Im Fall der Fälle

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Die Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke soll verlängert werden. München hat mit dem Isar 1 einen Reaktor direkt vor der Haustür. Womöglich noch weitere acht Jahre. Ein Sicherheitsrisiko, meinen Kritiker. Auf alle Fälle ein Anlass, sich mal Gedanken über den Ernstfall zu machen.

Bayerns ältester Reaktor soll nach den Plänen der Bundesregierung acht Jahre länger am Netz bleiben. Bei der Nachricht wurde es vielen Menschen mulmig. Das Kernkraftwerk liegt direkt in der Einflugschneise des Münchner Flughafens. Man muss beim Stichwort „Flugzeug“ nicht gleich einen terroristischen Anschlag heraufbeschwören. Aber denkbar ist es eben.

Die Grünen im bayerischen Landtag halten das Szenario eines Flugzeugabsturzes nicht für abwegig. Und nicht nur ihnen bereitet das Sicherheitsniveau von Isar 1 Sorgen. Sogar das Ausland schläg Alarm.

Im benachbarten Oberösterreich warnt man davor, den Meiler weiter zu betreiben: Der österreichische Umweltlandesrat Rudi Anschober warnt, dass das Reaktorgebäude weder gegen einen Absturz von Militärflugzeugen, noch gegen einen Absturz von Verkehrs- und Frachtflugzeugen abgesichert sei. Mit einer Wandstärke von nur 40 cm habe Isar 1 bei einem solchen Aufprall keine Chance. Anschober beruft sich dabei auf eine neue Studie des „Büros für Atomsicherheit“.

Mit einer zweiten Studie aus diesem Jahr, diesmal vom „Intac“- Institut aus Hannover bekräftigt er seine Kritik: Demnach erfüllt das Isar 1 die Sicherheitsanforderungen nach dem heutigen Stand der Technik nicht. Die Nachweise der Störfallsicherheit seien teilweise älter als 30 Jahre – und somit trügerisch.

klimaherbst.de hat deshalb nachgefragt, was passieren würde, wenn es tatsächlich zu einem Unfall im Uralt-AKW käme – es muss ja nicht gleich ein Flugzeugabsturz sein.

Erst die Sirenen, dann das Radio

Eine Hauptrolle in diesem Szenario spielt der Katastrophenschutz. Zu den Katastrophenschutzbehörden gehören das bayerische Innenministerium, Bezirksregierungen und Kreisverwaltungsbehörden. „Deutsche Kernkraftwerke verfügen über Sicherheitseinrichtungen sowie vorgeplante Maßnahmen, die das Eintreten eines kerntechnischen Unfalls mit radiologischen Auswirkungen in der Umgebung praktisch ausschließen sollen“, informiert ein Sprecher der niederbayerischen Regierung.

Das heißt nicht, dass sie das auch zu hundert Prozent können. Wenn es also tatsächlich zur Katastrophe käme, wäre der erste Schritt die Warnung und Information der betroffenen Bevölkerung – mittels Sirenen und Radio. Welche weiteren Maßnahmen dann folgen, hängt von der jeweiligen Situation ab. Die Bezirksregierung nennt unter anderem „Verbleiben im Haus“, „Ausgabe und Einnahme von Kaliumiodidtabletten“ oder die „Evakuierung“.

Die Außenzone hat einen Radius von 25 Kilometer

Ist in der Strategie für den GAU auch eingeplant, dass für manche jede Hilfe zu spät kommen könnte? Die zentrale Zone direkt um das Kernkraftwerk hat im Katastrophen-Szenario der Staatsregierung einen Radius von zwei, die Mittelzone einen von 10, und die Außenzone einen Radius von 25 Kilometern. „‚Todeszonen‘ gibt es in den Plänen des nuklearen Katastrophenschutzes nicht“, wird diese Anfrage von der Bezirksregierung per Email beantwortet – das Wort „nicht“ ist dabei extra unterstrichen.

Neben speziellen Katastrophenschutzeinheiten halten sich Polizei, Feuerwehr und Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz als Helfer für den Ernstfall bereit. Man geht davon aus, dass sie den Unfallort sofort erreichen. AKW-Betreiber und Katastrophenschutzbehörden müssen Räume bereithalten, wo die Einsatzleitung vor Ort zusammenkommen kann. Zur Zeit wird das Katastrophenszenario regelmäßig geprobt und durchgespielt; große Übungen finden alle sechs Jahre, kleinere Übungen jährlich statt.

Die Katastrophenschutzpläne werden von den AKW-Betreibern, der Atomaufsichtsbehörde, dem Bayerischen Landesamt für Umwelt, Sicherheitsbehörden und Fachstellen erstellt. Auch die Gemeinden sind an den Konzepten beteiligt. Die Vorsorgepläne werden laufend aktualisiert, heißt es – speziell einen Flugzeugabsturz beinhalten sie jedoch nicht. „Eine Beschränkung auf bestimmte Szenarien in Bezug auf die kerntechnischen Anlagen gibt es dabei nicht.“

Trotz aller Vor- oder Nachsorge: Für die bayerischen Grünen ist das Isar 1 ein Sicherheitsrisiko; sie organisieren Widerstand. Sie fürchten, dass Nachrüstungen nur formal geplant – aber so lange aufgeschoben werden, bis sich der Ausbau nicht mehr lohnt. Sie begründen das damit, dass es zur Zeit keinen verbindlichen Zeitplan für die Maßnahme gäbe. „Die Staatsregierung wird uns detailliert darlegen müssen, was sie als Trägerin der Atomaufsicht unternimmt, um die Menschen vor Isar 1 zu schützen.“ Zudem halten sie die Laufzeitverlängerung ohne Beteiligung des Bundesrats für verfassungswidrig, und kündigen an, ihre Regierungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen und Bremen zu nutzen, um gemeinsam mit anderen Bundesländern vor das Verfassungsgericht zu ziehen und auf eine Beteiligung des Bundesrats zu drängen.

Bild: André Hirtz

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