Möge der Strom mit dir sein

Wie kommt die gute Energie der Zukunft in unserer Stuben? Die Idee die Wüstensonne anzuzapfen klingt clever, doch viele warnen vor einer neuen Mega-Technologie.

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von Wolfgang Heuss

Mal begeistert Brüssel sich für Energiesparlampen. Mal jammern die AKW-Betreiber, sie seien „die ungeliebten Klimaschützer“. Mal rutschen Eisbären von der Scholle, weil wir den Fernseher auf Stand-by lassen, wenn wir nach Mallorca fliegen.
Die medienunterfütterte öffentliche Diskussion wirkt kurzatmig und planlos. Worum es eigentlich geht, gerät dabei schnell mal aus dem Blick. Es geht darum, Partei zu ergreifen: gegen Atomstrom, für erneuerbare Energien, für selbstbestimmten Verbrauch, gegen die Unterwerfung unter die Energiekonzerne.

Münchner Paradox
Im Jahr 2006 lehrten der Stern-Report und die Berichte des Weltklimarats die breite Masse das Fürchten. Nicht Ökofreaks, sondern seriöse Wissenschaftler warnten vor einer drohenden Klimakatastrophe – und ihren Kosten. Das Wort „Klimawandel“ wurde salonfähig, „nachhaltig“. Die Verfallsdaten der Biosphäre rückten näher: Business as usual, weitermachen wie bisher konnte plötzlich Besitzstände bedrohen. Ethisch fragwürdig war die hemmungslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen schon lange; jetzt galt sie vielen als ökonomisch riskant. Technik, Wirtschaft und Politik werden bestimmen, woher wir in München in zehn Jahren unseren Strom beziehen. Am stärksten zu Buche schlagen dürfte der politische Wille. Die Politik kann für Infrastruktursysteme Rahmenbedingungen setzen (muss es aber nicht).

Wir Münchner leben seit über zehn Jahren mit einem Paradox: Die rot-grüne Stadtspitze propagiert erneuerbare Energien und spricht sich klar gegen Kernenergie aus, aber die Ehe der Landeshauptstadt mit dem AKW Ohu hat Bestand.
Schauen wir uns drei verschiedene Szenarien für den nachhaltigen Strommix der Zukunft mal genauer an.

Renaissance der Kernenergie
Auf den Wandel des öffentlichen Bewusstseins reagierten die großen Stromversorger höchst professionell. Einerseits investierten sie in erneuerbare Energien, andererseits propagierten sie die „Renaissance der Kernenergie“ und schalteten Imageanzeigen, auf denen man vor lauter grünem Gras und blauem Himmel das AKW kaum noch erkennen konnte. Jeder Leser dieses Magazins kennt die Argumente der Atomkraftgegner. Weniger geläufig ist die These, dass es weder in Europa noch in den USA wirklich um den Bau neuer AKWs geht. In Wirklichkeit geht es bei der „Renaissance der Kernenergie“ in Europa und Nordamerika um die Verlängerung der Laufzeiten von rund 40 Jahren auf rund 60 Jahre. Dazu braucht man – anders als z.B. in China – Parlamente, Regierungen und – flankierend – Medien. Vattenfalls stures Festhalten am Schrottreaktor Krümmel zeigt, worum es geht: Kommt in Deutschland der Ausstieg aus dem Ausstieg, dann sind den großen Vier ihre sagenhaften Profite weiter garantiert. Käme es – was selbst nach dem nächsten Supergau unvorstellbar ist – weltweit zu einem schnellen Ausstieg aus der Atomkraft, stünden trotzdem noch Hunderte Generationen mit Unmengen hochradioaktivem Atommüll da, für den es noch immer kein Endlager gibt.

Die Technik in die Wüste schicken
Die Vorstellung, ein riesiges Stromnetz über Europa und Nordafrika zu spannen, war bis vor Kurzem einigen Visionären wie dem Physiker Gregor Czisch vorbehalten. Elektrizität würde völlig ohne Kernenergie und fossile Brennstoffe erzeugt werden. Vom Nordkap bis in den Tschad, von Island bis zum Ural würden Windparks, Solarthermie (siehe Kasten) und Biomasse eine Milliarde Menschen über HGÜ-Leitungen (siehe unten) mit Ökostrom versorgen. Voraussetzungen wären: zunächst ein länderübergreifender politischer Willensakt, dann 20 Jahre lang weltweit Frieden und 80 Milliarden Euro Investitionen pro Jahr. Zu schön, um wahr zu sein?

2009 werden Fakten geschaffen. Zwölf Firmen, darunter die in München beheimateten Global Players Münchner rück und Siemens, aber auch die Deutsche Bank, E.ON und RWE bilden ein Konsortium: DESERTEC soll in zehn Jahren Solarstrom aus Nordafrika nach Deutschland importieren. Der Investitionsbedarf wird auf 400 Milliarden Euro beziffert. Mit wie viel Steuergeldern darf „die größte private Ökostrominitiative“ wohl rechnen? Gegenüber Czischs Konzept wirkt DESERTEC reichlich abgespeckt. Da aber hinter dem Projekt geballte Industriemacht steht, wird die Politik sich fügen. Die Zivilgesellschaft darf trotzdem fragen, ob der Weg in eine weitere Megatechnologie wirklich zukunftsfähig ist.
Direkt neben dem gigantomanischen Drei-Schluchten-Damm am Yangtse sind Kampfjets stationiert; man weiß ja nie! Wird man diesen Weg auch am Affenfelsen Gibraltar und am Bosporus gehen müssen – Eurofighter für „ökostromerhaltende Maßnahmen“? Den Vorwurf neokolonialer Denkmuster weisen die Nordafrika-Beglücker natürlich weit von sich. Aber was spielt sich in den technikbegeisterten Köpfen ab? Dschuang-Tse, der vergnügteste der Taoisten, muss ihnen wie ein unheilbarer Spinner vorkommen mit seinem Gleichnis vom alten Mann, der lieber mühsam eimerweise Wasser schleppt als ein Schöpfrad zu bauen, wie ihm der forsche junge Mann empfiehlt. Dieser Gedanke, sagt der Alte, sei ihm in seiner Jugend natürlich auch gekommen, doch dann habe er nachgedacht und gemerkt: „Wenn ich meinem Geist erlaube, eine Maschine zu bauen, besteht die Gefahr, dass mein Geist maschinenartig wird.“

Small is beautiful
Wir brauchen keine Maschinenstürmer. Aber ein paar Besonnene, die den Konzernen laut zurufen: „Small is beautiful.“ Wir brauchen Maschinen im menschlichen Maßstab – überschaubare, dezentrale und damit beherrschbare Netze. Denn Do-it-yourself-Energie von der Photovoltaikanlage auf dem Dach bis zum Mini-Erdwärme-Erhitzer im Keller, unterstützt von regionalen, genossenschaftlich organisierten Stromversorgern, könnten beim Schutz der Erde mehr bewirken als unberechenbare Green-Engineering-Träume. Denn eines ist sicher: Die Zeit, einen falschen Weg zu beschreiten, gibt es nicht mehr.

Wolfgang Heuss
Der Autor engagiert sich beim Nuclear-Free Future Award (www.nuclear-free.com) und verantwortet die Webseite www.kernenergie.org.

Was ist ein Solarthermisches Kraftwerk?
Solarthermie ist etwas anderes als Photovoltaik und kommt ohne Solarzellen aus. Im Brennpunkt verspiegelter Parabolrinnen fließt in einem Rohr ein Spezialöl, welches durch die gebündelte Sonneneinstrahlung auf 400 Grad erhitzt wird. Damit wird Energiedampf für konventionelle Turbinen erzeugt. In Südspanien und Kalifornien gibt es bereits große Anlagen, in die unter anderem auch die SWM investiert haben.

HGÜ-Leitungen
Bei Hochspannungs-Gleichstromübertragung über weite Strecken geht viel weniger Energie verloren als bei Dreh- oder Wechselstrom.

Termine
Smart Grids – intelligente netze,
Mo., 19.10. Diskussion mit Axel Berg MdB,
Bayer. Landtag
T 089 85 63 50 50 5 S 21

DESERTEC – Wüstensonne für unser Stromnetz,
Di., 27.10., Vortrag ,
Presseclub Marienplatz
T 0177 436 63 50 5 S 26

Selber machen,
Sa., 24.10., Preisträger des Nuclear-Free Future Awards,
Ökologisches Bildungszentrum
T 089 93 94 89 70 5 S 25

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