Vor dem Krisentreffen im Kanzleramt haben in 21 Städten der Republik mehr als Hunderttausend Menschen gegen Atomkraft demonstriert. Die Veranstalter sprachen von 160.000 Teilnehmern. Allein in München trugen nach Angaben der Veranstalter 25.000 Menschen ihre Forderungen auf die Straße. Auch wenn es laut Polizei nur 11.500 waren, waren es wohl genug, um die CSU vor den Verhandlungen der Regierungskoalition eindrucksvoll zum Ausstieg zu drängen: Gestern beschloss die Spitze der Koalition: Ausstieg bis 2021, dauerhafte Abschaltung der alten Meiler wie Isar 1 und Beibhelatung der Brennelementesteuer. Hier ein Video des Bund Naturschutz über den Demonstrationszug in München. Auch die Rede des DGB-Vorsitzenden in Bayern, Matthias Jena, gibt es hier nochmal zum Nachlesen.

Die Forderungen der Redner fanden im Kanzleramt in der Nacht zum Montag offenbar Gehör. Der Ausstieg kommt so schnell wie es nur geht – beziehungsweise so schnell wie es von der Ethikkomission für möglich gehalten wird.

Die Niederlage für Seehofer dürfte die Demonstranten besonders freuen: Entgegen der Forderungen der CSU soll die Brennelementesteuer trotz Atomausstieg erhalten bleiben.

Auch die FDP konnte sich bei dem Treffen der Regierungskoalition nicht durchsetzen: Als Datum für das Abschalten des letzten Meilers wird das Jahr 2021 genannt. Mit Puffer von einem Jahr.

Isar 1 wird nie mehr laufen. Ebenso die Forderung der Demonstranten, dass die ältesten Kernkraftwerke nicht mehr ans Netz gehen sollen, wird umgesetzt.

Hier dokumentieren wir die Rede von Matthias Jena, Vorsitzender des DGB Bayern:

Atomkraft: Schluss!

Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima – wenn sich die Atomenergie nach den sogenannten Fachleuten richten würde, hätte es für diese 3 Super-GAUs 100.000 Jahre gebraucht. In Wirklichkeit waren es gerade einmal 30 Jahre. Wir misstrauen diesen selbsternannten Experten!

Wir wissen: Es gibt keine sichere Atomkraft – nirgendwo auf der Welt. Die Nuklearenergie ist und bleibt eine Gefahr für die Menschheit. Was als „Restrisiko“ verharmlost wird, bedeutet im Ernstfall unbewohnbare Landstriche, Zerstörung und Tod.

Eine Technologie, bei der jedes technische Versagen und jeder menschliche Fehler in die Katastrophe führen können, ist menschenfeindlich und demokratiefeindlich!
Das Leben und die Gesundheit der Menschen dürfen nicht auf dem Altar des sogenannten „freien Marktes“ geopfert werden. Die Politik muss dem maßlosen Gewinnstreben Einzelner Grenzen setzen.

Merkel, Röttgen, Seehofer und Söder – die gleichen, die noch im Herbst die Laufzeiten verlängert haben – behaupten jetzt: Fukushima habe alles verändert.

Das ist natürlich parteipolitischer Blödsinn.

Isar1 ist gegen den Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges nicht gesichert, liegt in der Einflugschneise des Münchner Flughafens und hat keine Schutzhülle. Das war schon vor Fukushima so.

Trotzdem hat die Bundesregierung die Laufzeiten verlängert, um den Atomkonzernen zusätzliche Milliarden in den Rachen zu schieben. Damals ging es ums Sparpaket, bei dem die Bundesregierung nur den Arbeitnehmern und Arbeitslosen in die Tasche gegriffen hat. Als Placebo-Sparbeitrag der Unternehmen hat Schwarz-Gelb die halbherzige Brennelementesteuer erfunden und den Konzernen dafür die Laufzeitverlängerung geschenkt. Die Steuer muss bleiben, sonst wird das Sparpaket völlig zur Farce.

Bei dem schmutzigen Atom-Deal haben die Regierenden keine Sekunde an die Sicherheit der Menschen gedacht. Die drehen sich wie ein Fähnchen im atomaren Sturm. Und jetzt drehen sie sich schon wieder zurück. Ausstieg bis 2022 – oder -25, dazu noch eine Revisionsklausel. Genauso gut könnten sie gleich sagen: Wir werden den Atomausstieg alle paar Jahre weiter nach hinten verschieben. Die spielen auf Zeit.

Wir lassen uns keine Angst machen von den Einschüchterungsversuchen der Atom-Lobby und der Atom-Parteien.

Hört auf, uns mit steigenden Strompreisen und angeblichen Stromausfällen zu drohen! Schafft gefälligst die Voraussetzungen, dass beides nicht passiert!

Baut intelligente Netze! Fördert Speichertechnologien und alternative Energien! Wir
brauchen keine Atomkraft! Wir können auch so genügend Strom produzieren. Das ist nur eine Frage des politischen Willens!

Energieversorgung ohne Atomkraft nutzt unserer Sicherheit, schafft Arbeitsplätzen und schützt die Umwelt. Energiesparen, Energieeffizienz und ein schneller Umstieg auf alternative Energien bieten ein riesiges Entwicklungspotenzial für Handwerk, Industrie und Handel.

Wir haben die Chance auf zigtausende neue Arbeitsplätze. Auch die Beschäftigten in den AKW’s werden noch Jahrzehnte gebraucht. Schon um die Folgen des atomaren Wahnsinns zu beseitigen und den Müll zu entsorgen. Und diese hochqualifizierten Energieexperten müssen an anderen Stellen in den Unternehmen weiterarbeiten können. Auch hier sind die Konzerne in der Pflicht!

Und: Atomenergie ist nicht billig!

Wir bezahlen den Transport, die Endlagerung und das Risiko. Die Gewinne machen die Konzerne. Ob bei der Bankenrettung oder bei der verfehlten Energiepolitik – es ist immer das gleiche: die Kosten der Allgemeinheit und die Gewinne den Unternehmen. Das machen wir nicht
mehr mit!

Jetzt drehen wir den Spieß um: Die Energiekonzerne, die Jahr für Jahr auf unsere Kosten Milliarden scheffeln, sollen gefälligst die Energiewende bezahlen!

Auch das ist nur eine Frage des politischen Willens! Wir haben keine Angst vor dem Märchen von Stromausfällen und steigenden Stromkosten, wir haben Angst vor der atomaren Realität. Wir haben Angst vor einem Super-GAU in Deutschland. Und wir haben Angst vor den Bergen von Atommüll.

Für jedes Klohäuschen, das irgendwo aufgestellt wird, braucht man eine genehmigte Entsorgung. Nur beim Atommüll da geht das alles einfach so.
Ich fordere die Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung auf: Steigen Sie aus der Atomkraft aus! Schnell! Ohne Zögern! Ohne Revisionsklauseln! Ohne die Verrechnung von Restlaufzeiten, ohne Tricks!

Raus aus der Atomenergie!
Die alten Atommeiler dürfen nie wieder ans Netz!
Alle AKW’s endgültig abschalten!

Matthias Jena, Vorsitzender DGB Bayern, Rede Anti-Atom-Demo, 28.5.11 in München

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