Abschied vom Antreiber

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„Das 21. Jahrhundert beginnt mit dem Debakel vom 19. Dezember 2009“, hatte Peter Sloterdijk nach dem Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen vernichtend über die Politiker geurteilt. Was einer der großen Denker der Gegenwart über die Gründe für das Scheitern der politischen Eliten denkt, erfahren wir am Sonntag, den 12.12. ab 11 Uhr auf einer Matinee zum Gedenken Hermann Scheers. In den Kammerspielen wird die Vorstellung des Scheer-Buches „Der EnergEthische Imperativ – 100 % jetzt: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist“ nachgeholt. Kurz vor der ursprünglich im Rahmen des Münchner Klimaherbstes geplanten Veranstaltung war der Präsident von EUROSOLAR verstorben.

Dass Sloterdijk dabei ist, ist kein Zufall. Er hatte in einem Interview mit der SZ bereits in Kopenhagen die große energiepolitische Bedeutung Hermann Scheers hervorgehoben. Damals trauerte er in deutlichen Worten über eine verpasste Energierevolution in Hessen – als er Scheer im Schattenkabinett eine 100 % Energiewende angekündigt hatte.

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„Hermann Scheer hatte ihr (Ypsilanti) ein Papier geschrieben, das darlegte, wie man ohne politischen Putsch, allein durch die Ausschöpfung der legalen Gestaltungsspielräume, eine Umstellung der Energieversorgung zu 100 Prozent auf regenerative Quellen erreichen kann – und zwar in verblüffend kurzer Zeit. Das war das eigentliche Geheimnis der Affäre Ypsilanti. Wieso wurde denn diese Frau durch eine beispiellose Antipathie-Kampagne aus der deutschen Politik eliminiert? Ich denke, man muss den energiepolitischen Hintergrund des möglichen Machtwechsels in Hessen beleuchten, um zu verstehen, warum dieser Rufmord geschehen musste. Das Scheer-Papier brachte ganze Industrien zum Zittern – und man denunzierte den Autor sehr folgerichtig als „Geisterfahrer“. Man muss sich nur einmal vorstellen, was das bedeutet hätte, wenn ein Teilstaat einer großen Industrienation in ein Versuchslabor für die Ökowende umgewandelt worden wäre. Und was für eine Katastrophe für den Konsens der großen Bremser, wenn sich Scheers Annahmen auch nur zur Hälfte bewahrheitet hätten!“

Auf dem Podium sitzt auch ein enger Vertrauter Scheers. Sven Gigold, der Mitbegründer von attac Deutschland und heutige Europaabgeordnete, hatte wenige Monate vor Scheers Tod mit ihm und anderen Politikern den ersten parteiübergreifenden linken Thinktank gegründet: das Institut Solidarische Moderne.

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Heute sind alle für erneuerbare Energien. Konsens oder Scheinkonsens? Wie kann die Energiewende tatsächlich beschleunigt werden?
Eine energiepolitische Diskussion im Gedenken an Hermann Scheer

Hermann Scheer (29.4.1944 – 14.10.2010) war Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Präsident von EUROSOLAR, Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien und 30 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war Wegbereiter des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes und Initiator der neu geschaffenen International Renewable Energy Agency (IRENA). Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Alternativer Nobelpreis, Weltsolarpreis, Weltpreis für Bioenergie und Windenergie und den Solar World Einstein Award.

Die Matinee ist nun seinem letzten Buch und der hierin enthaltenen Aufforderung gewidmet, die Energiewende, hin zu einer Vollversorgung durch erneuerbare Energien, nach der Prämisse des „EnergEthischen Imperativs“ vorzunehmen.

Es diskutieren:
Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament
Dr. Harry Lehmann, Umweltbundesamt, Leiter des Fachbereichs I – Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien
Prof. Dr. Peter Sloterdijk, Philosoph und Schriftsteller, Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
Einführung: Christiane Grefe (Reporterin der ZEIT, Berlin)
Moderation: Mathias Greffrath (Publizist, Berlin)

Schauspielhaus der Kammerspiele, am 12. Dezember, 11 Uhr
Adresse: Maximilianstraße 26-28, 80539 München

Foto: Peter Sloterdijk: Peter Rigaud c/o Shotview Photographers.

Foto: Fritz Schumann/www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by)

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