NAHRUNGSMITTELPREISE AN DER BÖRSE: DIE HAUSSE UND DER HUNGER

Seit Großbanken die Spekulation mit Nahrungsmitteln entdeckt haben, sprudelt für Investoren eine lukrative Gewinnquelle. Für die Ärmsten verschärft sich dagegen ihre ohnehin prekäre Situation, denn die Preise für Weizen, Mais und Soja sind so hoch wie nie zuvor. Und das ist kein Zufall.

Nicolas Sarkozy, Frankreichs ehemaliger Staatspräsident, gilt nicht gerade als Anwalt der Armen und Schwachen. Umso mehr überraschte es, dass er sich im Januar 2011 bei der Vorstellung der Ziele für Frankreichs Präsidentschaft in der Gruppe der 20 führenden Staaten (G20) energisch für die Bedürftigsten der Welt stark machte. Für jene, die hungern müssen, weil sie die hohen Preise für Nahrungsmittel nicht bezahlen können. An ihrem Schicksal, erklärte Sarkozy, trage die Spekulation von Kapitalanleger(inne)n auf den Märkten für Rohstoffe und Getreide erhebliche Mitschuld. „Wenn wir dagegen nichts tun, dann riskieren wir Hungerrevolten in den armen Ländern und schlimme Folgen für die Weltwirtschaft“. Die G20-Staaten müssten darum Regeln vereinbaren, die den Einfluss der Finanzinvestoren zurückdrängen. Erstmals erhob damit der Staatschef einer Industrienation eine Anklage, die bis dahin nur wenige Ökonomen und viele Aktivisten vergeblich vorgetragen hatten: Kapitalanlegende in aller Welt nehmen billigend in Kauf, dass sie Millionen Menschen in die Hungersnot treiben, weil sie an den Börsen auf steigende Preise für Rohstoffe und Getreide setzen. Sarkozy formulierte es so: Die Spekulanten erzeugen „Wucherpreise“ und betreiben so „eine Plünderung der armen Länder“, die auf Nahrungs- und Ölimporte angewiesen sind. Das Problem könnte kaum drängender sein. Seit dem Jahr 2000, nur kurz unterbrochen
während der Finanzkrise 2008, steigen weltweit die Preise für Grundnahrungsmittel. Egal ob Getreide, Speiseöl, Zucker oder Milch: Alle wichtigen agrarischen Rohstoffe für die menschliche Ernährung waren auf den Weltmärkten im Frühjahr 2011 nach Abzug der Inflation mindestens doppelt so teuer wie zehn Jahre zuvor. In den reichen Industriestaaten, wo die Verbraucher(innen) weniger als zehn Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, fällt das kaum ins Gewicht. Doch für die rund eine Milliarde Menschen in den Entwicklungsländern, die den größten Teil ihrer Einkünfte für die Ernährung verwenden müssen, bedeuten die Preissteigerungen gravierende Einschränkungen. Vielen bringen sie Krankheit und Tod. Allein 2010 seien die Nahrungspreise um mehr als ein Drittel gestiegen, berichtete die Weltbank und schätzte, dass mehr als 40 Millionen Menschen dadurch zusätzlich in absolute Armut gestürzt wurden.

DIE TAKTIK DES ABSTREITENS IST VOR ALLEM DESHALB SO ERFOLGREICH, WEIL DIE MODERNE ROHSTOFFSPEKULATION EIN HÖCHST UNDURCHSICHTIGER VORGANG IST.

Während die Agrarpreise immer neue Höhen erreichen und die Warnmeldungen aus den Armutsregionen sich häufen, verzeichnet auch das andere Ende der Weltgesellscha! einen Rekord: Investoren aller Art, von milliardenschweren Pensionsfonds bis hin zu vielen tausend Kleinanlegern, haben mehr als 600 Milliarden USDollar in Wertpapiere investiert, mit denen sie vom Anstieg der Rohstoffpreise profitieren. Dies ist mehr als das Vierzigfache dessen, was vor zehn Jahren in diesem Sektor des Kapitalmarktes angelegt war. Knapp ein Drittel dieser Summe floss in Anlagen für Agrarrohstoffe und diese Summe steige monatlich um fünf bis zehn Milliarden US-Dollar an, berichten die Analysten der britischen Großbank Barclays. Hohe Preise und wachsende Not auf der einen,euphorische Investoren und Milliardengewinne auf der anderen Seite – dass der Kapitalstrom auf die Rohstoffbörsen selbst die treibende Kraft des Preisauftriebs ist, leugnen die Manager der verantwortlichen Finanzunternehmen. Es gebe „keinen glaubwürdigen Beweis für einen Zusammenhang der Investitionen in Rohstoff-Fonds und dem starken Anstieg der Getreidepreise“, behauptet etwa Steve Strongin, Chefstratege für Kapitalanlagen bei der Investmentbank Goldman Sachs – Weltmarktführer für Rohsto(nvestments. Diese Taktik des Abstreitens ist vor allem deshalb so erfolgreich, weil die moderne Rohstoffspekulation ein höchst undurchsichtiger Vorgang ist. Wo Spekulanten einst noch die jeweilige Ware in geheimen Lagern horteten, um so über eine künstliche Verknappung des Angebots die Preise zu treiben, operieren ihre modernen Nachfolger im Cyberspace der Finanzwelt. In vollständiger Anonymität können sie so mit ein paar Mausklicks Millionen Tonnen Getreide, Rohöl und andere Rohstoffe kaufen und verkaufen, so bleibt das umstrittene Geschäft dem Verständnis der Bürger und der politischen Kontrolle weitgehend entzogen. Die Konsequenzen sind verheerend. Denn die massenha!e Kapitalanlage in Index-Fonds auf Rohstoffe hat zur Folge, dass die Rohstoffpreise über lange Zeiträume nicht mehr Angebot und Nachfrage folgen, sondern allein dem Herdentrieb der Anleger. Damit sorgen diese für lang anhaltende Preisspitzen, die nicht mit schlechten Ernten oder gestiegener Nachfrage zu erklären sind. Doch die Forderung nach harten Grenzen für das umstrittene Geschäft trifft auf ein mächtiges Geflecht aus Investmentbanken, Börsenkonzernen und Finanzinvestoren, die mit allen Mitteln dagegenhalten. Die Fortsetzung der Spekulation mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln gegen alle Kritik sei eine „regelrechte Machtdemonstration der Finanzbranche“, klagt Markus Henn, Finanzmarkt-Experte bei WEED, dem Berliner Thinktank für Entwicklungspolitik.

 

MIT ESSEN SPIELT MAN NICHT!?
Spekulation mit Nahrungsmitteln
und die Folgen – mit Harald Schumann
19.00 bis 21.00 Uhr,
Gasteig, Rosenheimer Str. 5
Eintritt frei

Reset.to : Was ist Nahrungsmittelspekulation

Mail-Aktion von Foodwatch

Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation auf Facebook

Appell von Campact

1 Kommentar zu “NAHRUNGSMITTELPREISE AN DER BÖRSE: DIE HAUSSE UND DER HUNGER”

  1. Protest gegen Nahrungsmittel-Spekulationen
    Spekulanten profitieren vom Handel mit Nahrungsmitteln, während die Zahl der Hungernden weltweit steigt! Die Initiative handle-fair.de protestiert dagegen!

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