Die durch den Freistaat Bayern anlässlich der überhöhten Umweltbelastung ausgelöste Diskussion zur Reduzierung des Autoverkehrs in der Münchner Innenstadt eröffnet für München die Chance, ebenso wie bereits 1972, zu einem weltweit beachteten Modell für eine zeitgemäße Stadtgestaltung zu werden. Dabei sollte es um wesentlich mehr als um eine im gesetzlichen Rahmen bleibende Umweltbelastung gehen.
Derzeit haben mehrere renommierte Städte Maßstäbe für eine engagierte Innenstadtentwicklung gesetzt, z.B. Kopenhagen und Wien sowie in Deutschland Hamburg und Nürnberg. In Hamburg investiert die Wirtschaft alleine in dem am 5. August 2014 genehmigten, bisher mit 12,5 ha größten Business Improvement District (BID) Nikolai-Quartier innerhalb von drei Jahren 9,3 Millionen Euro in die Aufwertung des städtischen Raumes und in das Quartiersmarketing! Daneben arbeiten in Hamburgs Innenstadt vier weitere BIDs mit Etats zwischen zwei und sechs Millionen Euro, ein weiterer befindet sich in Vorbereitung. Damit übernimmt die Wirtschaft (koordiniert durch die IHK) konstruktiv Verantwortung und trägt nicht nur Bedenken vor! (sehr gut informieren darüber die regelmäßig erscheinenden BIDnews).
Hamburg und Nürnberg zeigen, dass sich flächenhafte Verkehrsberuhigung und gute Autoerreichbarkeit keineswegs ausschließen müssen, ebenso die mit dem Welterbe-Titel ausgezeichnete Regensburger Altstadt. Auch in München ist die Autoerreichbarkeit wesentlich besser als ihr Ruf – nicht zuletzt, weil die wenigsten Innenstadtbesucher mit dem Auto kommen. Dennoch werden die nicht zum Fußgängerbereich umgewandelten Innenstadtstraßen durch parkende Fahrzeuge und Parksuchverkehr als Aufenthaltsräume weitgehend entwertet. Dies liegt unter anderem daran, dass dem Parken am Straßenrand von Handel und Politik ein viel zu hoher Stellenwert eingeräumt wird. Eigentlich sollten den Autofahrern die gleichen Fußwegdistanzen zugemutet werden können wie der großen Mehrheit der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Von den Nutzern der zahlreichen Parkhäuser wird dies ja auch akzeptiert; allerdings ist deren Anteil für die City einer Millionenstadt immer noch zu gering, wozu u.a. das Fehlen eines stimmigen Parkraummarketings und Managements beiträgt.
Die Fixierung auf den Parkplatz vor der Ladentüre zeigt, dass viele Händler und Politiker noch nicht begriffen haben, dass die Stärke der Innenstadt (nicht zuletzt im zunehmenden Wettbewerb mit dem Online-Handel) in der Vielzahl der Besuchszwecke und aufgesuchten Geschäfte liegt und ein Besucher um so mehr ausgibt, je weiter er in der Innenstadt läuft. Dies hatten bereits meine zuletzt 1997 in der Münchner Innenstadt durchgeführten Passantenbefragungen ergeben: Damals war nur gut jeder dritte Innenstadtbesucher hauptsächlich zum Einkaufen gekommen, ebenso viele nannten eine Freizeittätigkeit als Hauptbesuchszweck, wobei insgesamt durchschnittlich 2,7 verschiedene Tätigkeiten ausgeübt wurden. Die Einkäufer gingen durchschnittlich in 5,4 Geschäfte, samstags sogar in 6,6 Geschäfte! 32 Prozent der Einkäufer kamen von außerhalb des S-Bahn-Bereichs und gingen im Mittel in 7,7 Geschäfte. Man kann davon ausgehen, dass sich diese multioptionalen Verhaltensweisen seither weiter verstärkt haben, wie Zeitreihen eigener Befragungen in Nürnberg und Leipzig zeigen.
Hinzu kommt, dass zunehmend auch viele Besucher, die nicht zum Einkaufen gekommen sind, in Geschäfte gehen. Deren Anteil stieg bei meinen Befragungen zum Monitoring der Leipziger Innenstadt, in deren Rahmen inzwischen 4.450 Innenstadtbesucher befragt wurden, von 10 Prozent im Jahre 2010 über 12 Prozent 2013 auf 22 Prozent 2014. Es müsste demnach ein Anliegen der Händler und Gastronomen in der Innenstadt sein, durch gute Umweltbedingungen die Besucher zu möglichst langen Aufenthalten und Wegen zu Fuß zu animieren. Eigene Befragungen in drei Münchner Parkhäusern, die ich 1973 durchführen konnte, zeigten bereits damals beträchtliche Fußwegelängen. Spätere Befragungen in Nürnberger Parkhäusern bestätigten dieses Verhalten. Die Autofahrer sind also wesentlich besser zu Fuß, als viele Einzelhändler und Lokalpolitiker glauben, denn bei Innenstadtbesuchen ist oft auch der Weg das Ziel, vor allem bei den in München besonders zahlreichen Shoppingtouristen!
Ich halte es für außerordentlich wichtig, die Kontroversen über den Stellenwert der mit dem Auto kommenden und im öffentlichen Straßenraum parkenden Besucher der Münchner Innenstadt durch empirisch belegte Fakten zu versachlichen, da andernfalls die Entwicklungspotenziale der Innenstadt durch überholte, aber weiterhin vorgebrachte Einwände blockiert werden. Ich selber bemühe mich seit über vierzig Jahren, nicht zuletzt am Beispiel der Münchner Innenstadt mit eigenen Erhebungen dazu beizutragen. Leider sind auch in vielen anderen Städten bei traditionellen Bedenkenträgern aus der Wirtschaft und Politik ähnlich verengte Sichtweisen anzutreffen, was die Sache nicht besser macht.
Da München bei der Entwicklung des durch „Shopping“ geprägten Verhaltens der Innenstadtbesucher durch seine Angebotsvielfalt sowie extrem hohe Anteile nicht im klassischen Versorgungsbereich wohnender Besucher eine Spitzenstellung einnimmt, bietet sich meines Erachtens nun die Möglichkeit, entscheidende Fortschritte bei der Gestaltung der dafür geeigneten städtebaulichen Rahmenbedingungen zu erzielen. Hier bestehen aktuell beträchtliche Defizite, wie u.a. eigene Untersuchungen des Hackenviertels sowie das immer noch nicht im Stadtrat behandelte Gutachten zum Hackenviertel zeigen. Dabei geht es nicht um die propagandistisch als Kampfbegriff genutzte „autofreie Innenstadt“, die ohnehin niemand plant, sondern um die Entwicklung eines stimmigen Erschließungskonzeptes, das dem besonderen Wert der Innenstadt als Identitätsanker und sozialer Begegnungsraum entspricht und ihr gerade dadurch nicht zuletzt angesichts der Herausforderungen durch einen expandierenden Online-Handel ein Alleinstellungsmerkmal verschafft, das Online-Einkaufen überlegen ist.
Rolf Monheim
Prof. Dr. Rolf Monheim ist emeritierter Professor für Geographie an der Universität Bayreuth
Fotocredits: (Beitragsbild) ParkingDay des GreenCity e.V., Michaila Kuehnemann; (1) Andreas Schebesta; (2) Radlhauptstadt München, Simone Naumann
Materiell haben wir doch schon mehr als genug. Wieso brauchen wir dann noch mehr Konsum? Ich bin der Meinung, dass der Shopping-Wahnsinn unseren Planeten, genauer gesagt, die Menschheit an den Abgrund fürhen wird. Anstatt Materiell zu wachsen, sollten wir uns bemühen Geistig voranzuschreiten. Ebenso sehe ich die Business Improvement Districts eher kritisch. Die voranschreitende Privatisierung öffentlichen Raumes dürfen wir nicht hinnehmen. Der Autor spricht von der Innenstadt als „sozialer Begegnungsraum“, aber sollte sie nicht auch Raum für soziale Bewegungen bieten? Mit Straße und Plätzen in Privater Hand ist schnell kein Platz mehr für Protest da. Eindrucksvolles Beispiel dafür ist London, wo ein großteil des Öffentliches Raumes bereits Privatisiert wurde. Dass führte dazu, dass die Occupy bewegung kaum Platz für ihren Protest hatte.