Die Entscheidung

„Sind Sie bereit?“ Die Worte schienen durch den mit unzähligen Apparaturen und Geräten vollgestopften Raum zu hallen. Es war nur ein einfacher Satz, drei Wörter. Aber dennoch hing so viel vom „Ja“ oder „Nein“ auf diese Frage ab, dass Georg Teleps unwillkürlich schlucken musste … Zum ersten Mal in seinem schon so langen Berufsleben als erfolgreicher Unternehmer, der schon bei risikoreichen Geschäften, bei denen sich diverse Broker an der Börse in den Selbstmord gestürzt hätten, nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte. Jetzt überfiel ihn Unruhe. Hatte er das wirklich tun sollen? War es richtig gewesen, die Bewerbung an das internationale Forschungszentrum abzuschicken? Routiniert schlug er sich die Zweifel aus dem Kopf. Es war ja nur ein kleiner Test, nun gut, von der Bedeutung her wohl doch etwas größer. Und das riesige Honorar, das ihm schon auf dem Holo-Pamphlet entgegengestrahlt hatte, war mehr als genug für diesen kleinen Job. Es hatte zu einfach geklungen, es war nur eine Testperson für einen neuartigen Nanoroboter gesucht worden, der mithilfe einer komplizierten Impulstransfusion vom Subjekt selbst durch seinen eigenen Körper gesteuert werden konnte. Das ganze Wissenschaftliche hatte Mr Teleps nicht interessiert, natürlich nicht. Nur das Geld. Also hatte er sich gemeldet und war zu seiner Freude wenig später genommen worden. Was konnte schon passieren? Höchstens eine Stunde würde er mit dem Nanoroboter in seinem Körper herumreisen, mehr nicht.
Grinsend stellte er sich vor, wie er vor den letzten Vertretern seriöser Zeitungen von seinen unglaublichen Erlebnissen berichteten würde … Das würde den Gewinn sicher noch einmal verdoppeln. Er würde dabei natürlich auch ein wenig übertreiben müssen … „Mr Teleps?“ Teleps hörte das ungeduldige Tappen von penibel sterilisierten Laborschuhen auf dem synthetischen Boden. Rasch tat er so, als optimiere er kurz sein erbsengroßes Hörgerät, das die Geräusche der Umgebung regulierte. Er lächelte entschuldigend. Nie würde er zugeben, dass er die ganze Zeit nur vom Geld geträumt hatte. Träumen war ein Anzeichen von Schwäche, sagte er sich und schärfte sich innerlich ein, dies niemals mehr zuzulassen. „Ich … äh …“ Seine Stimme war auf einmal ein wenig unsicher, schwankend. Dies war nicht die Stimme, die schon skrupellose Öl-Bosse in die Knie gezwungen hatte, nicht der eiskalte Ton, mit dem er seine Kollegen immer wieder verängstigt hatte. „Ja, ich bin bereit! Wenn Sie mir noch einen letzten Wunsch gewähren würden, vielleicht eine Zigarette ohne Nikotinersatz, wie man sie an den Automaten in Krankenzentren wohl nicht mehr kriegt …?“, fragte er sarkastisch. Ja, jetzt hatte er wieder die Oberhand. Teleps registrierte vergnügt, wie der leitende Arzt, ein gewisser Mr Flarko, ein wenig in sich zusammensank, sich aber sogleich wieder fasste und angespannt seufzte. „Herr Teleps, die Präparate halten nicht ewig. Wenn Sie hier mit uns Spielchen spielen wollen, dann können wir die ganze Sache gleich wieder vergessen.“ Mr Teleps lächelte in sich hinein. Wenn dieser armselige Arzt wüsste, was er mit seinem Pharma-Unternehmen machen könnte … Aber er wollte sich nun wirklich nicht mehr weiter ärgern, die wussten jetzt sowieso schon, wer hier die Oberhand hatte. So zuckte er theatralisch mit den Schultern. „Sie haben gewonnen, Doc. Also, mit was pumpen Sie mich jetzt voll?“ Dr. Flarko antwortete nicht und betätigte stattdessen vorsichtig den Knopf, der eine Infusion steuerte, die an Teleps‘ Schulter befestigt war. Ein Surren erfüllte den Raum und die Flüssigkeit, die eine beunruhigend gelbe Farbe hatte, sank weiter nach unten durch den Schlauch und in seinen Arm. Er versuchte, sich irgendwie zu entspannen, was auf dem harten Krankenbett allerdings nicht gerade einfach war. Dr. Flarko atmete tief aus. „Na gut. Das ist jetzt ein Fake-Präparat, das einen Virus beinhaltet, der zwar gefährlich wirkt, aber in Wirklichkeit harmloser ist als Darmbakterien. Sagen Sie mal … waren Sie in letzter Zeit krank?“ Mr Teleps hob die Augenbrauen. „Würde das etwas ausmachen?“ Dr. Flarko zuckte mit den Schultern, stoppte die Infusion und zog die Kanüle vorsichtig aus Mr Teleps‘ Arm. „Nicht gerade, sonst würde ich Sie nicht erst jetzt fragen.“ Mr Teleps seufzte. Schon wieder hatte er eine Schwäche preisgegeben. Was war heute bloß los mit ihm? „Nichts Besonderes.“ Mr Teleps zuckte mit den Schultern. „Letzte Woche zwei Tage AIDS, mehr nicht. Dank der neuen Immunpräparate kein Problem.“ Dr. Flarko nickte. „Also nichts Gravierendes … Na dann, fangen wir an!“ Die nächste Viertelstunde verbrachte er damit, Mr Teleps so zu verkabeln, dass er am Ende wie ein zentrales Modul einer Wasserstoffzelle aussah. Dr. Flarko musste ein wenig lächeln, als er den hilflosen Milliardär so vor sich sah. Er hatte den Typen von Anfang an nicht gemocht. Schon das Bild auf der Bewerbung hatte ihm unwillkürlich einen Schauer über den Rücken gejagt. Dieser Kerl hatte den verdammten Ruf, der beste Erbe von Dagobert Duck und Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte für das 22. Jahrhundert zu sein. Ein Geizhals wie aus dem Bilderbuch, womöglich sogar noch schlimmer – aber er war er der Einzige gewesen, der sich überhaupt gemeldet hatte.
Routiniert verband Dr. Flarko die Kabel und Sensoren an Teleps‘ Körper mit dem zentralen Impulstransformator. Nach beendeter Arbeit trat er grinsend zurück. „Die Tutanchamun-Mumie des modernen Zeitalters“, witzelte er. „Na grandios“, murmelte Mr Teleps mürrisch zur Antwort und wedelte ungeduldig mit der Hand. „Fangen Sie endlich an!“ Untergeben nickte der Arzt und schnippte einmal in der Luft. „Was soll das denn sein?“, wunderte Mr Teleps sich ärgerlich, während Flarko wartete. „Ach wissen Sie, ich habe jetzt gezaubert“, gab er abweisend zurück. Gerade als Teleps etwas Schlagkräftiges retournieren wollte, kam ein kleiner Arbeitsroboter hinein. Mr Teleps schäumte fast. Wie hatte er sich nur so niedermachen lassen können? Schwer atmend beruhigte er sich wieder, während der Arzt seelenruhig ein paar Bedienungselemente betätigte. „Machen Sie sich bereit, Teleps“, warnte Flarko und bereitete die Impulstransfusion vor. Er nahm rasch eine kleine Kapsel aus einem kleinen Fach des Roboters und hielt sie bedeutungsvoll hoch. „Hier ist Ihr Gefährt, Teleps“, kündigte er an. „Mit diesem Ding kommen Sie in ihren Körper.“ Mr Teleps nickte. Es ärgerte ihn, dass er einen kleinen Schweißtropfen auf seiner Stirn verspürte, der langsam hinunterlief. „Was werden Sie jetzt mit mir machen?“, fragte er, um irgendetwas zu tun. Der Arzt seufzte wieder. „Sie haben wohl davor überhaupt nicht zugehört?“ Ich spritze ihnen jetzt persönlich diese Nanokapsel, getarnt als Zelle. Innen sind bestimmte künstliche Nervenelemente angebracht, auf die ich ihre fünf Sinne jetzt umstellen werde. Klar? Danach fühlen Sie sich, als wären Sie in der Zelle, nein, als wären Sie die Zelle. Den Rest erkläre ich Ihnen, wenn Sie drinnen sind, sonst schlagen wir hier noch Wurzeln. Dr. Flarko war tatsächlich erfreut, als er dem zitternden Mr Teleps, der ein wenig seiner Selbstsicherheit schon verloren hatte, den winzigen, hoch entwickelten Apparat zeigte. Den würde er jetzt immerhin eine Stunde nicht mehr zu Gesicht bekommen. Danach begutachtete er noch einmal kritisch alles, was er verkabelt hatte. Sogar er selber fühlte sich ein wenig beunruhigt. Diese Forschungsergebnisse, die ihm Mr Teleps liefern würde, könnten ihn und das Pharmaunternehmen ganz nach oben bringen, er würde aufsteigen … Lächelnd vor Vorfreude kontrollierte er die Nervenverbindungen und drehte sich noch einmal zu dem eigenbrötlerischen Teleps um, der ihn schwer atmend anblickte. Keiner von ihnen sagte etwas, Dr. Flarko nickte nur einmal leicht, drehte sich um und tippte auf den Befehl Impulse umleiten auf Objekt A. Mr Teleps wurde schwarz vor Augen.

Ein durchgängiges Piepen … Mr Teleps war sofort hellwach … was immer das auch heißen mochte. Er schien sich in einem geräumigen, raumschiffartigen Ding zu befinden, das eine Art winziges Fenster an der Vorderseite besaß. Alles war gut. Eigenartigerweise fühlte er etwas, was ihn an ein warmes Bad erinnerte, warme Flüssigkeit schien seinen ganzen Körper zu erfüllen. Es roch nach Synthetik und außer dem durchgängigen Piepen ertönte nur ein ebenso kontinuierliches Rauschen. Rasch blickte Teleps an sich hinunter … und wollte aufschreien. Aber es gelang ihm nicht. Denn da war kein Mund zum Schreien! Schnell schaute er nach links, rechts … Das vertraute Gewicht eines Kopfes fehlte, was ihn absolut irritierte. Teleps fühlte sich wie eine Art Geist, ohne Körper. Wie konnte er sich bloß bewegen? Gerade als er seine vermeintlichen Augen betasten wollte und sich erinnerte, dass er ja auch keine Hände besaß, ertönte ein Rauschen aus dem Kontrollpult vor ihm. Unwillkürlich erinnerte sich Teleps an eine Sitzung vor Jahren, wo er das einzige – und wahrscheinlich letzte – Mal in seinem Leben Geld gespendet hatte. Na gut, nicht viel, zwei Charto, aber immerhin etwas. Überraschung überwog für einen Moment gegenüber seiner Angst. Warum musste er sich nur zu diesem unpassenden Zeitpunkt an so ein unangenehmes Erlebnis erinnern? Wenn er einen Kopf gehabt hätte, er hätte ihn geschüttelt. Es schien doch alles schief zu laufen, heute. Wann meldete sich dieser verdammte Flarko endlich? Wie zur Antwort verwandelte sich das Rauschen aus den Mikrofonen vor ihm in eine verzerrte Stimme, die ihm bekannt vorkam. „Teleps? Teleps? Können Sie mich hören?“ Mr Teleps wollte seinen Mund öffnen – nur um festzustellen, dass da natürlich kein Mund vorhanden war. Angst überfiel ihn. Was, wenn irgendetwas schief gelaufen war? Er konnte nichts machen, nur sehen und hören, was um ihn herum passierte. „Ich …“ Teleps erschrak. Wer hatte dort eben gesprochen? „Teleps? Georg Teleps?“ Ein Fluch tönte aus dem Mikrofon. „Sind Sie da? He, was war das da eben?“ Teleps atmete innerlich tief durch. Was sollte er nun tun? Natürlich, hier bin ich, verdammt, Sie unfähiger Mensch!, wollte er herausschreien. „Natürlich, hier bin ich verdammt, Sie unfähiger Mensch!“, hallte eine laute Stimme durch den Raum, die ihm bekannt vorkam. Teleps war in diesem Moment glücklich, dass er kein Herz besaß, das vor Schreck den Geist hätte aufgeben können. Woher war diese Stimme wieder gekommen? Sie hatte geklungen wie seine eigene … „Teleps?“ Flarko schien erfreut und Teleps hörte einen gedämpften Jubelschrei. „Ich hab’s geschafft, ich hab’s geschafft, ich hab’s geschahaft!, sang der Doktor voller Übermut. Teleps versuchte erst gar nicht, eine Augenbraue zu heben, die es sowieso nicht gab. Rasch überlegte er. Anscheinend wurde von irgendwoher ausgesprochen, was er dachte. Ein Gerät, das auf neuronale Strömungen reagierte? Vielleicht. Wo bin ich?, dachte er und seine Frage ertönte sofort durch die kleine Kommandozentrale. Er musste nicht sehr lange auf die Antwort warten. „Herr Teleps, Sie sind noch da, die Impulstransfusion hat funktioniert, Sie wissen gar nicht …“, brabbelte Flarko hastig voller Übermut. „Sie wissen gar nicht, was für einmalige Momente Sie da erleben …“ Ja, wirklich sehr einmalig, dachte Teleps mürrisch. Ich bin ein verdammter Geist, der sich wie in einem warmen Bad fühlt? Ach ja … könnten Sie mich zu allen wichtigen Holo-Sendern durchstellen, dass ich live berichte oder so …? Wieder wurde der Satz nach ein paar Sekunden vom Mikrofon wiederholt. Er grinste. Sein automatischer Geschäftssinn blitzte wieder durch. Irgendwie stellte ihn diese Erkenntnis zufrieden. Er war doch immer noch er selbst. „Oh … ich … nein, nein“, wiegelte Flarko ab. „Wir müssen schnell mit den Forschungen anfangen, bis das Fakevirus zerstört wird, da ist keine Zeit für so etwas. Ich habe ihre Anzahl von Fresszellen zwar schon mit der Infusion dezimiert, aber wir können uns nicht ganz sicher sein … Ach, Sie wissen gar nicht, wie stolz ich bin …“ Sagen Sie mal, hätte mir etwas passieren können? Eine Pause entstand. „Nein …“, antwortete Flarko. Seine Stimme wirkte ein wenig zusammengestaucht. „Nur … die Impulstransfusion funktioniert nicht immer, wissen Sie … Also nichts Schlimmes natürlich … Ach, wo war ich. Genau, Sie sind jetzt … also, wie soll man das sagen, ihre Wahrnehmung ist nun auf die verschiedenen Sensoren in diesem kleinen technischen Wunderstück umgestellt worden. Sprechen können Sie dank eines neurologischen Transformators“, erklärte er stolz. „Ich habe auch wirklich an alles gedacht … Nun, das vermutlich kontinuierliche Rauschen kommt von draußen, das ist Ihr Blut! Zu Ihrer Frage, wo sie genau sind, ich habe Sie in eine Vene an ihrem Becken eingeschleust, die zu Ihrer Bauchspeicheldrüse führt. Dort sitzt der Fake-Virus und den schalten Sie schnell mit dem Fake-Medikament aus, das in einen der Tanks des kleinen Roboters eingelassen ist, in dem Sie sich befinden. Ist doch gar nicht so schwierig, oder? Und zu diesem Warmbaderlebnis, wie Sie es ausgedrückt haben, das ist ihr Tastsinn. Die Sensoren dafür sind allerdings an der Außenseite der Nanozelle angebracht, also ist das „warme Wasser …“ – „… mein Blut?“, führte Teleps den Satz zu Ende. „Oh ja“, bestätigte Flarko. „Warten Sie mal … hier kommt gerade eine Nachricht Stufe acht herein … Nmmnmnmnmnm … Virus … DNA-Zerstörung … Ach du Scheiße …“ Lautes Fluchen ertönte wieder. „Das … darf doch nicht …“, sagte Flarko in vollkommener Ohnmacht so leise, dass Teleps ihn mit den Verzerrungen durch das Mikrofon kaum hörte. Teleps wollte automatisch misstrauisch die Stirn runzeln – Fehlanzeige! „Flarko? Flarko, sind Sie noch dran? Dr. Flarko!“ Panik schwang in seiner Stimme mit, die normalerweise verärgert geklungen hätte. Aber nun kümmerte er sich nicht mehr darum. Eine Nachricht Stufe acht – das waren normalerweise Nuklearkatastrophen, Attentate auf VIPs … oder eben … Seuchen … Das Wort schien in Teleps‘ Kopf zu hämmern. Was hatte Flarko gemurmelt? Seine Stimme war nun klar und deutlich durch das Mikrofon zu hören. „Teleps, wir haben hier einen Notfall. Die Firma Gemaxal® meldet einen neuen, gefährlichen Virusfund bei einer ihrer Testratten. Die Partikel werden durch alles übertragen, wirklich alles, Luft, Wasser, sogar unter der Erde sollen die Dinger überleben! Wissen Sie, was das bedeutet? Der Virus an sich verändert sich glücklicherweise nicht, aber … warten Sie mal … das aktualisiert sich hier gerade … aha … Die Firma meldet, dass jede Bestrahlung oder medikamentöse Behandlung erfolglos war!“, rief er. „Und ich … Verdammt, Teleps, das ist wirklich ernst! Gemaxal® behauptet, dass die Viren sich anscheinend als Fresszellen getarnt haben und sie dann kurzerhand überrannt haben!“ Ein hysterischer Ton mischte sich zur Angst in Flarkos Stimme. „Passen Sie auf, das werden Sie nicht glauben … Die Viren haben die DNA der Tiere völlig zerstört, in allen Zellen, verdammt!“ Flarkos Stimme überschlug sich. „Und dann … als sie nur noch eine leere Hülle waren … haben sie sie … von innen aufgefressen!!! Gemaxal® hat danach natürlich alles unter Quarantäne gestellt, aber es könnte sein, dass irgendwer ohne die nötigen Schutzmaßnahmen sich den Virus eingefangen haben könnte.“ Er holte tief Luft und wartete. Teleps hätte gelassen mit den Schultern gezuckt, wenn er welche gehabt hätte. „Und, bekomme ich für den ersten Einsatz des Nanoroboters hier deshalb ein höheres Honorar, weil die Forschungsergebnisse wertvoller werden? Kommen Sie, Flarko, das ist doch sicher nur ein Gerücht …“, meinte er gelassen. Sein Satz wurde von einem ohrenbetäubenden Rumpeln unterbrochen und der Nanoroboter krachte gegen eine verdammt harte Wand. Wenn Mr Teleps einen Körper gehabt hätte, er wäre in der kleinen Zentrale herumgeworfen worden. Einen Moment lang sah er vor lauter Gewackel gar nichts, dann stabilisierte sich alles wieder. Teleps spürte einen schweren Stoß und schrie auf. Die Zelle wankte und schwankte, wurde aus der Bahn geworfen. „Was ist das Flarko? Die Übungsviren, oder? Na, ich bin froh, wenn das hier vorbei ist … Aber Sie hatten nichts von brutalen Zusammenstößen gesagt!“ Schon als Flarko sich wieder meldete, wusste Teleps, dass etwas ganz und gar nicht gut war. Es war dieser unheilvolle Ton, den er schon so oft bei Besuchen von Hauptversammlungen gegnerischer Unternehmen gehört hatte, die er zuvor mit seinen Anwälten in die Mangel genommen hatte. „Flarko? Was ist denn los? Antworten Sie!“ Angst vereiste sein Herz. „Da stimmt etwas nicht!“, rief Mr Flarko durch das Mikrofon. „Sie sind noch nicht in der Bauchspeicheldrüse … das sind nicht die Fake-Viren! Warten Sie mal, ich scanne die Viren mal kurz. Na ja, vielleicht können Sie den Roboter sogar an echten Schädlingen testen!“, fügte er hoffnungsvoll hinzu. „Aber ich verstehe nicht … ich habe Sie doch auf Krankheiten getestet!“, murmelte er. Teleps wartete angespannt ab. Flarko schwieg sehr lange. „Sagen Sie schon, Doc“, forderte Teleps ärgerlich. „Was ist los?“ – „Äh … wissen sie, Teleps, ich …“ „WAS IST LOS?!“ – „Ich … Presecta 8b negativ.“ Flarkos Stimme war fast nur noch ein Flüstern. „Es … es ist das … das kann doch nicht sein … es ist das neue Virus.“ Bong … Bong. Eine Glocke schien in Teleps‘ Kopf zu läuten. Sie schien ihn zum Aufwachen aus diesem bösen Traum aufzufordern, der in Wirklichkeit gar keiner war. „Das …“ Teleps‘ Stimme war gebrochen. „Ich … habe es?“ Die Stille am anderen Ende des Mikrofons war kaum zu ertragen. In diesem Moment war Teleps froh, dass er keine Tränen zu Vergießen besaß, keinen tiefen Atem, den er holen könnte. Erkenntnis wuchs in ihm. Alles schien zusammenzupassen. Teleps hatte sich schon von vornherein gewundert, warum ihm der Name der Firma der Firma so bekannt vorgekommen war. Natürlich! Er war es schließlich gewesen, der das Tierversuchslabor von Gemaxal® kürzlich inspiziert hatte! Er war es gewesen, der lächelnd die Ärzte, die versucht hatten, ihm Schutzkleidung aufzuzwingen, abgewehrt hatte! „Meine Herren, der Anzug ist gerade neu, da will ich ihn doch wohl nicht mit einem dieser Synthetikkittel, die doch sowieso alle weiß abfärben, überdecken“, hörte er sich wieder sagen. Reue überfiel ihn. Damals musste er sich irgendwie angesteckt haben … Nein! Das durfte nicht sein, so etwas konnte nicht wahr sein! Aber Teleps wusste es. Er war infiziert. Er konnte nichts mehr tun. „Fl… Flarko? Was …?“ „Ich hole Sie schon wieder hoch …“, antwortete dieser routiniert. „Reimpulstransfusion“, befahl er seinem Computer. „Teleps, machen Sie sich keine Sorgen, bald sind Sie oben, wir stecken Sie in Quarantäne und irgendwie kriegen wir das wieder hin …“ Flarko wunderte sich über seine Worte. Vor einer halben Stunde hätte er Teleps diesen Tod gewünscht, aber nun war der Mann auch nur noch ein Mann, kein Scrooge. „Machen Sie sich bereit, ich …“ „Nein.“ Nur ein einfaches Wort. Ein einfacher Satz. Eine Entscheidung. Teleps hätte überrascht sein sollen. Aber er war es nicht. „Ich … nein!“, wiederholte er zur Bekräftigung. Er konnte förmlich die Verwunderung Flarkos in diesem Augenblick spüren, während der Arzt nach Worten suchte. „Wie … Sie … was … nein? Was … was meinen Sie?“ – „Nein“, sagte Teleps und seine Stimme war fest wie noch nie zuvor. „Sie merken es doch, das Virus ist schon weit. Mich bekommen Sie nie mehr heile … ich …“ Ein weiteres Rumpeln. Alles wackelte hin und her, Teleps erblickte riesige, furchterregende Gebilde durch die kleine Scheibe des Nanoroboters, die sich um die Fake-Zelle scharten und sie rammten. Er schrie in Gedanken auf, seine Stimme hallte durch die Zentrale. Für einen Moment sah er alles doppelt, er spürte einen stechenden Schmerz und verfluchte Flarko dafür, dass er die Schmerzsensoren außen am Roboter angebracht hatte. Und dann … Ein undurchdringliches Kissen schien sich auf Teleps‘ Ohren zu legen.
Flarko! Flarko!, dachte er panisch. Vermutlich waren die Akustiksensoren beschädigt … oh nein … Er fiel in tiefe Schwärze.

Dunkelheit. Vollkommene Isolation. Teleps kam das Bild wieder in den Kopf, als er feierlich zwei Charto in einen Spendenbehälter gelegt hatte, irgendwann einmal, vor gefühlten hundert Jahren. Es war das Einzige gewesen, was er der Welt je gegeben hatte. Zu wenig. Viel zu wenig, im Vergleich dazu, was er genommen hatte. Teleps schien zu schweben, irgendwo tief in sich selbst. Der Krankenhausraum, die Kommandozentrale waren weg, weit weg. Hier war alles still, ruhig. Ihm kam in den Sinn, wie Flarko einmal bei der Bewerbung erwähnt hatte, dass er Teleps‘ Gehirn mit dem Zentralcomputer synchronisieren würde. Nur zur Sicherheit, wenn die Verbindung abbrechen sollte. Teleps lächelte. Alles, was er der Welt gestohlen hatte, er würde es hiermit zurückgeben. Er würde sich revanchieren. Aber er wusste, dass er nicht mehr viel Zeit haben würde. Zu wenig Zeit für ausgedehnte Entscheidungen, Abschiede. Irgendwoher, von weit weg, schien jemand seinen Namen zu rufen. Er musste handeln, das Virus stoppen, bevor es seinen Körper verlassen konnte. Seltsamerweise fürchtete er sich nicht. Er fürchtete sich nicht vor dem, was er tun musste. Er lächelte wieder in sich hinein und griff in diesem Moment in Gedanken zum Zentralcomputer hinaus, der auch seine Infusionen steuerte. An seinem richtigen Körper, von dem er nun weit entfernt war, irgendwo tief drinnen. Es würde keine Schmerzen bereiten, so zu gehen. Er war in den Gedanken bei der Steuerung des Computers angelangt. Er wählte eine Substanz aus. Einen Moment zögerte er, den Begriff Aktivieren zu denken. Nur ein kleines, unbedeutendes Wort. Und es hing so viel vom „Ja“ oder „Nein“ ab, dass er schnell handelte. Dies würde alles vernichten. Den Virus – und ihn.

Zyankali-Infusion aktivieren.

Lukas Ryll, 12 Jahre; Gymnasium Bad Aibling

1 Kommentar zu “Die Entscheidung”

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