Wider die Weltverbesserer

Allzu viel ist von der DDR im gesamtdeutschen Alltag nicht übrig geblieben. Unter dem, was die Wende überlebte, finden sich die realsozialistische Nutella-Alternative „Nudossi“, die Waschmittelmarke Spee und die Redewendung „Das ist Fakt!“. Das Substantiv ohne Artikel ist ein typischer Russizismus. „Fakt“ ist auch der Titel eines „investigativen“ TV-Magazins des Mitteldeutschen Rundfunks. Investigativ ist dann, wenn eine Wackelkamera hinter panisch flüchtenden Politikern herläuft und Ministerien nur noch schriftliche Stellungnahmen geben. Dann heißt es immer maliziös: „Ein Interview wollte man uns nicht geben. Schriftlich teilte man uns mit …“ Soll heißen, die mauern, aber wir lassen nicht locker.

Jüngst war „Fakt“ zu Besuch bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Glonn bei München, um dort wieder mal einen Fleischskandal aufzudecken. Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten gelten als Premium-Biobetrieb, als High-End-Alternative der Bio-Tierzucht. Besitzer ist Karl Schweisfurth, ein gelernter Manager und Landwirt. Er ist der älteste Sohn der Öko-Ikone Karl Ludwig Schweisfurth. Der Senior hatte einst den (konventionellen) Fleischkonzern Herta besessen und war maßgeblich daran beteiligt, nach dem Krieg die Methoden industrieller Tierhaltung und -verarbeitung aus den USA nach Deutschland zu importieren.

Doch Schweisfurth wandelte sich vom Saulus zum Paulus. Er verkaufte sein Fleischimperium und machte fortan auf Bio. Neben seinem Landgut im Voralpenland betreibt die Familie heute eine Kette von Geschäften, wo man die Produkte guter, handwerklicher und regionaler Rinder-, Schweine- und Gefügelzucht kaufen kann. Zu stattlichen Preisen. Bei vielen Münchnern, die sich ein gutes Gewissen leisten können, ist „der Herrmannsdorfer“ ein Renner. 

Ich selbst kaufe hin und wieder dort ein, wenn es mal was besonders Gutes sein soll. An Weihnachten oder zu Ostern etwa. Manchmal gehen wir auch in Schweisfurths Gastwirtschaft „Zum Schweinsbräu“ in Glonn essen. Vorher kann man im „Schweinedorf“ kleine Ferkelchen anschauen. Der Schweinsbraten, den man aus ihnen macht, saugut. Schon die Soße, ein Gedicht!

Jetzt muss ich lesen, dass die Herrmannsdorfer allerlei Schweinereien angestellt haben sollen. Premium? Pustekuchen. Jedenfalls, wenn man „Fakt“ glaubt und einer Tierschutzinitiative namens „Soko Tierschutz“, die den „Skandal“ aufgedeckt haben will. Zu hohe Sterblichkeitsrate bei Ferkeln, möglicherweise regelwidriger Antibiotikaeinsatz, suboptimale Haltungsbedingungen, mangelnde Transparenz.

Dieses konventionell gehaltene Schwein sieht unglücklich aus. Trauen Sie lieber nicht der Bildunterschrift, informieren Sie sich selbst. (Foto: Konstanze Staud)

Dieses konventionell gehaltene Schwein sieht unglücklich aus. Trauen Sie lieber nicht der Bildunterschrift, informieren Sie sich selbst. (Foto: Konstanze Staud)

Ich muss sagen, in mir brach eine Welt zusammen. Was, jetzt auch die? Wem kann man denn da überhaupt noch trauen? Ich habe mir dann all die Zeitungsartikel durchgelesen und die Dokumente, die der Tierrechtler Friedrich Mülln von der „Soko“ ins Netz stellte – und Herr Schweisfurth, um zu beweisen, dass er eine reine Weste hat. So viel, glaube ich jetzt zu wissen, ist nicht dran an dem Skandal. Was man den Schweisfurths am ehesten vorwerfen könnte, ist die Art und Weise, wie sie ihren Betrieb zum Öko-Paradies der „glücklichen Schweine“ stilisiert haben. Dabei ist die Wahrheit ziemlich banal: Ja, auch die Bio-Landwirtschaft ist nicht das Paradies auf Erden. Ja, auch bei Biozüchtern werden Tiere krank, wird gestorben, wird getötet, fließt Blut, werden Fehler gemacht.

Trotzdem ist das, was die allermeisten Biozüchter machen, immer noch meilenweit entfernt von den Zuständen, wie sie in konventionellen Industrieställen herrschen. Da muss man die Kirche schon mal im Dorf lassen. Möglicherweise ist der „Soko Tierschutz“ ja weniger an der Aufdeckung von Missständen gelegen als an der Verbreitung einer Ideologie. Radikalen Tierschützern geht es darum, die kommerzielle Tierhaltung als solche zu verteufeln und alle Menschen zu Vegetariern und Veganern umzuerziehen.

Ich will hier nicht falsch verstanden werden: Ich habe nichts dagegen, wenn sich Menschen dafür entscheiden, aus welchen Gründen auch immer, kein Fleisch mehr zu essen oder überhaupt keine tierischen Produkte. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Ich selbst habe meinen Fleischkonsum stark eingeschränkt. Und wenn Fleisch auf den Tisch kommt, dann aus Bioproduktion. Wenn ich das abgepackte Fleisch in den Supermärkten und Discountern sehe, graust es mich.

Was mir mächtig auf die Nerven geht, ist das Weltverbesserungsgehabe. Dieser 100-Prozent-Terror. Mit 100-Prozent, mit Alles-oder-nichts erreicht man nichts, außer sich selbst als Heiligen zu präsentieren und die anderen als arme Sünder, die es zu missionieren gilt. Beim Fleischessen geht es doch nicht ums Prinzip. Es geht um Fehlentwicklungen der industriellen Tierhaltung, die dringend korrigiert werden müssen. Es geht darum, den Menschen endlich klar zu machen, dass Masse, produziert unter permanentem Preisdruck, niemals Qualität bedeuten kann. Was in der Tierzucht das Endprodukt ebenso anbelangt wie die Haltungsbedingungen.

Frikadellen, Buletten, Köfte oder Köttbullar: Fleischklößchen gelten vielen als Kulturgut, manchen als zivilisatorische Fehlentwicklung. (Foto: Schulze von Glaßer)

Frikadellen, Buletten, Köfte oder Köttbullar: Fleischklößchen gelten vielen als Kulturgut, manchen als zivilisatorische Fehlentwicklung. (Foto: Schulze von Glaßer)

Ehrlich gesagt möchte ich mir keine Welt vorstellen, in der es keine Nutztiere mehr gibt, auch wenn das der Traum vieler Klimaschützer ist. Dann gäbe es all die herrlichen Dinge nicht, die das Leben schöner machen. Keinen leckeren Schweinsbraten mehr, keinen Parmaschinken, nicht mehr all die schönen Wurstspezialitäten, für die Deutschland berühmt ist oder die vielen Hundert Käsesorten, die die Franzosen erfunden haben. Tausendjährige Traditionen, Handwerke, Lebensweisen wären passé. Es gäbe auch keine grünen Weiden mehr, keine Almen in den Bergen, keine Kühe, denen man im Vorübergehen die feuchte Schnauze tätscheln könnte.

Ein armes Leben wäre das. Und die Menschen würden sich noch ein Stück weiter entfernen von der Natur. Früher lebten die Leute oft unter einem Dach zusammen mit ihren Tieren. Das war vielfach der Armut geschuldet, aber es war eben auch normal. Erst die immer perfektere Trennung der Lebenssphären hat jene himmelschreienden Missstände heraufbeschworen, die es zu bekämpfen gilt.

2 Kommentare zu “Wider die Weltverbesserer”

  1. Beate sagt:

    Gratulation: Artikel ist prima + objektiv. Es gibt nie nur schwarz/weiß. Auch bei Herrmannsdorfer arbeiten Menschen und keine Heiligen + Menschen machen mal Fehler. Ich bin sehr froh, daß es Herrmannsdorfer gibt. Mein Fleisch/Wurstkonsum ist auch sehr reduziert, aber wenn, dann nur von Herrmannsdorfer. Danke + Grüße, Beate
    PS: ich habe einmal einen leeren Laden von Metzgerei Vinzenz Murr erlebt, selbst der leere, geputzte Laden beherbergte noch immer einen unerträglichen Gestank, was meinen Fleischkonsum
    radikal sinken ließ.

  2. Es war zumindest kein „tödlicher TV-GAU“ für die Herrmannsdorfer Landwerkstätten – vor allem viele StammkundInnen konnten diese Skandal-Reportage entsprechend einordnen. Und wenn die sporadischen Herrmannsdorfer-KäuferInnen jetzt nur noch vegan essen täten, wäre es auch gut (oder auch wurscht).

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