Hilfe, ich bin ein Loha!

Urlaub in Freiburg statt in San Francisco?
Es ist gar nicht so einfach, ein neuer Öko zu sein.

von Peter Unfried

Freiburg

„Kinder, kommt mal alle her.” Sie kamen nicht her. Beziehungsweise erst nach Stunden. Ich sagte: „Folgendes: Wir fahren im Urlaub nicht nach Kalifornien.” Und setzte schnell hinterher: „Das gilt für dieses Jahr. Nicht für immer.” Trotzdem Geschrei und wüste Tumulte. Für Kinder zählt immer nur jetzt. Was das nun wieder solle, wie ungerecht das wäre und ob das überhaupt zulässig sei. Na ja, wir waren jedes Jahr in Kalifornien, seit meine Tochter dreieinhalb und mein Sohn eineinhalb war. Daher könnten sie vor Gericht vermutlich tatsächlich ein gewisses Gewohnheitsrecht geltend machen.

Es ist aber nun mal so, dass wir Neue Ökos geworden sind, seit ich Al Gores Öko-Dokumentarfilm „An Inconvenient Truth” sah. Davor hatte mich CO2 und so Zeug nie interessiert. Energie war für mich etwas, das ein Mars-Riegel sofort zurückbrachte. Nach Gores Film begriff ich plötzlich, was mir mein Bruder schon ein halbes Leben lang erzählt hatte – dass wir eine Klimakultur und einen Ökofaktor im Lebensstil brauchen. Dass wir bei uns anfangen sollten und nicht mit dem Zeigefinger auf andere zeigen. Früher dachte ich, mein Bruder habe einen kleinen Öko-Dachschaden. Jetzt bin ich selber so.

Seither üben wir uns in verantwortungsbewusstem Konsum. Das heißt: Wir setzen Teile unseres Geldes bewusst und strategisch ein. Es kann der erste Schritt eines weitergehenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozesses werden, an dessen Ende neue Produkte, eine neue Wirtschaft, eine echte Klimawandel-Politik und die Energiewende stehen. Im schlechtesten Fall ist es eine positive Entwicklung des eigenen Lebens.
Wir haben ein fantastisches Drei-Liter-Auto, einen wunderbaren Energiespar-Kühlschrank, den besten Ökostrom der Welt. Aber das reicht nur so und so weit. Langstreckenflug-Reduzierung ist die Königsdisziplin, wenn man mal mitgekriegt hat, wie viel ein Interkontinentalflug zum persönlichen ökologischen Fußabdruck beiträgt. Im Schnitt verursacht ein Deutscher elf Tonnen Kohlendioxid im Jahr, ein
Inder eine Tonne, ein Afrikaner praktisch nichts. Kalifornien hin und zurück mit einer vierköpfigen Familie macht 28 Tonnen.

Immer wieder sagen uns Freunde oder sogenannte „Freunde”: „Dann fahrt doch mit dem Schiff, hihihi.” Sehr witzig. Das Schlimmste ist, dass ich selbst die größte Sehnsucht habe. Wäre ich nicht in Kalifornien verliebt, hätte ich die anderen wohl nicht ständig hingeschleppt. Manchmal denke ich: Der Flieger fliegt doch auch ohne mich. Dafür könnte ich mich ohrfeigen. Manchmal spüre ich so ein komisches Ziehen im Zeh und denke: Wenn das Krebs im Endstadium ist, verspiele ich meine letzte Kalifornien-Chance.
Die Kinder hatten eigentlich immer gemurrt, wenn der Langstreckenflug Berlin – San Francisco anstand. Dauerte ihnen zu lange und war zu langweilig. Wieder mal typisch, dass sie nun anfingen, vom Pazifik
zu schwärmen. „Ich dachte, das Meer ist euch zu kalt.” Sie taten, als könnten sie sich nicht erinnern. „Wir müssen doch zur schönen Golden Gate Bridge”, sagten sie scheinheilig. Dabei hatten sie die letzten drei Male gesagt: „Äääh, nicht schon wieder.” Und nun greinten sie: „Wo sollen wir denn sonst hin?” Ich sagte todesmutig: „Wir fahren nach Freiburg.” Das folgende Geschrei erspare ich Ihnen. Wenn ich es richtig verstanden habe, wollen sie sich zur Adoption freigeben.

Peter Unfried ist Autor des Buches „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich” (Dumont) und stellvertretender Chefredakteur der taz.
Er lebt mit einer Frau, zwei Kindern und Drei-Liter-Auto in Berlin.

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