Im Auftrag der britischen Regierung ist der Ökonom Tim Jackson den Zusammenhängen von Wachstum und Wohlstand nachgegangen und hat eine viel beachtete Studie über „Wohlstand ohne Wachstum“ vorgelegt, deren zentrale Ergebnisse er heute in München vorstellen wird. Wer das Buch noch nicht kennt, hat auf klimaherbst.de die Möglichkeit eine Textpassage aus seinem Buch zu lesen´, um sich einen kleinen Einblick in Jacksons Denkgebäude zu verschaffen.
Die Frage der Grenzen
Die Frage der Grenzen ist uralt. Ihre jüngere Geschichte kann man jedoch in drei Phasen unterteilen. Im späten 18. Jahrhundert griff der Pastor Thomas Robert Malthus die Diskussion in seinem Essay Das Bevölkerungsgesetz (An Essay on the Principle of Population) auf, der eine enorme Wirkung hatte. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Diskussion in dem Bericht Grenzen des Wachstums des Club of Rome in anderer Form weitergeführt. Heute befinden wir uns in der dritten Phase. Die Sorge über den Klimawandel und die Erdölknappheit (»Peak Oil«) konkurrierten mit der Angst vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft.
Den Geist von Malthus heraufzubeschwören, ist natürlich gefährlich. Er wird aus den unterschiedlichsten Gründen in Bausch und Bogen verdammt; manche dieser Gründe sind durchaus stichhaltig, etwa seine zynischen Ansichten über die Armut oder sein heftiger Widerstand gegen die Armengesetze. Und Malthus war es, der der Wirtschaftswissenschaft den Ruf einbrachte, eine »düstere Wissenschaft« zu sein. Wir können hier also gleich einräumen, dass Malthus falsch lag – zumindest, was die Details seiner Lehre betrifft.
Sehr verkürzt lief seine Argumentation darauf hinaus, dass die Bevölkerung stets schneller wächst als die Ressourcen, die für Nahrung und Wohnung zur Verfügung stehen. Früher oder später wird sich demnach die Bevölkerung über ihre »Existenzgrundlagen« hinaus vermehren, und ein Teil der Menschen, die ärmsten unter ihnen, wird Not leiden.
Dass er die strukturellen Ungleichheiten, die die Menschen arm hielten, nicht erkannte beziehungsweise sogar verteidigte, ist einer von Malthus’ Irrtümern. Obendrein hatte er sich aber auch gründlich verrechnet. Seit Malthus’ Tagen ist die Erdbevölkerung um das Sechsfache gewachsen, unter anderem, weil die Existenzgrundlage erheblich schneller wuchs als die Bevölkerung – ganz im Gegensatz zu Malthus’ Prämisse. Die Weltwirtschaft ist heute achtundsechzigmal größer als im Jahr 1800.
Was Malthus vollkommen übersehen hatte, sind die langfristigen Auswirkungen des gewaltigen technologischen Wandels, der sich damals bereits um ihn herum vollzog. Auch konnte er nicht voraussehen, dass der Fortschritt die Wachstumsrate der Bevölkerung deutlich verlangsamen würde. Heute wird der Ressourcenverbrauch stärker durch steigenden Reichtum als durch Bevölkerungswachstum beschleunigt. Die Existenzgrundlagen haben ohne Weiteres mit der Tendenz des Menschen, sich zu vermehren, Schritt halten können, vor allem, weil billige fossile Energie leicht zu haben war. Der gewaltige Anstieg des Ressourcenverbrauchs, verbunden mit einer, im Vergleich zu seiner Zeit, um das Siebzigfache größeren Weltwirtschaft, hätte Pastor Malthus vielleicht aber doch nachdenklich werden lassen. Wie konnte ein solches Wachstum auf die Dauer möglich
sein?
Genau diese Frage stellte eine Gruppe von Wissenschaftlern, als sie im Auftrag des Club of Rome die Frage der ökologischen Grenzen untersuchen sollte. Zusammen mit ihren Kollegen betrachteten Donella und Dennis Meadows den exponentiellen Zuwachs bei Ressourcenverbrauch, Bevölkerungsentwicklung und wirtschaftlicher Aktivität seit der ersten Industriellen Revolution und stellten sich eine sehr einfache Frage: War es vorstellbar, dass sich diese Kurven weiterhin so entwickeln würden, wie es konventionelle
Wirtschaftstheorien vorhersagten?
Sie wussten, dass natürliche Ökosysteme ganz anderen Kurven folgen (siehe nachfolgende Abbildung). Konnte es sein, dass die großen Erfolge menschlichen Fortschritts am Ende nichts anderes waren als das steile Anfangswachstum auf der linken Seite einer Glockenkurve? Und dass wir, wie jedes andere Ökosystem auch, das seine Ressourcenquelle ausschöpft, unweigerlich auf den Zusammenbruch zusteuerten?
Die Meadows behaupteten, Ressourcenknappheit würde die Preise steigen, die Möglichkeit für weiteres Wachstum fallen lassen. Sollte es nicht glingen, den Materialverbrauch einzuschränken, würden die Ressourcen schließlich zu Ende gehen, womit weiterer wirtschaftlicher Aktivität, zumindest in dem von den Optimisten vorausgesagten Maß, die Grundlage entzogen wäre.
Sie sammelten alles an Daten, was sie zur Rate der Ressourcengewinnung und zu verfügbaren Reserven finden konnten, und machten sich dann an die Aufgabe zu berechnen, wann die Wendepunkte erreicht sein würden, das heißt die Punkte, an denen Knappheit tatsächlich spürbare Folgen haben würde.
Wie sich herausstellte, erwiesen sich ihre Voraussagen als erstaunlich genau, obwohl zu der Zeit, als die Meadows ihren Bericht verfassten, Grunddaten zu natürlichen Ressourcen spärlicher vorhanden waren als heute. Der Bericht Grenzen des Wachstums sah für die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts signifikante Engpässe voraus, sollten keine Maßnahmen ergriffen werden, den Materialverbrauch zu begrenzen. Und tatsächlich drohte in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends Ressourcenknappheit.
Im Jahr 2000 war insbesondere die »Peak Oil«-Debatte bereits voll im Gange, ein heiß umstrittenes Thema. Die Verfechter von »Peak Oil« behaupteten, der Scheitelpunkt in der Ölförderung sei in wenigen Jahren erreicht, ja vielleicht sogar schon überschritten. Ihre Gegner verwiesen auf die gigantischen Reserven an Teersand und Ölschiefer. Daraus Öl zu gewinnen könne zwar kostspielig und umweltschädlich sein, aber bis zu einer echten Knappheit sei es noch lange, meinten die Optimisten.
In der Zwischenzeit stieg der Ölpreis stetig an. Man hatte bereits erlebt, dass eine Steigerung des Ölpreises die Weltwirtschaft destabilisieren und die Existenzsicherheit gefährden kann. Im Juli 2008 stieg der Ölpreis auf $147 pro Barrel (siehe nachfolgende Abbildung). Obwohl er in den folgenden Monaten wieder stark abfiel, ist die Bedrohung durch »Peak Oil« geblieben. Anfang des Jahres 2009 begann erneut ein Anstieg, der bis Ende 2010 anhielt.
Selbst die Internationale Energieagentur (IEA) hält es mittlerweile für möglich, der Scheitelpunkt könne bereits 2020 erreicht sein. Andere Beobachter gehen sogar von einem noch früheren Zeitpunkt aus. Ist der Scheitel überschritten, wird Öl zwar nicht verschwinden, es wird jedoch weniger geben, und die Förderung wird teurer sein. Die Zeit des billigen Öls wäre damit in jeder Hinsicht vorüber, und die Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Energiebranche würden sich unwiderruflich verändern. Nicht nur der Rohstoff Öl wird in den nächsten Jahrzehnten knapp werden. Im Jahr 2008 stiegen auch die Preise für Nahrungsmittel zur Jahresmitte hin stark an, was in manchen Ländern zu Unruhen führte. Nach der Preisspitze von 2008 und dem folgenden Preisverfall deutet der grundlegende Trend auf einen weiteren Anstieg hin (siehe auch Abbildung oben). Wie schon Malthus feststellte, ist für das bloße Auskommen fruchtbarer Boden die entscheidende Ressource. Dass die Nahrungsmittelpreise im Lauf des Jahres 2008 in die Höhe schnellten, lag mit Sicherheit auch an Konflikten um Land, insbesondere um die Nutzung von Land für den Anbau von Agrartreibstoffen. Niemand geht davon aus, dass sich diese Konflikte einfach in Luft auflösen werden.
Auch bei Bodenschätzen deutet der Trend einen Preisanstieg an. Das kann nicht überraschen. Der Bedarf steigt, und schon bei den aktuellen Fördermengen wird es bei einigen wichtigen Mineralien nicht mehr Jahrhunderte, sondern allenfalls Jahrzehnte dauern, bis die Vorräte erschöpft sind. Sollten die Fördermengen gesteigert werden, wird der Engpass nur umso früher eintreten.
Wenn die ganze Welt auch nur die Hälfte der Ressourcen verbrauchen würde wie die USA, wären Kupfer, Zinn, Silber, Chrom, Zink und eine Reihe anderer »strategischer Mineralien« innerhalb von weniger als vierzig Jahren erschöpft. Würden alle anderen ebenso viel verbrauchen wie die USA heute, wäre das in weniger als zwanzig Jahren der Fall. Selbst bei aktuellen Verbrauchsmengen werden einige Seltene Erden innerhalb der nächsten zehn Jahre aufgebraucht sein.
Als es 2008 zur Spekulationsblase bei den Rohstoffpreisen kam, spielten zahlreiche Faktoren eine Rolle. Zum Teil ging es einfach nur um kurzfristige Strategien. Es ist Konsens, dass kurzfristige Preisschwankungen kaum etwas über tatsächliche Knappheit aussagen. Daran halten sich die Optimisten gerne fest, wenn es gilt, die Frage der Ressourcenknappheit herunterzuspielen. Die Tatsache jedoch, dass die Preise für Rohstoffe zu stark schwanken, um verlässliche Informationen über unmittelbar bevorstehende Knappheiten zu liefern, ist auch ein Grund zur Beunruhigung. Schon allein die Angst vor einer Knappheit ließ die Preise 2008 nach oben schießen. Ebenso groß war ihre Tendenz, angesichts der Rezession zu kollabieren. Ob die Preise nun hoch oder tief standen – die Erschöpfung der tatsächlichen physischen Ressourcenbasis schritt unerbittlich voran. Der Markt kann dies nicht messen, da er zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.
So erklärte mir ein Ökonom mitten in der Kreditkrise: »Die Rezession, die viele Ökonomen angesichts der Spekulationsblase auf den Rohstoffmärkten erwartet hatten, nämlich eine durch hohe Ressourcenpreise verursachte Krise, die haben wir gar nicht bekommen.« Eines jedoch ist sicher: Die Rezession wird kommen, früher oder später. Und wenn das passiert, wird es sich nicht weniger dramatisch auf die Preise auswirken als im Jahr 2008. Die Folgen für die Wirtschaft werden verheerend sein.
Die dritte Phase der Debatte um die Grenzen unterscheidet sich von den beiden vorherigen. Ressourcenknappheit – die Frage der »Quellen« in der Sprache der Umweltökonomen – bildet nur einen Teil des Problems. Noch stärker wird die Debatte durch die Sorge um die »Senken« angeheizt – das heißt um die Fähigkeit des Planeten, die Folgen der wirtschaftlichen Aktivitäten für die Umwelt »zu assimilieren«. »Noch bevor uns das Öl ausgeht«, stellt der Ökologe Bill McKibben fest, »geht uns der Planet aus.«
Der Klimawandel gehört zum Problem der Senken. Er wird durch die Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre verursacht –
beschleunigt durch menschliche Aktivitäten, insbesondere durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe. Die Fähigkeit der Atmosphäre, diese Emissionen aufzunehmen, ohne dass es zu einem »gefährlichen« Klimawandel kommt, nimmt rapide ab.
In den späten 1980er-Jahren wurde die Welt durch den Klimawissenschaftler James Hansen und andere erstmals auf den Klimawandel aufmerksam gemacht, ein Phänomen, das in den letzten zwanzig Jahren politisch immer wichtiger geworden ist. Der 2006 veröffentlichte, einflussreiche Stern-Report hat den Klimawandel dann mit einem Schlag allgemein bekannt gemacht. Nicholas Stern, ein ehemaliger Ökonom bei der Weltbank, war gebeten worden, für das britische Finanzministerium eine Untersuchung
zu den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels zu leiten. Diese Untersuchung kam zu dem Schluss, dass frühzeitiges Handeln, mit geringen Einbußen beim BIP (möglicherweise nur ein Prozent), helfen würde, in der Folge erheblich höhere Kosten zu vermeiden (die sich möglicherweise auf 20 Prozent des BIP belaufen könnten).
Es ist bezeichnend, dass erst ein durch ein Finanzministerium beauftragter Ökonom kommen musste, um die Welt für ein Thema wachzurütteln, auf das Klimawissenschaftler – insbesondere das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz: der Weltklimarat) – seit Jahren aufmerksam gemacht hatten. Dies ist auch ein Beleg für die Macht der Ökonomen in der Welt der Politik. Die durchschlagende Wirkung des Stern-Reports ergibt sich aber auch aus seiner verführerischen Botschaft. Wir können mit dem Klimawandel fertig werden, so die Verheißung, und wir werden den Unterschied kaum merken. Das Wirtschaftswachstum kann mehr oder weniger weitergehen wie gewohnt.
Im Folgenden werden wir Gelegenheit haben, diese Botschaft etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Wer die Geschichte der Klimapolitik kennt, wird bezweifeln, dass es wirklich so einfach ist. Mit dem Kyoto-Protokoll verpflichteten sich die hoch entwickelten Volkswirtschaften, ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2010 (verglichen mit dem Stand von 1990) um etwa fünf Prozent zu reduzieren. Besonders viel hat sich bisher nicht getan. Seit 1990 sind die Emissionen weltweit um 40 Prozent gestiegen.
In der Zwischenzeit hat die Wissenschaft Fortschritte gemacht. Der Stern-Report hatte das Ziel gesetzt, die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre bei 550 ppm (parts per million – Teile pro Million) zu stabilisieren. Heute geben die meisten Wissenschaftler – auch Stern – zu, dass sich so ein gefährlicher menschengemachter Klimawandel nicht aufhalten lassen wird. Der vierte Klimabericht des IPCC stellt fest, dass wir eine Vorgabe von 450 ppm brauchen, soll der Klimawandel auf einen durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von zwei Grad Celsius beschränkt werden. Diese Vorgabe könnte eine Minderung der globalen Emissionen bis 2050 um bis zu 85 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 bedeuten.
Zwei Artikel, die im April 2009 in der Zeitschrift Nature erschienen, stellten sogar diese Argumentation in Frage. Die Autoren sind der Meinung, das gesamte Treibhausgasbudget bis 2050 müsse berücksichtigt werden. Bereits jetzt liegt die globale Konzentration in der Atmosphäre bei 435 ppm. Das heißt, wenn wir mit 75-prozentiger Wahrscheinlichkeit unter zwei Grad Celsius bleiben wollen, kann die Weltwirtschaft sich zwischen 2000 und 2050 nur noch Gesamtemissionen von höchstens 1.000Milliarden Tonnen Kohlendioxid (CO2) leisten. Entscheidend dabei ist, dass wir nach den Erkenntnissen der Autoren im Jahr 2008 bereits ein Drittel dieses Budgets verbraucht hatten. Das Budget einzuhalten, wird noch eine erheblich größere Herausforderung darstellen als das, was die von 450 ppm ausgehenden Szenarien nahelegen.
Diese Botschaft ist zutiefst unbequem. Das gefährliche Stadium des Klimawandels ist nur noch Jahrzehnte entfernt, und den verbleibenden »Puffer « brauchen wir viel zu schnell auf. Es kann Jahrzehnte dauern, bis wir unsere Energiesysteme umgebaut haben. Und wir haben gerade erst damit begonnen. Je mehr die Wissenschaft herausfindet, desto deutlicher wird, dass die Erwärmung der Erde für unser Überleben die größte Bedrohung sein könnte. Auch wenn das Klima als Problem erst relativ spät zum Thema wurde, könnte es sich als die Grenze aller Grenzen erweisen.
Jenseits der Grenzen
Diese knappe Darstellung der ökologischen Grenzen wird den ständig wachsenden Erkenntnissen im Bereich Ressourcen und Klima in keiner Weise gerecht. Viele Fragen wurden gar nicht angeschnitten, wie die rasche Abholzung der Wälder, der historisch einmalige Verlust an Biodiversität, der Zusammenbruch der Fischbestände, die Wasserknappheit oder die Verschmutzung von Ackerböden und Wasservorräten. Für eine eingehende Behandlung dieser Themen sei an andere Stellen verwiesen.
Gewissermaßen geht es auch gar nicht um die Einzelheiten. Die Einschätzung der ökologischen Folgen stellt heute niemand mehr ernsthaft in Frage. Beispielsweise ist allgemein anerkannt, dass seit der Mitte des 20. Jahrhunderts geschätzte 60 Prozent der weltweiten Ökosysteme geschädigt oder übernutzt worden sind.
Im gleichen Zeitraum ist die Weltwirtschaft um mehr als das Fünffache gewachsen. Wenn sie weiterhin im selben Tempo wächst, wird sie 2100 achtzigmal so groß sein wie 1950.27 Diese unglaubliche Steigerung weltwirtschaftlicher Aktivität hat kein historisches Vorbild. Sie verträgt sich in keiner Weise mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Endlichkeit der Ressourcen und der empfindlichen Ökologie, von der unser Überleben abhängt.
Eine Welt, in der alles so weitergeht wie bisher, ist nicht mehr vorstellbar. Wie aber sähe eine Welt aus, in der geschätzte neun Milliarden Menschen den gleichen materiellen Wohlstand erreichen wie in den OECD-Staaten? Dazu müsste die Wirtschaft im Jahr 2050 fünfzehnmal so groß sein wie heute (und fünfundsiebzigmal so groß wie 1950), am Ende des Jahrhunderts aber vierzigmal so groß wie heute (und zweihundertmal so groß wie 1950). Wie um alles in der Welt soll so eine Wirtschaft aussehen? Auf welcher Grundlage soll sie arbeiten? Kann das wirklich eine tragfähige Vision eines bleibenden Wohlstands für alle sein?
Meistens gehen wir der harten Realität solcher Zahlen aus dem Weg. Von Finanzkrisen einmal abgesehen, lautet die gängige Annahme, das Wachstum sei unendlich. Und das nicht nur für die ärmsten Länder, wo die Lebensqualität zweifellos verbessert werden muss, nein, auch für die reichsten Länder, wo der Überfluss an materiellen Gütern den Menschen kaum noch zusätzliches Glück beschert und die Grundlagen unseres Wohlergehens bedroht.
Wie wir später noch im Einzelnen sehen werden, sind die Gründe für diese kollektive Blindheit leicht zu finden. Die moderne Wirtschaft ist, wenn sie stabil bleiben will, strukturell auf Wachstum angewiesen. Wenn das Wachstum schwächelt – wie Ende 2008 auf dramatische Weise geschehen –, dann geraten Politiker in Panik, Unternehmen kämpfen ums Überleben, Menschen verlieren ihre Arbeit, manchmal auch ihre Häuser. Es droht eine Rezessionsspirale. Wachstum in Frage zu stellen, gilt als Akt von Wahnsinnigen, Idealisten und Revolutionären.
Dennoch müssen wir es hinterfragen. Die Vorstellung einer nicht wachsenden Wirtschaft mag für einen Ökonomen ein Gräuel sein. Den Ökologen jedoch graust es vor der Vorstellung einer ständig wachsenden Wirtschaft. Rein physisch kann ein Subsystem eines endlichen Systems nicht unendlich wachsen. Die Ökonomen müssen die Frage beantworten, wie eine ständig wachsende Wirtschaft in ein endliches Ökosystem hineinpassen soll.
Die einzige Antwort auf diese Frage ist bisher die Annahme – wie sie Ökonomen meist vertreten –, dass das Wachstum in Dollars von Materialverbrauch und Umweltfolgen »abgekoppelt« ist. Wie wir im Folgenden noch deutlicher sehen werden, ist diese Abkopplung bislang noch nicht ausreichend gelungen, und daran wird sich auch in näherer Zukunft nichts ändern. Allein das Ausmaß an Abkopplung, das notwendig wäre, um die hier dargestellten Grenzen einzuhalten (und dann auch innerhalb dieser Grenzen zu bleiben, während die Wirtschaft in alle Ewigkeit weiter wächst) ist unvorstellbar.
Kurz gesagt: Wir haben gar keine andere Wahl, als das Wachstum zu hinterfragen. Der Mythos Wachstum hat versagt. Er hat versagt gegenüber der einen Milliarde Menschen, die immer noch jeden Tag ihr Leben um den Preis einer Tasse Kaffee zu fristen versucht. Er hat gegenüber dem empfindlichen Ökosystem versagt, von dem unser Überleben abhängt. Selbst nach seinen eigenen Regeln hat er bei der Aufgabe, wirtschaftliche Stabilität und gesichertes Auskommen für die Menschen zu gewährleisten, auf spektakuläre Weise versagt.
Sollte die aktuelle Wirtschaftskrise wirklich, wie manche prophezeien, das Ende einer Epoche unbeschwerten Wachstums zumindest für die hoch entwickelten Länder bedeuten, dann sind die Anliegen dieses Buches natürlich doppelt relevant. Wenn die Wirtschaft ins Wanken gerät, ist es von Vorteil, als zusätzliches As ein Konzept für Wohlstand ohne Wachstum in der Hinterhand zu haben.
Wir stehen vor dem Ende der Ära des billigen Öls, so die unangenehme Realität. Wir stehen vor der Aussicht auf stetig steigende Rohstoffpreise, eine Verschlechterung von Luft, Wasser und Boden, vor Nutzungskonflikten um Land, Ressourcen, Wasser, Wald- und Fischereirechten, sowie vor der gewaltigen Herausforderung, das Weltklima zu stabilisieren. Und wir stehen vor all diesen Aufgaben mit einem von Grund auf zerrütteten Wirtschaftssystem, das dringend der Erneuerung bedarf.
Unter diesen Umständen kann man nicht einfach weitermachen wie bisher. Soziale Ungerechtigkeit und auf Umweltzerstörung gegründeter Wohlstand für einige Wenige können nicht die Grundlage einer zivilisierten Gesellschaft sein. Natürlich ist die Erholung der Wirtschaft nach der Krise lebenswichtig, und es ist dringend notwendig, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Wir brauchen aber auch dringend ein neues Bewusstsein dafür, dass Wohlstand uns allen gemeinsam gehört. Wir brauchen ein stärkeres Engagement für Gerechtigkeit in einer endlichen Welt.
Zu erwarten, dass politische Maßnahmen solche Aufgaben erfüllen können, mag in der heutigen Zeit ungewohnt, gar unpassend erscheinen. Die Rolle der Regierungen ist durch rein materielle Ziele stark eingeengt und durch falsche Vorstellungen von der unbegrenzten Freiheit des Verbrauchers ausgehöhlt worden. Wir müssen vollkommen neu darüber nachdenken, was Regierungsführung heißt.
Die Wirtschaftskrise gibt uns jedoch die einmalige Gelegenheit, in den Wandel zu investieren und das kurzfristige Denken, das die Gesellschaft über Jahrzehnte blockiert hat, wegzufegen. Solches Denken muss durch eine wohlüberlegte Politik ersetzt werden, die der enormen Herausforderung, bleibenden Wohlstand zu sichern, tatsächlich gewachsen ist.
Wohlstand ist letzten Endes mehr als die Befriedigung materieller Bedürfnisse. Er weist über materielle Interessen hinaus. Er ist tief in der Lebensqualität, der Gesundheit und dem Glück unserer Familien verankert. Er ist gegenwärtig in der Stärke unserer Beziehungen und in unserem Vertrauen in die Gemeinschaft. Er kommt zum Ausdruck, wenn wir bei der Arbeit zufrieden sind, wenn wir dieselben Werte und Ziele mit anderen teilen. Er hängt von unserer Fähigkeit ab, voll und ganz am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Wohlstand ist unsere Fähigkeit, uns als menschliche Wesen zu entwickeln und zu gedeihen – und das innerhalb der ökologischen Grenzen eines endlichen Planeten. Unsere Gesellschaft ist gefordert, Bedingungen zu schaffen, unter denen das möglich wird. Dies ist die vordringlichste Aufgabe unserer Zeit.
Die Textpassage wurde vom oekom Verlag zur Verfügung gestellt.
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