Wir brauchen eine grundlegende Verkehrswende

ÖPNV-Offensive, Masterplan zur Luftreinhaltung, eigene Luftschadstoffmessungen: Aus Sicht des Bündnisses für saubere Luft ist keine der anvisierten Maßnahmen geeignet, die Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid in der Landeshauptstadt schnellstmöglich zu beenden. Dies kann nur durch eine grundlegende Verkehrswende gelingen.

Seit Januar 2010 muss der Grenzwert für den Jahresmittelwert von Stickstoffdioxid (40µg/m³) verbindlich eingehalten werden. Doch auch die jüngsten Messungen der Landeshauptstadt zeigen, dass die Werte 2018 an 20 Prozent der Messpunkte überschritten wurden. Auch wenn man es nicht sieht oder riecht, die Luft in München kann zu gesundheitlichen Problemen führen. Feinstaub und Stickstoffdioxid können Lungenleiden, Herzinfarkt und anderen Gefäßkrankheiten verursachen.

Dies hatten die Aktiven des Bündnisses für saubere Luft selbst nachgemessen. So zeigten sie im Jahr 2015, dass gerade in der Zeit, in der Kinder in die Schule gehen, auf deren Wegen und vor dem Schulgebäude hohe Feinstaubbelastungen vorliegen. Ebenso konnten sie bereits im Jahr 2016, nach Stickstoffdioxidmessung an 50 Stellen in München mit Passivsammlern, feststellen, dass das ganze Stadtgebiet von Grenzwertüberschreitungen betroffen ist und nicht nur die offiziellen Messpunkte.

2017 schien die Lösung greifbar: Durch den Druck des Bürgerbegehrens „Sauba sog i“ bewegt, beschloss der Münchner Stadtrat am 25. Januar eine Verkehrswende aus Luftreinhaltegründen. Bis 2025 müssen mindestens 80 Prozent aller Wege in München emissionsfrei zurückgelegt werden. Das kommt einer Halbierung des fossil betriebenen Autoverkehrs gleich. Das ist auch dringend nötig, denn in München verursachen Diesel-Pkw und der sogenannte „schwere Nutzverkehr“ insgesamt 91 Prozent der Stickstoffdioxid-Belastung. Gleichzeitig verpflichtete sich der Stadtrat, jährlich einen Monitoringbericht zur Luftreinhaltung vorzulegen. Da dieser bislang ausblieb, hat das Bündnis die wichtigsten Beschlüsse des Stadtrats zu Verkehrsthemen bewertet. Wo zeigten sich in den vergangenen zwei Jahren Verbesserungen? Wo gibt es für den Stadtrat weiteren Handlungsbedarf?

Fußverkehr: Abgesehen von der Umwandlung der Sendlinger Straße in eine Fußgängerzone und dem Beschluss, den Arnulfsteg trotz gestiegener Kosten zu bauen, wurde für die Verbesserung desFußverkehrs zu wenig unternommen. So wurde beispielsweise die Chance vertan, ein flächendeckendes, qualitativ hochwertiges Fußgängerleitsystem zu initialisieren, wie es Städte wie London, New York und Paris in den letzten Jahren mit großem Erfolg eingeführt haben. Ganz konkret fehlt auch ein Konzept, das Fußverkehrsnetz innerhalb des Mittleren Rings zu vergrößern.

Fahrradverkehr: Neben einigen guten Verbesserungen für den Radverkehr zeigen etwa die Fortschreibung des „Grundsatzbeschlusses Radverkehr“ oder auch die Radstreifen in der HerzogHeinrich-Straße, dass der Weg zur Radlhauptstadt noch sehr weit ist. „Die Stadt hinkt bei der Planung von Radschnellwegen insbesondere im Vergleich mit den Umlandgemeinden mindestens ein Jahr hinterher. Erste Ansätze, wie die Ampelschaltung in der Schellingstraße an den Radverkehr anzupassen, sind positiv, sollten aber zügig ausgeweitet werden. Ein wirkliches Umsteuern in Richtung einer Verkehrswende ist noch nicht zu erkennen“, sagt Sylvia Hladky, Sprecherin des Bündnisses.

ÖPNV: Wichtige Maßnahmen wie der Bau der Tram-Westtangente oder die Tram durch den Englischen Garten wurden zwar wieder in neuer Verpackung (ÖV-Offensive) präsentiert, der Bau wurde aber immer noch nicht beschlossen. Auch die Festlegung von Busspuren geht nur zögerlich voran. Der Bau neuer U-Bahnen ist langfristig in einigen Fällen sicher richtig, bezogen auf den Beschluss, „schnellstmöglich Verbesserungen der Luftqualität in München zu erreichen“, klingt der Plan eher nach Verzögerungstaktik.

Straßenbau: Wie so oft soll das Verkehrschaos durch den Ausbau der Straßeninfrastruktur verhindert werden. In allen Fällen werden bei den Baumaßnahmen keine Verbesserungen für den ÖPNV und den Fahrradverkehr eingeplant, der Autoverkehr wird demnach weiter zunehmen. Beispiele sind der Ausbau des Föhringer Rings und die Untertunnelung des Mittleren Rings in Höhe des Englischen Gartens. Bei beiden Maßnahmen wurde versäumt, die Situation für den öffentlichen sowie den Radverkehr zu verbessern.

In den aktuellen Bemühungen der Stadt München zur Luftreinhaltung sieht das Bündnis keine Ansätze für eine schnellstmögliche Beendigung der Überschreitungen der Grenzwerte wie von den Gerichten gefordert. Auf der Anklagebank sitzt der Freistaat Bayern, der in der Landeshauptstadt für den Luftreinhalteplan zuständig ist. Die Stadt München müsse sich jedoch aus Sicht des Bündnisses an ihre Beschlüsse zur Verkehrswende und Luftreinhaltung halten und dürfe die Verantwortung nicht auf andere abwälzen. „Wir haben das Gefühl, dass sich die Regierung von Oberbayern und die Stadt München gegenseitig die Verantwortung zuschieben und niemand die Federführung zur Umsetzung einer echten Verkehrswende in die Hand nehmen möchte“, so Andreas Schuster, einer der Sprecher des Bündnisses. „Auch auf Bundesebene muss die Stadt München deutlich mehr Duck aufbauen und ihre Stimme im Städtetag lauter erheben, z.B. für die Blaue Plakette.“ Doch genau das Gegenteil ist der Fall.

Die Messungen der Stadt München aus dem Jahr 2018 zeigen zwar eine Verbesserung der Werte gegenüber der Hochrechnung des Landesamtes für Umweltschutz aus dem Jahr 2017, trotzdem weisen noch 20 Prozent der Messpunkte Überschreitungen auf. Für das Bündnis liegt die Lösung auf der Hand: der motorisierte Individualverkehr muss reduziert und nachhaltige, flächeneffiziente Mobilitätslösungen ausgebaut werden. „Angesichts der Tatsache, dass somit weiterhin jede*r fünfte Münchner*in betroffen ist, fordern wir mehr Engagement bei der Umsetzung der vor über zwei Jahren beschlossenen Verkehrswende“, so Beppo Brem, ebenfalls Sprecher des Bündnisses für saubere Luft in München.

Sylvia Hladky ist Sprecherin des Bündnisses für saubere Luft in München und Mitglied im Vorstand des Klimaherbst e.V.

Andreas Schuster ist Sprecher des Bündnisses für saubere Luft in München und arbeitet bei Green City e.V. als Leiter des Bereichs Mobilität.

Benita Wehle und Sönke Mensing haben im Rahmen ihres Praktikums bei Green City e.V. am Text mitgewirkt.


Zum Weiterlesen:

Weitere Infos zum Bündnis für saubere Luft

Informationen zu den bürgerschaftlichen Messungen


Beitragsbild: © Simone Reitmeier



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