„Alle schauen mit Spannung auf München“

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„Das größte Oppositionsbündnis, das Bayern je gesehen hat“, formiert sich laut Atomkraftgegner derzeit rund um die geplante Demonstration am 9. Oktober. Mehr als 10.000 Menschen sollen an dem Tag die Staatsregierung umzingeln. Unter dem Motto „KettenreAktion Bayern“ will das Bündnis aus Vereinen und Parteien eine zehn Kilometer lange Menschenkette für Atomausstieg und für die Energiewende quer durch München bilden. Wir haben den Mitveranstalter und Grünen Landesvorsitzenden Dieter Janecek gefragt, warum er jetzt noch an einen Erfolg des Protests glaubt.

Herr Janecek, wie kam es eigentlich zu diesem breiten Aktionsbündnis „KettenreAktion Bayern“?

Als im Frühjahr der Pläne von Bundes- und Landesregierung sich abzeichneten, mit der Verlängerung der Laufzeiten für AKWs den Schulturschluss mit der Atomlobby zu suchen, haben viele dies zurecht als Kampfansage verstanden. Seitdem organisieren wir den Widerstand aus der Mitte der Gesellschaft heraus.

Entstanden ist die „KettenreAktion Bayern“, die sich aus einem bunten überparteilichen Kreis aus Trägern zusammen setzt, der eine ganze Reihe von Unterstützern gefunden hat. Alle verbindet die gemeinsame Sache: 9. Oktober Menschenkette in München und der Ausstieg aus der Atomkraft. Zusammen stellen wir das größte Oppositionsbündnis das Bayern je gesehen hat und bilden ein Netz von den größten bis zu den kleinsten Bürgerinitiativen Bayerns, über unabhängige Institute, Foren, Vereine und Organisationen hinweg.

Die relativ wenigen Besucher der Montagsdemos am Stachus waren für viele ernüchternd. Warum schafft es das Thema nicht zur  Massenbewegung?

100 bis 200 Leute bei medial nicht beworbenen Spontan-Demos finde ich durchaus beachtlich. Der Münchner Verein Greencity leistet in der Organisation der spontanen Montagtsdemos hier auf ehrenamtlicher Basis Großartiges. Den Status einer Massenbewegung haben wir darüber hinaus längst erreicht. 100.000 Menschen waren in Berlin auf der Straße. Wenn die Zeit es zulassen würde, könnte ich zur Zeit fast täglich an Protestkundgebungen in ganz Bayern teilnehmen. So gibt es regelmäßige Montagsmahnwachen in Landshut und ein Großdemo dort am AKW Isar 1 kommenden Freitag. In Grafing kamen bei strömenden Regen vergangenen Samstag 400 Menschen zusammen, ähnlicher Auflauf in Gilching. Rosenheim, Würzburg, Hassfurt, Mehring, Schweinfurt, etc. – überall regen sich die Proteste. Und alle schauen natürlich mit Spannung auf den 9. Oktober nach München, wo wir ein machtvolles Signal gegen den AKW-Wahnsinn und Schwarz-Gelb setzen werden.

Das Energiekonzept der Regierung ist beschlossene Sache. Kommt Ihr Protest zu spät?

Das so genannte „Energiekonzept“ ist gerade erst im Kabinett beschlossen worden. Die Bundesregierung hat im Hinterzimmer verhandelt und versucht nun, jegliche Diskussion zu vermeiden. In einem möglichst kurzen parlamentarischen Verfahren soll der Kniefall vor der Atomlobby jetzt besiegelt werden. Die Mehrzahl der Verfassungsrechtler ist allerdings der Auffassung, dass insbesondere die Verlängerung der Laufzeiten im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Hier hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr. Wir stellen uns auf langwierige auch juristische Auseinandersetzungen ein und werden alles dafür tun, um dieses Milliarden-Geschenk an die vier Energiemonopolisten zu unterbinden.

Glauben Sie, nun noch etwas ändern zu können? Wie könnte ein  Szenario aussehen, an dessen Ende ein anderer Kompromiss steht?

Wir werden auf allen Ebenen Druck aufbauen, um die Regierung in ihren Grundfesten zu erschüttern. Die Stadtwerke kämpfen an unserer Seite, sie rechnen mit Belastungen in Milliardenhöhe. Viele im Mittelstand sind empört, dass man den Konzernen das Geld hinterherwirft. Auf der kommunalen Ebene sprechen sich Kreistage und Stadträte teils auch mit den Stimmen der CSU wie in Landshut und Schweinfurt gegen die Laufzeitverlängerung aus. Wir tragen den Protest auf die Straße. Nach München geht es weiter mit Gorleben, Castor-Demonstrationen, etc. Und nicht zuletzt stehen 2011 sechs Landtagswahlen an. Symbolträchtig im Frühjahr ist die Wahl in Baden-Württemberg, einem ehemals schwarz-gelben Kernland. All diese Wahlen sind auch eine Abstimmung über den Atomkurs der Bundesregierung. Wenn die Laufzeitverlängerung für AKWs vom Tisch ist, sind wir auch bereit im Dialog über die wirklich wichtigen Herausforderungen unserer Zeit zu sprechen: den Ausbau der Erneuerbaren, ein effektives Erneuerbares Wärmegesetz, den Ausbau der Netze und die Problematik effektiver Energiespeicher z.B. Es gibt soviel zu tun, doch die Regierung steuert mit Vollgas in die Vergangenheit.

Jetzt mal frei von der Leber weg: Was ärgert Sie bei dem Beschluss  am meisten?

Am meisten ärgert mich, dass durch Hinterzimmerverträge und Bevorzugung von wenigen Konzernen der Eindruck entstehen muss, Politik sei käuflich. Das fördert die Verdrossenheit gegenüber politischen Entscheidungsträgern. Zudem gibt es auf rein wissenschaftlicher Basis schlicht keine Notwendigkeit für Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken. Wir exportieren heute mehr Strom als wir importieren. In 3-5 Jahren wird der Anteil der Erneuerbaren bereits den der Risikotechnologie Atomkraft übersteigen. Der bestehende Atomkompromiss enthält also alle Voraussetzungen, um den Übergang ins Erneuerbare Zeitalter kraftvoll einzuleiten. Die Regierung hingegen bremst diese Entwicklung massiv. Bis 2020 sollen gegenüber dem aktuellen jährlichen Zubau Windkraft an Land um ca. 65 Prozent, Solarenergie um ca. 75 Prozent und Bioenergie gar um ca. 85 Prozent reduziert werden.


Gehen wir die Positiv-Semantik der Regierung doch mal kurz durch:  Dort heißt es, der Verlängerung der Atomlaufzeiten mache die Energie  bezahlbar und umweltfreundlich.

Das ist doch alles Augenwischerei. Die Laufzeitverlängerung bedeutet 100 Milliarden Euro Extraprofit für die Atomkonzerne. Sie verfestigt die Monopolstrukturen. Weniger Wettbewerb und mehr Macht für das Oligopol bedeuten höhere Preise. Für kleine Anbieter und Stadtwerke wird die Laufzeitverlängerung teuer und schlägt nach jüngsten Berechnungen mit rund sieben Milliarden Euro Verlust zu Buche. Um was geht es hier also? Wenige Konzerne wollen einen gigantischen Markt weiter fest im Griff behalten und die Preise nach Gutdünken diktieren. Mit Wettbewerb und kundenfreundlicher Preispolitik hat das alles nichts zu tun.

Die Atomenergie als „Brückentechnologie“ zu nutzen, sei ein  „Konzept der Vernunft“, sind sich die Bundesminister einig.

Da wir keine Stromlücke haben, brauchen wir auch keine Brückentechnologie. Die einzige Brücke, die hier gebaut werden soll, ist die hin zu einer Vielfachung des Atommülls mit all den Gefährdungen, die das mit sich bringt. Im Übrigen ist es augenfällig, dass der Übergang ins Erneuerbare Zeitalter bewusst nach hinten geschoben werden soll. Szenarien für den Ausbau von Windkraft, Sonne oder Biomasse werden im Energiekonzept der Regierung bewusst heruntergerechnet, um nachher argumentieren zu können, man sei auf andere Energieträger angewiesen. Energieeinsparpotentiale gerade in den Städten werden vernachlässigt. Alles nur, damit man eine Begründung für den Erhalt der Atomkraft finden kann.

E sheißt, durch die AKWs sei Geld für den Ausbau Erneuerbarer Energien da.  Bis 2050 soll der Anteil der Erneuerbaren am gesamten Energieverbrauch  60 Prozent betragen, am Stromverbrauch sogar 80 Prozent. Das ist doch  in Ihrem Sinne, oder?

2050 sind die meisten, die diesen Text hier lesen entweder im Rentenalter oder tot. Solche langfristigen Pläne hat vielleicht die DDR früher aufgestellt und sollen nur verschleiern, dass man in der mittelfristigen Perspektive die Erneuerbaren ausbremsen will. Für mich zählt, wie wir die kommenden Jahren nutzen, um den Umbau ins Erneuerbare Zeitalter zu bewerkstelligen. Und hier ist das Energiekonzept der Bundesregierung ein einziges Desaster. Der Bundesverband Erneuerbare Energien hat ein Szenario aufgestellt, nachdem im Strommix bereits 2020 rund 50 Prozent aus Wind, Sonne, Wasser stammen könnten. Das Problem ist doch, dass unsere Netze mit ihrer Auslegung auf unflexible Großkraftwerke nicht dafür ausgelegt sind, diese Strommengen aufzunehmen, da sie durch die AKWs wie Kohlekraftwerke quasi „verstopft“ sind. Hier müssen wir ganz konkret ansetzen. Die Herausforderung darüber hinaus ist, im Sinne der Klimaziele von zehn Tonnen CO2-Verbrauch pro Kopf auf zwei Tonnen herunterzukommen. Da helfen mir Laufzeitverlängerungen schon mal gleich gar nichts. Weg vom Öl, der Umbau der Städte und Netze, neue Mobilität, die Entwicklung neuer Energieeffizienztechnologien – das sind die Herausforderungen der Zukunft.

Aber die Großen müssen ja auch zahlen:  Bis 2016  sollen sie jährlich 2,3 Milliarden Euro Brennelementesteuer entrichten und  zusätzlich pro Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag an einen Fonds  zum Ausbau erneuerbarer Energien zahlen. Was wäre Ihre Forderung?

Von den 100 Milliarden Extraprofit, die vier großen Konzerne von der Regierung geschenkt bekommen, sollen lediglich 15 Prozent davon auf freiwilliger Basis in Energieeffizienz investiert werden – das ist, das, was sie sowieso ausgeben wollten. Und dann wird das Ganze auch nur bis 2016 unter dem Diktat der Konzerne befristet.

Eine Brennelementesteuer einzurichten, wäre unabhängig von der Laufzeitverlängerung ein sinnvoller Weg. Schließlich soll die öffentliche Hand bis dato für den größten Teil der Atom-Folgekosten wie die Sanierung des Versuchsendlagers Asse, des Endlagers Morsleben und der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe aufkommen. Ein höherer Beitrag derjenigen, die über Jahre hinweg von der Billigentsorgung profitiert haben, ist daher nur logisch

Zentraler Punkt des Energiekonzepts ist das Energiesparen.  Unter dem Strich soll der Treibhausgasausstoß bis 2020 um  40 Prozent gesenkt werden, bis 2050 um „mindestens 80 Prozent“ –  sind Sie da auf Regierungslinie?

Die Herausforderung ist die Drosselung unseres Pro-Kopf CO2-Verbrauchs von zehn Tonnen auf zwei Tonnen, um die UN-Klimaziele zu erreichen. Die Atomenergie ist bei einem solchen Szenario allerdings bedeutungslos. Global trägt sie gerade mal zwei Prozent zum Primärenergieverbrauch bei. Das entscheidennde Thema der Zukunft muss die Einsparung von Energie verbunden mit neuen Technologien und intelligenten Konzepten sein. Die größten Chancen liegen hierbei beim Umbau der Städte, die für 75 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Zurückdrängung des Individualverkehrs zugunster vernetzter Mobilität, konsequente Wärmedämmung bei Altbauten und harte Standards bei Neubauten sowie eine Effizienzrevolution im Bereich IT sind nur einige Beispiele, die wir im Rahmen eines Masterplans Energieeffizienz angehen müssten. Darüber hinaus darf aber auch die unbequeme Debatte um moderne positive Lebensstile nicht ausgespart werden. Wenn wir global den Fleischkonsum an den Tag legen, den wir in Bayern pflegen, können wir den Planeten aufgrund der verheerenden Folgen für Böden, Wälder, Wasserverbrauch, Energieeinsatz in Folge der industriellen Viehzucht bald dicht machen. Solche Grundsatzfragen werden von der Regierung nicht einmal angedacht.

Tipps:

Alles über Demo-Route und Mobilisierungs-Hilfen findet man auf der Seite des Bündnisses. www.anti-atom-bayern.de

Und als Warm-Up sei die nächste Montagsdemo von Green City empfohlen. Nicht mehr am Stachus, sondern vor der Höhle des Löwen:

Montags-Mikro

Zur Einstimmung auf die große Demo am 9. Oktober seid Ihr herzlich eingeladen, Euch wieder mit wortgewaltigen oder kreativen Beiträgen Luft zu…  machen. Bei der Veranstaltung am kommenden Montag ist die Sambagruppe Go Brazil dabei.

Montags-Mikro gegen Laufzeitverlängerung
Montag, 4. Oktober 2010 um 19:00
Franz-Josef-Strauss-Ring, ggü. Staatskanzlei

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