„Wärmevision 2040“ – Wärmewende auf Münchner Art

Wenn Münchner Bürger an die Energiewende denken, werden ihnen sicher die großen Windparks der Stadtwerke (SWM GmbH) in der Nordsee einfallen, vielleicht auch noch das Mega-Sonnenkraftwerk Andasol im fernen Andalusien. In der Tat leistet München damit einen deutlichen Beitrag zur Dekarbonisierung der deutschen Stromerzeugung. In der Bilanz stimmt das ja. Aber gleichzeitig wird mehr Importkohle denn je im Kraftwerk München-Nord verstromt – etwa zwei Güterzüge pro Tag. Dies steht für die Janusköpfigkeit der Münchner Energiepolitik. Energiewende und Klimaschutz hin oder her – die bis zu 9 Mrd. Euro teuren Investitionen der SWM erfordern gute Geschäfte. Und derzeit ist die Stromerzeugung aus Kohle und Atomzerfall für die SWM betriebswirtschaftlich unverzichtbar, um diesen Umstieg ohne Einsatz städtischer Haushaltsmittel zu stemmen.

Vor diesen harten betriebswirtschaftlichen Zwängen prallt jegliche Kritik ab, die SWM würden in München und der Region zu wenig regenerative Energieformen fördern.

Es gibt allerdings ein Gebiet, auf dem die SWM auch vor Ort die Energiewende hin zu regenerativen Energien betreiben: die Wärmevision 2040 setzt auf den flächendeckenden Einsatz von Erdwärme (Tiefen-Geothermie), um den Heizbedarf Münchens bis zum Jahre 2040 weitgehend regenerativ zu decken. „Regenerativ“ heißt bei der Tiefengeothermie interessanterweise, dass die Abwärme aus atomaren Zerfallsprozessen im Erdinneren genutzt wird, was somit nichts weniger ist als eine andere Form der friedlichen Nutzung der Atomenergie.

Aber zurück zu München: Aufgrund besserer Wärmedämmung der Gebäude wird der reine Heizbedarf kontinuierlich bis etwa 2040 sinken, während der Bedarf für die Warmwasserbereitung nahezu konstant bleibt. Die SWM gehen von der in Grafik 1 dargestellten Entwicklung aus. Dieser sinkende Raumwärmebedarf ist also eine Voraussetzung für den Ersatz fossiler Wärme durch Erdwärme.

 

Abb. 1 Jahreswärmebedarfskurve 2010 - 2040

Abb. 1 Jahreswärmebedarfskurve 2010 – 2040 (Quelle: Referat für Stadtplanung und Bauordnung)

 

Das Fernwärmenetz als Vehikel der Wärmewende in München

Im Raum München steht Erdwärme bei einer Bohrtiefe von ca. 3 km auf einem Temperaturniveau von etwa 90 Grad C in Form von heißem Wasser zur Verfügung. Sie eignet sich damit gut zum Heizen, nicht aber zur Stromerzeugung. Hier wären mindestens 120 Grad erforderlich, wozu aber 4 km tief gebohrt werden müsste. Wie die SWM bei einem Strom-Wärme-Projekt in Sauerlach leidvoll erfahren mussten, hat es dieser zusätzliche Bohrkilometer aber buchstäblich in sich.

Bleiben wir also lieber bei der reinen Wärmenutzung. Es ist logisch, dass sich so eine Tiefenbohrung nur lohnt, wenn man anschließend vielen Kunden die Wärme verkaufen kann. Also braucht man ein Wärmeverteilnetz und ist damit quasi von selbst wieder beim Fernwärmenetz.

Und was auch logisch ist: mit 90 Grad hat man sehr heißes Wasser, aber keinen Dampf. Also kann Erdwärme nur in Heißwasser-Wärmenetzen, nicht aber in Dampfnetzen verteilt werden. D.h. die von den SWM seit über 10 Jahren betriebene Umstellung von Dampf auf Heißwasser ist eine unabdingbare Voraussetzung für den flächendeckenden Einsatz der Geothermie in München.

Ein kleiner Hinweis zu den Kosten: Die beiden Bohrungen in Riem kosteten insgesamt 5 Mio. Euro, und nochmals 5 Mio. Euro kostete das oberirdische Heizwerk. Laut unwidersprochenen Insider-Hinweisen sollen sich die Kosten für die SWM schon 2015 amortisiert haben. Das verwundert nicht wirklich, da ja die eigentliche Wärme aus der Erde denkbar kostengünstig gefördert wird, aber an die Kunden so teuer verkauft wird wie Wärme, die aus Importkohle oder Gas gewonnen wird.

Man kann schon verstehen, warum die SWM-Manager bei diesem Aspekt der Wärmevision 2040 glänzende Augen bekommen.

Geothermie Riem – Musterprojekt und Ärger mit dem Kleingedruckten.

Wie allgemein bekannt, wird die Messestadt Riem als erstes Münchner Erdwärmeprojekt zu über 90 Prozent über die Geothermie Riem mit Wärme versorgt. Das Riemer Netz ist ein Inselnetz, hat also keine Verbindung mit dem übrigen Münchner Fernwärmenetz. Ursprünglich (1994) war für die Wärmeversorgung ein Blockheizkraftwerk (BHKW) vorgesehen. 2004 konnte die Geothermie in Betrieb genommen werden. Sie liefert seither über 95 Prozent des Jahreswärmebedarfs, nur an sehr kalten Tagen bedarf es der Zusatzheizung durch Gaskessel. Die Stadtwerke könnten also zufrieden sein, wenn nicht das Problem mit den überhöhten Rücklauftemperaturen wäre, ein Problem mit einer stadtweiten Relevanz.

Ärger mit zu hohen Rücklauftemperaturen

Die Effizienz der Geothermie hängt davon ab, dass jeder Kubikmeter Wasser, der mit 90 Grad C hochgepumpt wird, möglichst stark abgekühlt wird, bevor er wieder über den „Schluckbrunnen“ der Erde zurückgegeben wird. Die SWM forderten daher seit jeher, dass ihre Riemer Wärmekunden das Fernwärmewasser mit einer maximalen Rücklauftemperatur von 45 Grad C zurückliefern. Der Hintergrund: unter diesen Bedingungen stellt die Geothermie Riem eine Wärmeleistung von 13,7 MW zur Verfügung – bei der maximalen Förderleistung von 75 Liter Heißwasser pro Sekunde. Liegt die Rücklauftemperatur hingegen bei z. B. 60 Grad C, reduziert sich die Leistung um ein Drittel, also auf gerade mal 9,2 MW.

Die Forderung nach 45 Grad C für die Messestadt Riem klingt harmloser, als es in der Praxis ist, da die Trinkwasserzirkulationstemperatur aus hygienischen Gründen nicht unter 55 Grad C sinken sollte. Die mittlere Rücklauftemperatur beträgt in traditionellen Fernwärmenetzen wie in München übrigens 55 Grad C.
Wie soll man im Sommer ohne Heizbetrieb mit einem 55 Grad C warmen Wasser 90 Grad C heißes Fernwärmewasser auf 45 Grad C abkühlen? Das geht nur mit trickreicher Technik, die in praxistauglicher Form erst seit 2012 zur Verfügung stand.

Fazit: Fast alle vor 2012 gebauten Heizanlagen in der Messestadt – und das ist die überwiegende Mehrheit – konnten die 45 Grad C Rücklauftemperatur nicht einhalten – schlicht weil es die dazu notwendige Technik nicht gab. Bis etwa 2010 haben sich die SWM auch nicht sonderlich um die erhöhten Rücklauftemperaturen gekümmert, danach umso mehr: in einigen Fällen statuierten die SWM in der Messestadt dann quasi ein Exempel und aktivierten unangekündigt so genannte Rücklauftemperaturbegrenzer. Diese führten dazu, dass Menschen frieren mussten, untragbar für einen kommunalen Daseinsvorsorger. Auf Kundenseite formierte sich eine IG Fernwärme in der Messestadt. Sie erreichte zusammen mit Kommunalpolitikern, dass nun im Sommer die Rücklauftemperaturgrenze auf realistische 55 Grad C hochgesetzt wurde. Dafür verlangen die SWM, dass in der Heizperiode eine maximale Temperatur von 40 Grad C eingehalten wird.

Global betrachtet bringt die Absenkung der Rücklauftemperatur von 45 auf 40 Grad C für die SWM eine Leistungssteigerung der Geothermie Riem von 13,7 MW auf 15,2 MW, also um 1,5 MW. Finanziell bedeutet dies allein beim Grundpreis jährliche Mehreinnahmen von fast 70.000 Euro – beim derzeitigen Preis von 45 Euro pro Kilowatt. Wenn man bedenkt, dass bei Fernwärmenetzen von einem „Gleichzeitigkeitsfaktor“ von 0,7 ausgegangen wird, also dass aufgrund der ungleichzeitigen Wärmenachfrage max. 70 Prozent der Summenanschlussleistung gleichzeitig nachgefragt wird, bedeutet dies, dass die SWM nicht 1,5 MW mehr in Rechnung stellen können, sondern das 1,4fache, also 2,1 MW. Die Jahreseinnahmen steigen damit um knapp 100.000 Euro – und dies, ohne das die SWM auch nur 1 Euro in ihr Netz oder das Heizwerk investieren müssen!

Auf der anderen Seite erfordert die Absenkung der Rücklauftemperaturen erhebliche Umbauten und Erweiterungen der zentralen Wärmeübergabestation und somit Investitionen bei den Kunden. Das bisher bekannte Kosten-Spektrum reicht von 20.000 bis 70.000 Euro.

Unter dem Diktat niedriger Rücklauftemperaturen werden die bislang technisch eher anspruchslosen Hausstationen zu Hightech-Apparaten. Die Folge ist, dass eine derartige Hausstation deutlich teurer als eine gleich leistungsfähige Gastherme ist. Bislang war es eher umgekehrt, was dazu geführt hat, dass die SWM die Fernwärmepreise höher als die Gaspreise machten, um den Kostenvorteil bei der Investition etwas „abzuschöpfen“.

Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass die Bürger und die involvierten Kommunalpolitiker parteiübergreifend eine finanzielle Beteiligung der SWM an den Umbaumaßnahmen fordern. Hier ist derzeit noch kein Entgegenkommen der SWM in Sicht.

Rücklauftemperaturabsenkung – eine Megaaufgabe für München

Wenn schon eine hochmoderne Neubausiedlung wie die Messestadt Riem große Probleme mit der Einhaltung der Rücklauftemperaturgrenze von 45 Grad C hatte, umso mehr gilt das für den hohen Altbaubestand im Rest Münchens. Während bei Neubauten ohnehin das Temperaturniveau durch den Einsatz von Flächenheizungen wie Fußbodenheizungen abgesenkt und damit erst der Einsatz von z. B. Solarthermie möglich ist, weist der überwiegende Gebäudebestand die traditionellen Heizkörper auf. Hier wird häufig noch in kalten Tagen mit einer Vorlauftemperatur von 70 Grad C z. T sogar von 80 bis 90 Grad C gearbeitet und mit einem Rücklauf von 50 Grad C und mehr. Zur Erinnerung: im Mittel beträgt die Rücklauftemperatur im Münchner Fernwärmenetz 55 Grad C.

Will man wegen der flächendeckenden Verwendung der Geothermie à la Wärmevision 2040 hierbei münchenweit herunterkommen, muss im gesamten Althausbestand die Heiztechnik angepasst werden. Sprich: Es fallen pro Gebäude allein in der Heizzentrale Investitionen im mindestens fünfstelligen Bereich an. Es wäre nur recht und billig, wenn die SWM erkennen ließen, wie sie als Hauptprofiteure der Umstellung auf die Erdwärme ihre Kunden bei den notwendigen Investitionen zur Absenkung konkret unter die Arme greifen wollen.

Freiham und Neuaubing

Beim 2. Geothermieprojekt in Freiham bestünde hierzu gute Gelegenheit. Denn es wird dort ein konventionelles Hochtemperaturnetz (HT) und ein Niedertemperaturnetz (NT) geben.

Während die Neubauten in Freiham Nord baulich allesamt so ausgerichtet werden, dass ihnen das Temperaturniveau des NT-Netzes reicht, werden die angrenzenden Bestandsgebäude Neuaubings an das HT-Netz angeschlossen.

Zur Steigerung der Energieeffizienz wird man gerade dort hochkomplexe Hausstationen vorsehen müssen, wenn nicht findige Heizungstüftler das Ei des Kolumbus entdecken werden. Hierzu muss man wissen, dass in den letzten Jahren etliche hydraulische Schaltungen zur Lösung der Rücklauftemperatur-Problematik vorgestellt wurden.

 

wärmefreiham

Wärmeerzeugungsschema Freiham mit Hoch- und Niedertemperaturnetz (Quelle: SWM)

 

Wilfried Ebster – der Prophet in der eigenen Stadt

Es ist schon irgendwie bezeichnend für die von den SWM dominierte Münchner Fernwärmeszene, dass ein begnadeter Tüftler wie der ehemalige Cheftechniker der GEWOFAG, Wilfried Ebster, für seine Vorschläge zur besseren Ausnutzung der Rücklaufwärme zwar den Bayerischen Energiepreis 2012 bekommen hat, aber in München sein Dreileitersystem nicht realisieren konnte. Es blieb der privaten (!) Bioenergie Taufkirchen vorbehalten, die „Ebster-Schaltung“ erstmals beim Anschluss eines Erweiterungstrakts bei der Realschule Taufkirchen praktisch einzusetzen – mit gutem Erfolg.

Ebsters Dreileiter-Schaltung beruht darauf, Niedertemperaturheizungen aus dem Rücklauf des Fernwärmenetzes zu speisen und nur bedarfsweise über den Vorlauf nachzuheizen. Die SWM sind davon nicht sehr begeistert, aber bei der gewaltigen Aufgabe, in München flächendeckend im Bestand die Fernwärme besser auszunutzen, sollte auch der „Prophet in der eigenen Stadt“ ernster genommen werden.

Es bleibt spannend

Fernwärme ist an sich nicht langweilig, und die Vision 2040 macht die Beschäftigung mit allen technischen, städtebaulichen und sozialen Aspekten noch spannender.

Dr. Georg Kronawitter war Stadtrat von 2008 bis 2014 und ist Mitglied im Münchner Forum.

Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst in der Oktober-Ausgabe zum Thema ‚Energieversorgung in München‘ des Magazins Standpunkte vom Münchner Forum.

 

Fotocredit: Flickr/moleba

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