 größten Stein- und Braunkohlekraftwerke Deutschlands und fand heraus: Das HKW Nord 2 liegt mit Platz 34 zwar im Mittelfeld der Umweltsünder, dennoch wirkt sich die Schadstoffbelastung deutlich auf die Gesundheit des Menschen und damit auf die Münchner aus. Die Schäden, die das Kraftwerk verursacht, können als 25 Todesfälle pro Jahr, 266 verlorene Lebensjahre oder 5607 verlorene Arbeitstage betitelt werden.

 

Münchner Climate March 2015 © Fossil Free München

Münchner Climate March 2015 © Fossil Free München

Stimmt es, dass der Kohleausstieg enorme wirtschaftliche Einbuße bedeuten würde?

 

Das sagen die Befürworter des Kraftwerks:

Trotz des Ausbaus von erneuerbaren Energien, insbesondere der Wind- und Solarenergie, können die Betreiber von Kohlekraftwerken gute Erträge auf dem Strommarkt erwirtschaften. Aus einer Studie des Öko-Instituts, die von der SWM in Auftrag gegeben wurde, geht hervor, dass eine Stillegung des Kraftwerks im Jahr 2020 Einbußen zwischen 340 und 600 Millionen Euro bedeuten würde. Bei einem Weiterbetrieb bis 2025 würde die SWM immer noch zwischen 180 und 380 Millionen Euro verlieren. Die SWM erklärte daher, dass die Abschaltung eine „unverhältnismäßig teure Maßnahme zur CO2-Reduzierung“ sei. Die Kosten, die für die SWM entstehen würden, müsse die Stadt gegebenenfalls ausgleichen.

Die ökonomischen Verluste und die Versorgungssicherheit sind die Hauptargumente der Befürworter, das Kraftwerk weiterlaufen zu lassen bis eine geeignete Alternative gefunden wurde.

 

Das sagen die Gegner des Kraftwerks:

Helmut Paschlau, Unterstützer der Anti-Kohle-Koalition und als ehemaliger kaufmännischer Projektleiter des HKW Nord quasi dessen ‚Bauleiter‘, kritisiert die SWM scharf: „Der Weiterbetrieb von HKW Nord 2 mit Steinkohle wird (wie alle Kohlekraftwerke auf dem Globus) ausschließlich ökonomisch begründet. Nord 2 ist für die SWM eine cash-cow. Es gilt als Begründung, Geld zu verdienen, damit die SWM in anderen Teilen der Welt Erneuerbare Energie-Anlagen errichten können.“ Auch Axel Berg, langjähriges Mitglied des Bundestages und dreimal direkt gewählter Abgeordneter des Münchner Nordens, sagt: „Betriebswirtschaftlich haben die SWM ebenso wenig Interesse wie E.on oder RWE an einer Demokratisierung ihres so schön abgeschotteten Münchenmonopols.“ Der Hauptkritikpunkt der Kohlegegner ist, dass die Rettung unseres Klimas nicht mit ökonomischen Interessen aufgewogen werden sollte.

Helmut Paschlau führt außerdem an, dass die Berechnungen der Studie auf einer falschen Grundannahme fuße: nämlich der Konstanthaltung des Steinkohlepreises und der Rechte für den Erwerb von CO2-Zertifikaten. Nach einer Entscheidung der EU Kommission werden künftig Zertifikate für Klimaschänder aber teurer – und das würde auch die Verbrennung von Steinkohle weniger lukrativ machen.

 

Stimmt es, dass das Kohlekraftwerk der Hauptenergieversorger Münchens ist?

 

Das sagen die Befürworter des Kraftwerks:

Das HKW Nord 2 bildet eine sehr leistungsstarke Säule der drei Heizkraftwerke Münchens. Es liefert 45% des Stroms und 42% der Fernwärme der Landeshauptstadt. Laut dem Gutachten des Ökoinstituts trägt es damit enorm zur Versorgungssicherheit des Münchner Energienetzes bei. Außerdem sei es für die „Fernwärmevision“ der SWM, d.h. die komplette Umstellung der Fernwärmerzeugung auf regenerative Energien bis zum Jahr 2040 maßgeblich, wie aus einer aktuellen Pressemitteilung der Stadtwerke hervorgehe.
Das sagen die Gegner des Kraftwerks:

Die Gegner des Kraftwerkes meinen, die Ökovision wäre für die Münchner selbst mehr Utopie als Realität, da der umweltverträgliche Strom der Stadtbevölkerung nicht zugute käme. Axel Berg moniert: „Die Münchner Energievision bedeutet salopp gesagt 100% erneuerbare Energien lediglich bilanziell. Das bedeutet, in erneuerbare Großanlagen weit weg zu investieren und die Münchner zuhause in der Abhängigkeit ihres Stadtkonzerns zu lassen.“

Außerdem sei ein umweltschonender Umstieg auf Techniken wie Geothermie prinzipiell schneller möglich, als der geplante Abschied der Stadt von der Kohle im Jahr 2035. Dies gehe auch aus dem Gutachten des Ökoinstituts hervor, in dem verschiedene Ausstiegsszenarien untersucht wurden. Demnach könne jedes Jahr ein Geothermiewerk errichtet werden, das die Energie aus der Kohleverbrennung schneller ersetzt.

 

Stimmt es, dass die Herkunft der Kohle problematisch ist?

 

Das sagen die Befürworter des Kraftwerks:

Die Herkunft der Kohle ist für die Parteien ein Streitpunkt. Auf der Website der SWM heißt es, die Stadtwerke hätten „von ihren Kohlelieferanten vertraglich die Zusicherung eingefordert, dass diese als Mindeststandards die Grundsätze der ILO und die Prinzipien des UN Global Compact einhalten.“ Die SWM wiegen sich mit diesen internationalen Organisationen auf der sicheren Seite.

 

Das sagen die Gegner des Kraftwerks:

Die in München verbrauchte Kohle wird im Jahr 2015 zu 40% aus Tschechien geliefert, die restlichen 60% sind eine fertige Kohlemischung aus nordamerikanischer und russischer Kohle. Die Gegner kritisieren den Import von Kohle als konfliktreich. Menschenrechtsverletzungen und Naturkatastrophen würden damit bestärkt.

 

Wer unterstützt wen? Streit zwischen den Lagern

 

Das sagen die Befürworter des Kraftwerks:

Die Stadtwerke bekommen Unterstützung vom Stadtrat, der den Empfehlungen des Ökoinstituts, das Kraftwerk laufen zulassen, im Frühjahr 2015 zustimmte. Außerdem wird dafür plädiert, die lokale Brille abzunehmen: Die Stadtwerke behaupten, erst mit bundesdeutschen Regelungen wäre ein kompletter Umstieg auf kohlefreie Energieerzeugung sinnvoll.

Die Kritiker der Kohleenergie sind sich derweil uneins: Selbst die Münchner Grünen und die SPD der Landeshauptstadt unterstützen das Bündnis „Raus-aus-der-Steinkohle“ nicht. Der Ausstieg solle schrittweise erfolgen, eine Reduzierung der Kohleverbrennung von 10% in jedem Jahr planen die Münchner Grünen. Die SWM sollen beim Umstieg auf den Ökostrom ihr Partner sein. Ähnlich sieht das die SPD, wie Vorsitzende Claudia Tausend erklärt: „Die überstürzte Stilllegung eines modernen Kraftwerks hilft dem Klima überhaupt nicht – im Gegenteil: So bleiben im europäischen Strommarkt ältere und dreckigere Meiler länger am Netz.“

 

Das sagen die Gegner des Kraftwerks:

Die Anti-Kohle-Koalition kommt aus den verschiedensten Lagern: Die ÖDP, die Piratenpartei, ehemalige Abgeordnete der SPD sowie die Ortsverbände der Grünen und der CSU aus Bogenhausen sind vertreten. Die parteiübergreifende Koalition zeugt gleichzeitig von parteiinternen Streitigkeiten.

Die Grünen haben unterschiedliche Vorstellungen für den Weg zum Kohleabbau und auch die  Münchner SPD distanzierte sich von dem Bürgerbegehren. In einem sind sich Gegner und Kritiker des Kraftwerks einig, wie Helmut Paschlau betont: „Wir können nicht mehr nach Paris und sonst wohin schielen, wenn wir lokal nicht bereit sind zu handeln.“


Bildquelle Titel: Heizkraftwerk Nord via CC3.0-Lizenz

 

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