Green Building – Ja, wo bauen sie denn?

Deutschland könnte seine Kohlendioxid-Bilanz schnell aufpolieren. Rund 40 Prozent unseres CO2-Ausstoßes zischen beim Wohnen und Heizen in die Atmosphäre. Zugleich kann man in kaum einem Bereich so wirkungsvoll Energie sparen.

von Gerhard Matzig

Auch schon aufgewacht? Deutschlands Architekten haben heuer ein Klima-Manifest unterzeichnet und mahnend ins Netz gestellt (www.klima-manifest.de). Gefordert werden „Ideen, Utopien und Perspektiven, Entschiedenheit, Neugierde und Mut, um unser Leben so zu führen, dass die drohende Veränderung der Welt in Grenzen bleibt”. Die ökologische Wende möchte man erreichen „mit einer intelligenten und zukunftsweisenden Planung und Gestaltung unserer Städte und Bauwerke”. Und es ist verblüffenderweise gar nicht so falsch und gar nicht so naiv, wenn sich die Architekten und Ingenieure nun die rolle der Weltenretter zumuten. Denn am Bau wird tatsächlich das Schicksal der Erde entschieden – sofern es mit der Emission von Kohlendioxid als Folge der Energiefreisetzung verbunden ist.

Rund 40 Prozent des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes werden in Wohnhäusern oder Bürobauten produziert. Die Architektur ist neben Verkehr und Industrie einer der drei maßgeblichen Energiefaktoren unserer Zeit. Insbesondere die Frage, wie das Wohnen energetisch optimiert werden kann, gehört zu den Zukunftsfragen der Menschheit. Die Bewohner und Nutzer der Häuser haben das offenbar längst erkannt: Alles, was ein „Öko”-Label besitzt, wird gekauft. Die Nachfrage nach Heizungsunterstützung und Wärmegewinnung hat sich in kürzester Zeit vervierfacht. Passgenau melden Immobilienmakler ein steigendes Interesse an Niedrigenergie- oder sogar Passivhäusern. Und bessere Wärmeisolierung beschert den Handwerkszünften volle Auftragsbücher. Aber in diesem Riesengeschäft kommen Architekten bisher kaum vor.

Es sind immer dieselben Architekten, die das ökologische Bauen baukulturell anreichern: Thomas Herzog gehört dazu, Rolf Disch und der Avantgardist Werner Sobek, dessen spektakuläres Privathaus wie kein anderes gezeigt hat, wie mondän und futuristisch das aussehen kann, was man sich lange nur als klumpige, strohgedeckte Lehmhütte vorstellen mochte. Einer der wenigen jungen Architekten, der das Thema „Nachhaltigkeit” völlig selbstverständlich vertritt, ist Stefan Behnisch. Für die Hamburger Hafencity konzipierte sein Büro gerade den „Marco-Polo-Tower”, einen Wohnturm samt Erdreichwärmetauscher, optimierter Kastenbefensterung und einer enormen Solarkollektoren-Dachfläche.

Doch es gerät etwas in Bewegung: Für den Massentrend Öko-Architektur steigen immer mehr Architekten aus ihren Elfenbeintürmen. Der ungeheure Boom des „energieeffizienten Bauens”, die kursierenden Pläne von futuristischen Öko-Städten, all das begleitet den Umbau der Architektur. Das Bauen gerät auf diese Weise zur Apparatemedizin des ökologischen Jahrhunderts. Waren es früher die immer selben zehn Namen, die im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit am Bau fallen mussten, ist nun das Interesse an energieeffizienter Architektur auch dort stark angewachsen, wo bis zuletzt allein die Ästhetik verhandelt wurde.

In der Architektenschaft hat sich in den letzten Jahren ein regelrechter Paradigmenwechsel vollzogen. Das fängt bei der Ausbildung an, in der das früher so geschmähte Fach „Haustechnik” zum nachgefragten Studium „Clima-Design” avancierte – und es endet noch lange nicht bei der Flut von Kongressen, Symposien und Manifesten zum Thema.

In den USA haben sich die Öko-Ideen längst im Stadtbild manifestiert. New York und Chicago balgen sich nicht mehr darum, wer die höheren oder spektakuläreren Häuser hat, sondern darum, wer die grüneren Dächer besitzt. Chicagos Bürgermeister Richard Daley will mit dem Projekt „Green Roofing” flächendeckend die Dächer begrünen. Und rund um den verkehrsberuhigten Times Square des Big Apple soll nach der Vorstellung von Michael Bloomberg die „Öko-Hauptstadt der Welt” entstehen. Und zwar nicht aus Gründen der Moral – sondern schlicht aus marktwirtschaftlicher Überzeugung. Während in Deutschland schon seit Jahren bis in die verstecktesten Gremien und Funktionärsstuben hinein debattiert wird, wie energieeffiziente Gebäude zertifiziert werden können, ist das in Amerika Praxis. In den USA überbieten sich manche Projektentwickler mit den umweltverträglichsten Ideen, weil Green-Building-Zertifikate auch zu Marketingzwecken eingesetzt werden können. Investoren berichten begeistert davon, dass sich grüne Architektur-Technologie auch bei höherem Investment bezahlt macht.

Bleibt die Frage, ob man durch bessere Bauwerke eine unbequeme Veränderung des eigenen Lebensstils vermeiden kann?
Darüber wird erstaunlich wenig gesprochen auf den Symposien. Irritierenderweise scheint es nun wichtiger zu sein, sich gegenseitig mit den neuesten technischen Möglichkeiten des Energieeinsparens zu beeindrucken, statt dass man das eigene Verhalten infrage stellen würde. Anders gefragt: Liegt die Lösung in den Apparaten, oder wäre auch an die demütigende Zumutung zu denken, an einem kühlen Abend im Januar einen Pullover anzuziehen, um es wärmer zu haben?

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