Wie bewältigen München und das Umland das Wachstum?

Darüber diskutierten am 12. Januar 2015 im Gasteig die Münchner Stadtbaurätin Prof. Dr. (I) Elisabeth Merk, der Landrat des Landkreises München, Christoph Göbel, der Erste Bürgermeister der Stadt Pfaffenhofen, Thomas Herker und Dr. Heike Piasecki vom Immobilienanalysten bulwiengesa. Moderiert wurde das Gespräch von Heiner Müller-Ermann, ehemaliger BR-Journalist und jahrzehntelang in der Bürgerinitiative gegen die Isentalautobahn engagiert.

Die Erwartungen an diesem Abend sind groß, sitzt mit Christoph Göbel auch der neugewählte Landrat des Landkreises München mit auf dem Podium. Er steht dem Landkreis der Superlative vor: Mit 330.000 Einwohnern der bevölkerungsreichste Landkreis Bayerns, dazu der am schnellsten wachsende.Ein Bevölkerungsplus von fast 16 Prozent bis 2032 sagt das Bayerische Landesamt für Statistik für Göbels Landkreis voraus. Auch er hat deshalb allen Grund, sich intensiv Gedanken zu machen, wie der Zuwachs verkraftet werden kann.

Heike Piasecki von bulwiengesa referiert zum Einstieg die Ergebnisse einer Studie, die der Immobilienanalyst vergangenes Jahr im Auftrag der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern erstellt hat. Titel: „Wachstumsdruck erfolgreich managen“. Und diese Ergebnisse haben eigentlich das Zeug dazu, die Teilnehmer auf dem Podium so richtig aufzurütteln. Zunächst Altbekanntes: Wachstum der Region München bis 2031 um weitere 263.000 Einwohner, die Zuwanderung nach München ist in der Hauptsache Arbeitsplatzzuwanderung, in der Landeshauptstadt München müssen aktuell 8.000 bis 9.000 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt werden, nur um die Neuankömmlinge unterzubringen.Tatsächlich sind es nur 6.000 Wohnungen gewesen, die im Jahr 2013 errichtet wurden. Dann auch Überraschendes: In der Region gibt es längst nicht mehr nur die Pendlerströme, die morgens zur Arbeit nach München fließen und abends wieder zurück. Inzwischen pendeln mehr Arbeitnehmer jeden Tag aus der Landeshauptstadt in den Landkreis München, als Landkreisbewohner täglich nach München zur Arbeit fahren. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist Garching: bei 16.000 Einwohnern gibt es in der Stadt 15.000 Arbeitsplätze. Das Bevölkerungswachstum in der Region erreicht in den kommenden zehn Jahren seinen Höhepunkt, um danach wieder abzuflachen.

Eine Prognose für den Wohnungsbedarf im Jahr 2030 geht davon aus, dass der Wohnungsbedarf im Landkreis München den Bestand um 33 Prozent übersteigt – stark steigende Bodenpreise und Mieten werden zwangsläufige Folge sein. Schließlich auch ganzen Region die größte Stadt und gleichzeitig auch die mit den größten Problemen, so Merk. Als Problemlöser für andere ist München daher vollkommen überfordert. Ja, räumt auch Landrat Christoph Göbel ein, es fehlt der Region beim Verkehr an leistungsfähigen Tangentialen, natürlich sei ihm klar, dass bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit geringerem Einkommen Mangelware ist. Bürgermeister Thomas Herker aus Pfaffenhofen spürt den Wachstumsdruck aus Richtung München, aber er will sich nicht beugen. Um fünf Prozent könnte die Einwohnerzahl Pfaffenhofens jedes Jahr wachsen. Gewünscht sind nur 1,5 Prozent, seine Identität will Pfaffenhofen nämlich nicht verlieren. So wächst die Stadt nur um den örtlichen Bedarf, auf Zuruf erteilt man niemandem Baurecht. So herrscht schnell Einigkeit auf dem Podium: Ja, es gibt ein paar Probleme, der Ausbau noch das: Der Ausbau der Verkehrswege in der Region, sowohl der Straße als auch der Schiene, hinkt dem Bedarf in einer Weise hinterher, dass die IHK diese Mobilitätsprobleme als „Wachstumsbremse“ und „Wachstumskiller“ gebrandmarkt hat. Hauptschuld für die Misere, so Heike Piasecki, trägt das radial auf München ausgerichtete Verkehrsnetz.

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Große Zeiten für Politiker mit Gestaltungswillen – so scheint es. Doch schon nach den ersten Statements macht sich Ernüchterung im Saal breit. Vom Podium tönt Realpolitik. Visionen hat nur Moderator Heiner Müller-Ermann. Und jedesmal wird er dann von Stadtbaurätin Elisabeth Merk gescholten, dass er die falschen Fragen stellt.

Eine Steuerung des Wachstums gelingt nur sehr beschränkt, beklagt Merk, es gibt Probleme der Münchner Region, die die einzelnen Gemeinden im Rahmen ihrer Planungshoheit nicht lösen können. Gerade bei großen Infrastrukturprojekten stoßen die einzelnen Gemeinden schnell an Schwellen, die sie alleine nicht überwinden können. München ist in der des öffentlichen Nahverkehrs tritt auf der Stelle, Wohnraum ist knapp und teuer, es gibt zuwenig Kindergärten und Schulen. Stadtbaurätin Merk findet, dass ein qualifizierter Dialog zwischen den Akteuren in der Region fehlt. Richten aber müssen es – und das bleibt auf dem Podium unwidersprochen – ganz andere: nämlich der Bund und der Freistaat.

Die Region München, die ein Drittel der Wirtschaftsleistung Bayerns erwirtschaftet, die nach den Worten der Immobilienanalystin Heike Piasecki in einer Standortkonkurrenz zu Stockholm, Paris und New York steht und gleichzeitig als stärkster Motor Deutschlands Wachstum treibt, ist also den Wachstumsfolgen machtlos ausgeliefert. Das bringt auch Moderator Heiner Müller-Ermann hörbar aus der Fassung. Er fragt in die Runde: Warum kann diese Region der Superlative ihre Probleme nicht selbst anpacken?

Das ist die falsche Frage, lässt ihn Stadtbaurätin Merk kühl wissen. Die Region München muss den Bund und den Freistaat in die Verantwortung nehmen, um die Wachstumsfolgen abzumildern, verlangt Merk. Wachstumswillige Gemeinden brauchen Unterstützung. Schrumpfenden Regionen wie dem Ruhrgebiet ist es durch geschlossenes Auftreten schließlich auch gelungen, Fördermittel vom Bund zugewiesen zu bekommen. Gerade beim Bundesverkehrswegeplan muss die Region Druck machen. Tangentialverbindungen im öffentlichen Nahverkehr, besonders die schon vor über zwei Jahrzehnten vorgeschlagene Stadt-Umland-Bahn, sind zwar sehr wichtig, erfüllen aber niemals die Wirtschaftlichkeitskriterien, um eine staatliche Förderung zu bekommen. Auch hier, findet Merk, ist der Bund gefordert, die Förderbedingungen zu verändern. Eine einzelne Kommune wie auch der Landkreis München kann ein solches Großprojekt unmöglich stemmen,pflichtet Landrat Göbel bei. So geht es munter weiter: Die Region München, erklärt Göbel, ist nicht in der Rolle, zu bestimmen, was an Schienenverkehrsmitteln gebaut wird. Das wird in Berlin entschieden,in München muss man dann eben nehmen, was man bekommt, Konzept hin oder her. Die Förderung, so Göbel, erfolgt in Paketen. Zuerst ist das eben die 2.S-Bahn-Stammstrecke, später folgen darauf aufbauend weitere Maßnahmen. Nur welche, das kann man im Moment noch nicht so genau sagen.

Heike Piasecki vom Immobilienanalysten bulwiengesa setzt den Schlusspunkt: Mit Blick auf Flächenreserven für Wohnungsbau und Gewerbe erklärt sie, dass überhaupt nicht klar ist, wie viele Flächen in der Region München dafür zur Verfügung stehen. Gerade eben erst wird mit dem Aufbau eines Flächenmanagement-Systems begonnen, um die Entwicklungsflächen zu erfassen und zu bewerten.Eine solche Übersicht existiert beim Regionalen Planungsverband München (RPV) als der für die Regionalplanung zuständigen Behörde bislang überhaupt nicht – und das vierzig Jahre nach ihrer Gründung! Einzig für den Bereich Wohnbauflächen gibt es seit 2014 eine Studie des Planungsverbandes Äußerer Wirtschaftsraum München, der in der Region Flächenpotenziale für den Bau von 220.000 Wohnungen sieht.

Das Fazit ist ernüchternd: Folgt man den Worten der Politiker und Planerinnen auf dem Podium, befindet sich die Steuerungsfähigkeit der Politik in der Region München nahe Null. Außer einigen Absichtserklärungen steht am Ende nicht ein einziger konkreter Vorschlag, nicht ein einziges Projekt, das für einen Aufbruch, für eine selbstbestimmte Gestaltung des regionalen Wachstums steht. Es bleibt der Eindruck,dass sich die verantwortlichen Politiker selbst als Getriebene verstehen, deren Kompetenzen zur Gestaltung nicht ausreichen, die zerrieben werden von kleinteiliger kommunaler Planungshoheit auf der einen und fehlender Unterstützung durch Bund und Freistaat auf der anderen Seite.Eines steht nach diesem Abend fest: Das rasante Wachstum der Region München wird trotz der bedenklichen politischen Gestaltungsschwäche weitergehen, das rasante Wachstum der damit verbundenen Probleme aber auch.

Dieser Artikel von Michael Schneider erschien in der Februar-Ausgabe von Standpunkte, ein Magazin vom Münchner Forum

 

Bildquelle: fragglerrocker77 Via CC BY-SA 2.0



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