Twickel und Füllner im Interview


Ende Juli gabe es ein großes Meeting mit dem Versprechen, die „eigentlichen Verursacher des Elends“ ausfindig gemacht haben. Verraten Sie es uns Münchnern auch? Wer ist nun der Schuldige?

Christoph Twickel: Ich weiß es auch nicht. Ich war auch nur Gast bei der Veranstaltung, es ging um eine Kritik an “Not in our name, Marke Hamburg” von links, die sich unter anderem darauf bezog, dass “die eigentlichen Verursacher des Elends” unserem Manifest viel Zuspruck gezollt hätten. Gemeint waren wohl Springer-Presse, Sozialdemokraten, Grüne und Kulturpolitiker, die tatsächlich – zum Teil aufgeschreckt, zum Teil berechnend, zum Teil aber auch ehrlich interessiert – unser Manifest mit einer Menge Aufmerksamkeit bedacht haben.

Aber eigentlich heißt es doch immer wieder, schuld seien die Künstler und Kreativen, die sich in ehemaligen Arbeitervierteln niederlassen und dort den Weg für die Aufwertung bereiten … Wie gehen Sie selbst mit dem Dilemma um?

Twickel: Man sollte aus Fragen der politischen Ökonomie keine Schuldfragen machen. Warum sollte ich einem Menschen absprechen, sich gegen Mietsteigerungen und Verdrängung zu wehren, weil er als bildender Künstler, Musiker oder sonstwie dazu beiträgt, ein Viertel interessant zu machen? Zum einen sind viele der so genannten “Kreativen” ökonomisch ziemlich prekär dran und haben lauter gute Gründe, zu Gentrifizierungsgegnern zu werden. Zum anderen geht es ja gerade darum, zu verhindern, dass das, was die Stadt interessant macht, zum exklusiven Vorrecht derer wird, die es sich leisten können. Die soziale Frage und die Künste gegeneinander auszuspielen: das versucht ja die andere Seite schon immer, das sollte nicht unser Geschäft sein.

In München gibt es jetzt auch ein Bündnis „Recht auf Stadt“. Allerdings weigern sich einige Initiativen mitzuarbeiten, da einer der Initiator auch in einer sozialistischen Partei aktiv ist. Wie war das in Hamburg mit den Parteien? Bestand die Gefahr, dass man gegeneinander ausgespielt wird?

Jonas Füllner: Es ist so, dass das Netzwerk „Recht auf Stadt“ sich stets als außerparlamentarisch verstanden hat und somit keine Parteien im Netzwerk mitwirken. Dem hingegen sind einige AktivistInnen aus Initiativen auch in Parteien aktiv. Dies war bislang aber kein Widerspruch, da sie nicht versucht haben im Interesse ihrer Partei das Netzwerk in irgendeiner Form zu beeinflussen.

Nun sind 5.500 Unterzeichnen ja auch nicht viel.
Sie sprachen von dem Phänomen: Es habe Zuspruch durch die eigentlichen Verursacher des Elends gegeben. Wie äußerte sich das?

Füllner: “Verursacher des Elends” ist nicht meine Formulierung. Natürlich hat man “Not in our name, Marke Hamburg” seitens der Politik auch gezielt missverstanden: Als Protest einer Künstlerlobby. So wie man es z.B. kennt, wenn Kürzungen im Kulturbereich anstehen: Dann kommen die Theaterintendanten und Kunsthochschulprofessoren und führen die eigene Unverzichtbarkeit für ein gelungenes Gemeinwesen ins Feld. Das ist aber überhaupt nicht unsere Position. Wir waren z.B. bei der damaligen Hamburger Kultursenatorin zum Gespräch geladen – und nach 10 Minuten stellte die ganz überrascht fest, dass wir gar nicht über Kulturpolitik reden wollten. Sondern über eine Stadtentwicklungspolitik – in der Kultur als Lockstoff für die Ansiedlung von Besserverdienenden und zur Aufwertung von angeblich unterentwickelten Gebieten eine sehr dezidierte Rolle spielen soll, der wir uns mit dem Manifest öffentlich verweigert habens.

Was haben Politik und Verwaltung in den Städte denn überhaupt für Handlungsoptionen? Schließlich werden die Wohnungspreise vom privatwirtschaftlichen Markt geregelt.

Füllner: Naja, eine der uns wohl geläufigsten „Handlungsoptionen“ erleben wir bereits seit dem Regierungswechsel in Hamburg. Die SPD greift auf alte Mechanismen der staatlichen Regulierung zurück. Soziale Erhaltensverordnungen, geförderter Wohnungsbau und ein Bündnis mit der Immobilienwirtschaft, das sind Mittel, die die SPD jetzt ins Spiel bringt. Das ist grundsätzlich nicht völlig verkehrt, schließlich bremsen diese Techniken gewisse Marktmechanismen aus. Aber ich bin der Auffassung, dass wir mehr wagen müssen. Dabei kommen wir früher oder später um die Eigentumsfragen nicht drum rum. Nur wenn Wohnraum frei von Gewinninteressen ist und gesellschaftlich verwaltet wird, lässt er sich im Sinn der BewohnerInnen nutzen und gestalten.
Twickel: Dass Wohnungspreise privatwirtschaftlich geregelt werden, kommt ja daher, dass die Politik immer mehr darauf verzichtet hat, sich regelnd einzumischen und umgekehrt der Liberalisierung der Immobilienmärkte Tür und Tor geöffnet hat. Demgegenüber wirken so sozialdemokratisch abgefederte Instrumentarien wie z.B. die Münchener Bestimmungen zur “Sozialgerechten Bodennutzung” heute geradezu klassenkämpferisch.

Welche konkreten Erfolge haben Sie in Hamburg nach eineinhalb Jahren vorzuweisen?

Füllner: Ich halte es für einen der wichtigsten Erfolge, dass die Grundfesten einer neoliberale Stadtpolitik erste Kratzer bekommen haben. Steigende Mieten und die Folgen von Gentrifizierungsprozessen sind Themen, die den Leuten unter den Nägeln brennen. Das hat dazu geführt, dass sich im letzten Bürgerschaftswahlkampf die Parteien auf einmal mit Versprechen für den Wohnungsbau überboten haben. Initiativen aus dem Netzwerk „Recht auf Stadt“ haben aber auch ganz konkrete Teilerfolge erringen können. Beispiele wären der Rückkauf des Gängeviertels durch die Stadt, der vorläufige Stopp des Baus der Moorburgtrasse, die Schaffung des autonomen Nachbarschaftstreff Centro Sociale oder auch die Verhinderung einer Music Hall auf St. Pauli. Im Streit um den Erhalt einiger Wohnhäuser auf St. Pauli sind Politiker und Investorn den AnwohnerInnen schon seit weit entgegengekommen. Hier zeigt sich, dass es dem Netzwerk gelungen ist, Druck aufzubauen. Und solche Konflikte münden manchmal auch in größeren Veränderungen. Seit der Besetzung des Gängeviertels und dem Rückkauf durch die Stadt werden Bauflächen nicht mehr nach dem Höchstbietverfahren vergeben. So wurde es für die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA möglich, wieder in den Wohnungsbau einzusteigen.

Und jetzt mal ehrlich. Wenn die Stadt ein Innenstadtgrundstück für zig Millionen verkaufen kann, ist es möglich am Stadtrand von den Erlösen moderne Sozialwohnungen zu bauen. Ist das nicht besser als in der City ein paar Quadratmeter für soziale Randgruppen bereit zu halten?

Twickel: Dann machen die “sozialen Randgruppen” offensichtlich locker drei Viertel der Bevölkerung aus. Die Stadtentwickungspolitik der letzten drei Jahrzehnte orientiert sich – grob gesprochen – doch fast ausschließlich auf das obere Viertel der Bevölkerung. Da werden dann gerade nicht Sozialwohnungen gebaut, sondern man plant in Nachbarschaft zu den Großsiedlungen der Sechziger und Siebziger abgeschottete Townhouses für den oberen Mittelstand – und nennt das “soziale Durchmischung”. Oder ist es etwa in München so, dass Sozialwohnungen in Bogenhausen entstehen, damit die Reichen nicht so undurchmischt unter sich bleiben?
Füllner: Man darf natürlich nicht die Augen davor verschließen, auf wen die Politik im Konflikt mit dem Gängeviertel eingeht und wen man dagegen weiterhin links liegen lässt. Auf der einen Seite das so genannten kreative Milieu, das man versucht mit dem Rückkauf des Gängeviertels zu umarmen und auf der anderen Seite die an den Rand der Stadt Gedrängten. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass das Gängeviertel Räume für ein anderes Zusammenleben und Arbeiten öffnet. Weitere Sozialwohnungen am Stadtrand wären dagegen wohl etwas, was selbst in den Köpfen der PolitikerInnen keine Rolle mehr spielt. Es kann eben nicht sein, dass diejenigen, die allemal schlechtere Chancen haben, ein Dasein in der Peripherie fristen müssen, während die Mietpreise in den Stadtkernen explodieren.

Ihr sagt selber, dass es einen internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe und die besten Konzerne gibt. Standortmarketing ist zu einer wichtigen Aufgabe einer Kommune geworden. Je mehr Unternehmen sich ansiedeln, desto mehr Steuereinnahmen, die auch den benachteiligten Gruppen zu Gute kommen. Wo ist das Problem?

Wenn es denn so wäre! Die Konkurrenz um die sogenannten “creative economies” bringt ja gar nicht Wohlstand für alle – sondern in vielen Bereichen eine Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse. Die Putzjobs, die Pizza- und Sushi-Lieferdienste, die ganzen Dienstleistungstätigkeiten, die mit dem Boom in den erfolgreichen Metropolen entstehen – das sind ziemliche Scheißjobs. Sagt sogar Richard Florida selbst: Die Ungleichheit ist nirgendwo so groß wie in den “creative cities”. Und dass es in denjenigen Regionen, die Verlierer dieser Konkurrenz sind, noch mehr Armut gibt, ist ja vernünftigerweise ein Argument gegen diese Konkurrenz.

Und wie geht es nun bei Ihnen weiter?

Füllner: Bei den Kämpfen rund um das Recht auf die Stadt weiß man nie genau, welcher Konflikt als nächster ausbricht und wie und ob sich die BewohnerInnen der Stadt dagegen zur Wehr setzen werden. Das Netzwerk versucht diese Dynamiken nicht zu lenken, sondern es ist vielmehr so, dass hier die unterschiedlichsten Initiativen zusammentreffen und dann gemeinsame Strategien entwickeln. Rund um das Thema „steigende Mieten“ hat sich z.B. inzwischen ein Bündnis aus Initiativen, der Diakonie und Gewerkschaftsjugenden herausgebildet. Dort wird versucht eine Kampagne unter dem Slogan „Mietenwahnsinn stoppen“ anzuschieben. Und für den 29. Oktober ist aus Anlass der Veröffentlichung des neuen Mietenspiegels eine große Demonstration geplant.
Twickel: Seit der Besetzung des Gängeviertels im August 2009 gab es in Hamburg so viele Häuserbesetzungsversuche, Proteste gegen Leerstand und Mieterproteste wie in den letzten 20 Jahren zusammen nicht. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass das so weitergeht. Denn leider bleibt uns das Problem erhalten.

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