Ein guter Tropfen

Die Deutschen trinken immer mehr davon. Aber sie streiten auch immer mehr darüber. Ob Heilquelle, Mondscheinfüllung oder Leitungswasser – um die beste Form des einst simplen Durstlöschers tobt ein Meinungskrieg, der die Esoterik-Zirkel längst verlassen hat.

Flasche

Text: Michael Zirnstein / Bild: Bast Arlt

Wasser leidet. Wenn man es mit billiger Pop-Musik aus Japan bedudelt, zieht es sich zusammen, gefriert es dann, kommen hässliche Klümpchen heraus. Spielt man ihm hingegen Vivaldis „Frühling“ vor, blüht es auf, seine Eiskristalle sehen aus wie filigrane Blumen.

Das zumindest behauptet Masaru Emoto, ein Japaner, der Wasser auf der ganzen Welt gesammelt und damit experimentiert hat. In seinem Buch die „Botschaft des Wassers“ sind seine Wasserkristallfotos zu sehen: Leitungswasser aus Berlin – kümmerliche Bröckchen; Quellwasser aus Sanbuchichi – eine strahlende Diamantkrone. Die H2O-Moleküle sind aufgrund ihrer Dipol-Struktur
leicht magnetisch. Wasser könne daher die Schwingungen der Umgebung aufnehmen und sie sich merken, schlussfolgert Emoto.
Auch wenn Wissenschaftler gerade wieder herausgefunden haben: „Wasser hat kein Gedächtnis“, bleibt der japanische Wasser-Guru bei seiner These. Mehr noch, er sagt: Wasser aus Gläsern, die er mit positiven Botschaften wie „Liebe“ oder „Dankbarkeit“ beschrieben hatte, bildeten schöne Eiskristalle; Wasser, das sich „Du machst mich krank“ ansehen musste, verkümmerte. Ja, selbst Gedanken
und Gebete soll das Wasser aufnehmen und speichern – und es soll diese Informationen auch auf das Zellwasser im menschlichen Körper übertragen. Somit hätte Masaru Emoto die Heilkräfte des Weihwassers von Lourdes erklärt. Wenn er denn Recht hat.

Die Sache mit dem Wasser ist längst zur Glaubensfrage geworden.
Nie wurde so viel Mineralwasser wie heute getrunken in Deutschland: Der Verbrauch hat sich von 12,5 Liter pro Jahr und Kopf (1970) auf 132 Liter (2006) erhöht. Wissenschaftler teilen das Wasser ein in: natürliches Heilwasser (aus einem unterirdischen, reinen Vorkommen, mit Mineralstoffen und Spurenelementen, die eine lindernde oder vorbeugende Wirkung entfalten; amtlich zugelassen); Mineralwasser (am Quellort abgefüllt); Quellwasser (aus unterirdischen Vorkommen, gereinigt), Tafelwasser (industriell aus Trink- oder Meerwasser gefertigt, mit Zusätzen wie Sole, Mineralstoff-Mixturen und Kohlensäure
versetzt); und Leitungswasser (Trinkwasserqualität).

ES GIBT 500 MINERALWASSER UND 60 HEILWASSER HIERZULANDE, EINE VIELFALT WIE NIRGENDS SONST.

Einmal abgesehen vom Geschmack, der vom Grund, durch den das Wasser sickerte, abhängt und den Mineralstoffen, die es aufnahm, ist die Wirkung sehr unterschiedlich: Die Informationszentrale Deutsches Mineralwasser empfiehlt auf ihrer Internetseite (www.mineralwasser.com) für jeden Typ ein anderes Wasser: magnesiumreiches für nervlich Angespannte; natriumreiches für Sportler und Schwerarbeiter; viel Calcium für die Schönheit und guten Knochenbau; mineralstoffarmes Wasser zur Entspannung; zum Genießen beim Essen: mit feiner Kohlensäure zum Appetitanregen, den Geschmack neutralisierende zum Wein oder als sulfatreicher Magenbitter.

Dagegen gibt es aber auch diejenigen, die im Wasser mehr entdecken als in Milligramm gemessene Inhaltsstoffe. Zum Beispiel die Schauspielerin Michaela Merten, die in ihrem Buch „Wasser“ die „Glücksformel für Schönheit und Gesundheit“ erkannt haben will. Sie beschreibt, wie man den gestressten Körper mit Aqua-Boxing und Aqua-Qi-Gong in Form bringt; wie man die Seele mit Wata-
Wassertanz (wie Aikido kämpfende Delphine) oder Aqua-Lomi (Massage) streichelt; und welche wohltuenden Badekulturen man in Russland (Banja), Thailand (Songkran), Japan (Orfu & Sento) und Griechenland (Thalasso) pflegt. Und sie zeigt, was Wasser alles kann, wenn man nur jeden Tag mindestens zwei Liter (30 Milliliter je Kilo Körpergewicht; umso mehr, je mehr Kaffee, Tee und Alkohol man
intus hat) davon trinkt.

Michaela Merten und andere Aqua-Puritaner schwören auf selbst gezapftes, hochenergetisches Quellwasser; es ginge aber auch artesisches Wasser (also Wasser, das aus eigener Kraft dem Boden entspringt) aus Höhenlagen mit möglichst wenig Kohlensäure und Mineralien („Mineralien können meist eh nicht verwertet werden und lagern sich als schädliches Geröll im Körper ab“, sagt sie). Gepumptes, unter Druck befördertes Wasser würde – wie Emoto es beschrieben hat – verklumpen, auch an den Wänden von Plastikflaschen würden sich die agilen Teilchen totlaufen, mit der Folge, dass die
Wassermoleküle aneinanderkletten und keine Ärmchen mehr freihätten, Schadstoffe aus dem Körper mitzunehmen.

Seit Stars wie Madonna (Voss), Catherine Zeta-Jones (Ty Nant) und Mariah carey (Fiji) öffentlich an edlen Fläschchen nuckeln, ist Wasser auch zum Lifestyle-Produkt geworden und darf in keiner Damenhandtasche fehlen. Natürlich sind das meist gute Wässerchen.
Voss zum Beispiel wird aus artesischen Quellen in Norwegens Wäldern gewonnen. Aber eher noch kommt es auf die Verpackung als auf den Inhalt an. Ty Nant aus Wales hat den Trend vor 20 Jahren mit tiefblauen Flaschen losgetreten, die man sich ebenso als Vase hinstellen kann wie den eleganten Voss-Zylinder – und natürlich auch das Bling-Wasser mit Naturkorken und Swarovski-Kristallen (50 Euro für 0,75 Liter). So rein das Produkt auch aussieht – von umweltgerechter Nachhaltigkeit kann keine Rede sein, wenn etwa Fiji-Wasser in bunten Plastikflaschen aus der Südsee nach Deutschland transportiert wird, um dann in einer Wasserbar oder einem Restaurant mit eigener Wasserkarte zu gesalzenen Preisen verkauft zu werden.
Darüber kann Rainer List nur den Kopf schütteln: „Es ist eine Schande, wenn man in München das Wasser nicht aus dem Hahn trinkt.
Von uns kriegen sie zum selben Preis 1000 Liter in der Qualität, wie Sie im Bio-Laden eine Flasche bekommen“, sagt der Leiter der Wassergewinnung der Münchner Stadtwerke. „Wir liefern quellfrisch und naturrein ins Haus.“ Das Münchner Wasser stammt zum Großteil aus dem Mangfalltal. Im Schutzgebiet mit nitratfilterndem Mischwald, in dem noch Frauenschuh wächst, sprudelt es aus eigener Kraft am Fuß des Taubenberges hervor, auf den es sechs Jahre zuvor einmal abregnete und dann Steinschicht für Steinschicht nach unten sickerte.
„Viele Mineralwässer sind schlechter als das Münchner Leitungswasser“, bestätigt Professor Peter Wilderer, Ordinarius für Wassergüte an der Technischen Universität München.
Wilderer hat 2003 als erster Deutscher von König Carl CVI. Gustaf von Schweden den „Stockholm Water Price“, den begehrten Wasser-Nobelpreis erhalten. Er hat über Wasserqualität geforscht und sich bei Projekten in der ganzen Welt für Wassergüte und einen freien Zugang für alle ausgesprochen.

In mehr als 80 Ländern ist Trinkwasser knapp. Die Forderung nach mondbeschienenem Bio-Wasser hält Wilderer da für kontraproduktiv: edles Luxusprodukt – soweit darf es nicht kommen.

Aus dem Klimaherbst-Magazin 2008

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