Weniger ist mehr

In Deutschland werden 81,6 kg Lebensmittel pro Einwohner und Jahr weggeworfen. Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen jedes Jahr in Deutschland im Abfall. Besonders die privaten Haushalte tragen einen großen Teil dazu bei. Das ist zu viel. Viel zu viel, denn die Ressourcen sind begrenzt. Sind wir uns überhaupt dessen bewusst, was wir alles wegwerfen? Was kann man dagegen tun? Dr. Wilfried Bommert, Journalist und Buchautor, verrät uns im Interview, warum es so wichtig ist, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Am 25. Juli stellte Agnes Streber, Gründerin des Ernährungsinstituts KinderLeicht, die neue Infokampagne essensWERT in München vor. Das Projekt wird vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) gefördert.

Die Ernährungswissenschaftlerin will nicht mit erhobenem Zeigefinger den Moralapostel spielen.„Im Gegenteil“, betont Agnes Streber, „fehlendes Bewusstsein, Verdrängung und Schuldgefühl sollen einer neuen Sensibilität, einem neuen Bewusstsein und einem neuen Lebensstil weichen.“ Mit anderen Worten heißt das: Sobald man Lebensmittel schätzt, schmeißt man automatisch weniger weg.

Dr. Wilfried Bommert, Leiter des Instituts für Welternährung, Journalist und Buchautor findet, dass man vor allem den Kindern wieder beibringen sollte, dass Lebensmittel viel wert sind.

Mit Grün&Gloria spricht Dr. Wilfried Bommert über seine eigenen Erfahrungen mit den Kindern, das Problem mit der Hektik und dass auch Experten immer wieder aufs Neue erstaunt sein können…

Grün&Gloria: Waren Sie schon am Buffet? Gefällt es Ihnen?
Dr. Wilfried Bommert: Ich habe es leider noch nicht verkostet. (lacht)

Eltern können ja bekanntlich auch etwas von ihren Kindern lernen. Müsste man in der Schule beginnen, um ein Umdenken und eine Sensibilisierung in den Köpfen zu erreichen?
Ja, vielleicht auch schon im Kindergarten. Man sieht ja, was Kinder zu Hause machen, was sie in die Hand nehmen und was ihnen gut schmeckt. Wir wissen ja alle, dass Schokoriegel den Kindern zwar gut schmecken, aber dass sie keine besonders wertvollen Produkte darstellen. Ein vernünftiger Apfel, eine vernünftige Birne oder eine vernünftige Pflaume sind hoch wertvolle Produkte und ich glaube, viele Eltern kommen gar nicht auf die Idee, sie ihren Kindern anzubieten, sonst würde die Kinder das wissen.

Lernen Sie denn noch von ihren Kindern?
Ich habe früher von ihnen gelernt, ja. Mein Sohn hat mir unseren Kühlschrank mal aufgeräumt, als die Debatte über weggeworfene Lebensmittel gerade aufkam. Uns die Frage kam: „Was ist denn eigentlich in unserem Kühlschrank los?!“ Er hat dann festgestellt, dass ungefähr 40% dessen, was in unserem Kühlschrank drin war, entweder überlagert oder eigentlich schon verfault oder verschimmelt war. Wir hatten das überhaupt nicht mehr registriert und als der Kühlschrank dann drapiert war, hatten wir plötzlich die Hälfte mehr an Platz. Wir haben uns dann gesagt: Das lassen wir so! Wir halten die Sache übersichtlich und das ist der erste Weg um Food-Waste zu vermeiden.

Kommen wir zu den schon „großen Kindern“, den Erwachsenen.  Wie könnte man bei den älteren Generationen ansetzen, um ein Umdenken zu erwirken?
Fangen wir mal beim Einkaufen an. Also, was mir so auffällt. Es gibt ja immer unterschiedliche Mengen, die man einkaufen kann. Auch bei Produkten, die fest verbunden oder in irgendwelchen Verpackungen sind. Ich nehme neuerdings nur noch die kleinen Verpackungen. Nicht nur, weil die Kinder aus dem Haus sind, sondern weil ich festgestellt habe: mit der kleinen werde ich fertig. Bei der großen bleiben immer Reste und die wandern unter Umständen in den Müll. Das zweite ist, dass ich mir überlege: Wie viel koche ich davon, um nachher nichts wegzuschmeißen? Wie viele sind wir heute Abend? Ich koche so, dass unter Umständen noch Reste übrig bleiben, die ich einfrieren kann. Das ist ein wichtiger Punkt. Und wenn ich sie nicht einfrieren kann, was könnte man noch daraus machen? Kartoffelsalat kann man ja schlecht einfrieren und dann muss man eben wieder etwas anderes daraus machen. Also die Resteküche und die Vorratsküche sind eigentlich Ideen, die wir alle intuitiv kennen. Wir beachten sie nur zu wenig, weil uns zwischenzeitlich unsere Lebensmittel zu wenig wert geworden sind. Diesen inneren Wert der Lebensmittel, den müssen wir wieder erkennen und beibehalten!

Heißt das, dass man dieses Gefühl für den Wert von Lebensmittel nach und nach verliert?
Vielleicht kriegt man es wieder auf die Reihe, wenn man älter wird. Zwischendurch verlieren wir es, weil das Leben so hektisch ist. Jeder steht ständig unter Druck. Wir sind froh, wenn wir uns nicht so viele Gedanken darüber machen müssen. Wenn man nun ein bisschen älter wird, hat man wieder mehr Zeit darüber nachzudenken: Was mach ich hier eigentlich?

Fühlen Sie sich als Experte auch manchmal damit überfordert?
Wir betreiben ja ein Institut für Welternährung in Berlin und wir haben als Perspektive, unser Handeln auf die Welt auswirkt. Da bin ich jedes mal wieder erstaunt, wie weit sich unsere Verhaltensweisen, auch unsere Essverhaltensweisen, auf die gesamte Welt auswirken. Wenn wir nur von dem ausgehen, was wir wegwerfen, was wir an Lebensmittelabfall haben und wir gleichzeitig überlegen, dass damit nicht nur die Hälfte der Weltbevölkerung, sondern doppelt so viele Menschen ernährt werden könnten, dann kriegt das plötzlich eine politische Dimension. Da sagt man: „Oh! Ist doch gut, wenn wir uns ändern!“ Denn die Weltbevölkerung wird wachsen und wir brauchen in Zukunft doppelt so viel Lebensmittel und wir lassen sie einfach in den Kühlschränken verrotten.

Haben Sie noch einen nützlichen Tipp für uns, den man sofort im Alltag anweden kann?
Ich sage immer: Auf Sicht einkaufen! Also, man weiß ja ungefähr drei Tage vorab, was man vorhat und was passieren wird. Ich brauche eine Summe xy an Lebensmitteln und mehr kaufe ich auch heute nicht mehr ein. Wenn ich das mache, dann habe ich auch weniger Abfall.

Vielen Dank, Herr Dr. Bommert! 

 

photo credits: Olaf Konstantin Krueger

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