8X Fehler, Halbwahrheiten und Luftnummern

Im jüngsten Infoblatt des MVV zum Tieftunnel wimmelt es nur so von Fehlern, Halbwahrheiten und aus der Luft gegriffenen Behauptungen.

„Perspektive 1 – Pünktlichkeit und Betriebsqualität verbessern sich deutlich“
MVV: Mit der zusätzlichen Stammstrecke entlasten wir die bestehende S-Bahn-Stammstrecke, unseren „Flaschenhals“, und verteilen den Verkehr auf zwei Strecken. Der westliche und der östliche Teil des S-Bahn-Netzes sind dann nicht mehr nur durch zwei, sondern durch vier Gleise miteinander verbunden. Das ermöglicht nicht nur zusätzliche S-Bahn-Fahrten, sondern erhöht auch die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit im gesamten S-Bahn-Netz. Denn durch die aktuell dichte Bündelung nahezu aller S-Bahn-Linien auf der bestehenden Stammstrecke werden Störungen, die auf einer Linie auftreten, auf andere Linien übertragen und beeinträchtigen die Betriebsqualität der gesamten S-Bahn.

Eindeutig falsch. Nach Starnberg, Fürstenfeldbruck, Neufahrn, Markt Schwaben und zum Flughafen soll pro Stunde eine S-Bahn mehr fahren als heute – aber keine zusätzlichen Gleise gebaut werden. Pünktlichkeit und Betriebsqualität werden dadurch noch schlechter. Außerdem sollen mindestens 168 Regionalexpress-Züge pro Tag (beide Richtungen) durch den Tieftunnel fahren und diese werden Störungen aus Nürnberg, Ulm und Lindau mitten ins Münchner S-Bahn-Netz hineintragen.

„Perspektive 2– Bei Störungen in einem Tunnel dient der andere als Bypass“

MVV: Betriebsstörungen lassen sich leider nie ganz ausschließen. Aber in Zukunft werden sie nicht mehr so große Auswirkungen haben. Wenn eine der beiden Stammstrecken unpassierbar ist, steht die zweite Strecke wie ein Bypass für Ausweichmanöver bereit. Unsere Fahrgäste werden nicht mehr vor den Toren der Stadt stranden, sondern weiter mit der S-Bahn bis in die Innenstadt fahren können. Bei Störungen auf der Stammstrecke enden die S-Bahnen in Pasing, Giesing, am Hauptbahnhof (Starnberger oder Holzkirchner Flügelbahnhof) oder am Ostbahnhof. Von allen diesen Punkten aus gibt es sehr gute Tram- U-Bahn- oder Regionalbahn-Verbindungen in die Innenstadt.

Der MVV behauptet aber: „Unsere Fahrgäste werden nicht mehr vor den Toren der Stadt stranden, sondern weiter mit der S-Bahn bis in die Innenstadt fahren können.“ Der MVV wurde seinerzeit gegründet, damit man Regionalbahn, S-Bahn, U-Bahn, Tram und Bus mit ein und demselben Fahrschein benutzen kann. Wozu braucht man einen MVV, der die Existenz von U-Bahn und Tram schlicht leugnet und für den der Hauptbahnhof „vor den Toren der Stadt“ liegt? Im übrigen gilt: Die Regionalexpresse, die den Tieftunnel befahren sollen, würden den S-Bahnen den Platz wegnehmen. Bei einer Störung passen zusätzliche S-Bahnen dann gar nicht in den Tieftunnel!

„Perspektive 3– Die beliebtesten Bahnhöfe sind schnell erreichbar“
MVV: In der Münchner Innenstadt gibt es einige stark frequentierte Stationen: Hauptbahnhof, Marienplatz und Ostbahnhof. Diese Bahnhöfe werden drei- bis viermal häufger von den Fahrgästen genutzt als andere, weil sie zu beliebten Plätzen der Innenstadt führen und Verknüpfungspunkte zur U-Bahn sind. Die 2. Stammstrecke wird genau an diesen drei Stationen neue Haltepunkte erhalten. Dank der dann zusätzlich zur Verfügung stehenden Bahnhöfe verteilen sich die Fahrgäste weiträumiger. Entspanntes Ein-, Aus- und Umsteigen ist möglich.

Dieser Satz beschreibt einen entscheidenden Rechentrick bei allen Gutachten „Tieftunnel gegen S-Bahn- Südring“: Zusätzliche S- oder Regionalbahnen zu diesen ohnehin schon stark frequentierten Bahnhöfen erzeugen rechnerisch auch den höchsten Fahrgastzuwachs. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass in die Münchner Innenstadt ohnehin nur 9% mit dem Auto fahren – die Gutachten verbuchen diesen rechnerischen Fahrgastzuwachs aber als vermiedene Autofahrten. „Dank der dann zusätzlich zur Verfügung stehenden Bahnhöfe verteilen sich die Fahrgäste weiträumiger.“ Statt den Fahrgästen viele, übers Stadtgebiet verteilte Umsteigeknoten (Heimeranplatz, Poccistraße, Kolumbusplatz) anzubieten, will der MVV sie „weiträumig“ in wenigen, heute schon überlasteten Umsteigeknoten „verteilen“.Besser lässt sich der Tunnelblick nicht beschreiben. „Entspanntes Ein-, Aus- und Umsteigen ist möglich.“ Eine dank Tieftunnel an die Kapazitätsgrenze gebrachte U3/U6 wird besonders entspanntes Umsteigen ermöglichen.

„Perspektive 4– Das S-Bahn-Angebot in der Region wird dichter“
MVV:Auf den ersten Blick scheint die 2. Stammstrecke vor allem für die Fahrgäste in der Münchner Innenstadt ein Gewinn zu sein. Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass der neue Tunnel enorme Vorteile gerade für das Münchner Umland bringt: Wenn wir den S-Bahn- Verkehr in der Innenstadt besser bewältigen, können wir den S-Bahn-Verkehr aus der Region und in die Region verdichten. In Zukunft werden mehr Bahnen auf den Außenästen mit dem 15-Minuten-Takt fahren. Und das den gesamten Tag. Für Sie als Fahrgast das größte Plus: Ihre Wartezeit auf den nächsten Zug wird kürzer – den ganzen Tag über.

Nur teilweise richtig – das Angebot wird vor allem tagsüber dichter, also genau dann, wenn es keine Kapazitätsprobleme gibt( vgl. Perspektive 1). Dafür verlieren 3 von 5 Strecken (Weßling, Maisach und Grafing) den 10-Minuten-Takt und 6 von 12 Strecken (Starnberg, Weßling, Fürstenfeldbruck, Maisach, Markt Schwaben, Grafing) abends den 20-Minuten-Takt. Mit dem 15-Minuten-Takt wird das Angebot also zur Hauptverkehrszeit und mit dem 30-Minuten-Takt im Spätverkehr jeweils um ein ganzes Drittel dünner – also genau zu den Zeiten, zu denen attraktive Takte besonders wichtig sind. Weil dieses „dichtere“ Angebot ohne zusätzliche Gleise auf den Außenstrecken gefahren werden soll,wird die S-Bahn noch störungsanfälliger als heute.

„Perspektive 5– Es gibt direkte Expresslinien“
MVV: S-Bahnen, die nicht an jeder Station halten, kommen deutlich schneller voran. Wir nennen sie Express-S-Bahnen – und planen, diese mit der Eröffnung des zweiten Tunnels einzuführen. Wer morgens schnell zur Arbeit fahren will oder später flott nach Hause, wird den Zeitgewinn besonders schätzen. Unsere Express-Bahnen werden die 2. Stammstrecke quasi als Überholspur nutzen und alle dreißig Minuten an ihren Endpunkten starten. Zusätzlich verkehren die „normalen“ S-Bahnen mit Halt an jeder Station – ganztags im 15- Minuten-Takt.

Expresslinien erscheinen schön und nett, nur bringen sie genau die beschriebenen Taktverschlechterungen (Abschaffung des 10-Minuten-Takts) und auch neue Umsteigezwänge mit sich. Außerdem wird es langfristig lediglich zwei solcher Linien geben: Mammendorf – Ebersberg und Herrsching – Leuchtenbergring. Weitere Linien sind mangels eigener Gleise auf den Außenstrecken nicht möglich. Die Express-Linie nach Ebersberg ist eine Mogelpackung, denn dafür sollen die bis München durchfahrenden Züge des Filzen-Express (Grafing – Wasserburg) gestrichen werden. Die heute bestehenden Expressfahrten der S2 von Markt Schwaben nach München passen nicht in dieses Konzept und entfallen.

„Perspektive 6- Die Verbindungen zu den Nachbarstädten in der Metropolregion werden enger“
MVV: Die 2. Stammstrecke kann auch von Zügen aus der Region befahren werden, die mit den S-Bahnen technisch vergleichbar sind. Künftig könnten solche Züge beispielsweise aus Augsburg oder aus Rosenheim direkt in die Münchner Innenstadt oder sogar weiter bis zum Flughafen fahren. Dies ist nicht nur für Pendler von und nach München eine gute Nachricht. Ob Landshut, Landsberg oder Pfaffenhofen: Mit dem zweiten Tunnel nimmt die Metropolregion München mehr und mehr Gestalt an.

Enger wird es höchstens auf den Gleisen – nach Abschluss des Ausbaus München – Augsburg sind keine weiteren Gleise rund um München in Sicht. Offizielle Planung ist, Regionalexpress-Züge von Lindau, Ulm und Nürnberg (via Augsburg) durch den Tieftunnel zum Flughafen zu führen. Eine Einbindung der Strecke aus Rosenheim, wie vom MVV unterstellt, ist mangels Brückenbauwerken nicht möglich. „Ob Landshut, Landsberg oder Pfaffenhofen: Mit dem zweiten Tunnel nimmt die Metropolregion München mehr und mehr Gestalt an“: Dieser Satz ist vollkommen aus der Luft gegriffen und entbehrt jeder (Planungs-)Grundlage. Vielmehr sollen die Direktfahrten von München nach Wasserburg gestrichen werden und zwischen Landshut und München gibt es künftig zur Hauptverkehrszeit nur noch zwei statt heute drei Züge, da der dritte Zug via Neufahrner Kurve zum Flughafen geführt werden soll.

„Perspektive 7 – Der Flughafen ist besser zu erreichen“
MVV: Dank der 2. Stammstrecke rückt der Flughafen für viele Fahrgäste näher: In Verbindung mit dem viergleisigen Ausbau des Streckenabschnitts zwischen Johanneskirchen und Daglfing können auf de S8 zusätzliche Expresszüge unterwegs sein und die Fahrzeiten von der und in die Münchner Innenstadt verkürzen. Vom Hauptbahnhof zum Flughafen werden die Fahrgäste dann nur noch 23 Minuten benötigen. Heute dauert die Fahrt rund 40 Minuten.

Eindeutig falsch – dank des offiziellen Freistaat-Konzepts wird der Flughafen schlechter erreichbar sein als heute. Für die schnellere Erreichbarkeit ist ausschließlich der viergleisige Ausbau zwischen Daglfing und Johanneskirchen erforderlich, nicht jedoch der Tieftunnel. Eine beschleunigte S8, wie vom MVV unterstellt, ist vom Freistaat nicht vorgesehen. Stattdessen sollen Flughafenfahrgäste die erwähnten Regionalzüge zum Flughafen nutzen. Um am Flughafen Platz für diese Regionalzüge zu schaffen, muss aber die S8 nach Hallbergmoos zurückgezogen werden. Dadurch entstehen zusätzliche Umsteigezwänge (und längere Fahrzeiten) für alle die am Stachus, Isartor oder dem Rosenheimer Platz einsteigen. Wegen der verkürzten S8 muss der Flughafen Express aber zusätzlich in Hallbergmoos und am Besucherpark halten. Deshalb wird die Fahrzeit vom Hauptbahnhof zum Flughafen 26 und nicht 23 Minuten betragen.- genau so viel wie eine beschleunigte S8 ohne Tieftunnel benötigt.

„Perspektive 8 – Steigende Fahrgastzahlen tragen zum Klimaschutz bei“

MVV: Die Fahrgastzahlen der S-Bahn München liegen seit über 20 Jahren auf einem sehr hohen Niveau. Und sie steigen weiter an. Daher ist der Ausbau des S-Bahn-Systems mit der zentralen Maßnahme der 2. Stammstrecke dringend erforderlich. Sie ist auch ein Garant dafür, dass der weiter wachsende Stadt-Umland-Verkehr auf möglichst umweltschonende Art bewältigt wird und der Verkehr in der Münchner Innenstadt abnimmt. Der größte Gewinner wird somit unsere Umwelt sein – denn jedes Auto, das in der Garage bleibt, trägt dazu bei, die CO2- und Feinstaub-Belastung zu senken und den Lärm herunterzudrehen.

Nur dann richtig, wenn diese Fahrgäste früher mit dem Auto gefahren sind. Nun fahren aber heute schon in die Innenstadt nur 9% mit dem Auto; über die Münchner Stadtgrenze aber 70%. Da aber nur Verbindungen zu den ohnehin „beliebtesten“ Bahnhöfen verbessert, andere jedoch verschlechtert und neue Verbindungen überhaupt nicht geplant werden, wird es auch keine nennenswerten Verlagerungen vom Autoverkehr auf die S-Bahn geben können – eben weil in der Innenstadt schon heute fast alle öffentlich unterwegs sind.

„Auch der Bund bekennt sich klar zur 2. Stammstrecke“.
Auch diese Behauptung entbehrt jeder Grundlage. Dem Finanzbedarf des Tieftunnels sind nicht nur in München bereits lange geplante Streckenausbauten (Markt Schwaben und Fürstenfeldbruck) geopfert worden, sondern in Hamburg steht deswegen der Bau einer ganzen S-Bahn-Linie (S4 nach Ahrensburg) auf dem Spiel. Diese Perspektive hat bereits für erheblichen Unmut unter den Bundestagsabgeordneten aus dem Raum Hamburg gesorgt – auch und gerade unter Abgeordneten der CDU!



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Ingeborg Michelfeit    gruenundgloria.de - Blog: Ingeborg Michelfeit

Zweck der Bürgerinitiative >S-Bahn-Tunnel Haidhausen< ist die kritische Begleitung der Planungen, um die Realisierung der Tunnelpläne, auch zu Gunsten eines größeren verkehrlichen Nutzens, zu verhindern. Wir fordern eine zukunftsträchtige Lösung, die für das gesamte Münchner Schienenverkehrssystem eine Optimierung darstellt.

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