Rot für Stinker – Wie steht München?

Die Podiumsdiskussion der Münchner Mobilitästkultur: Rot für Stinker – Die Verschärfung der Umweltzone (UWZ) wurde am 18. März. 2010 veranstaltet. Moderiert wurde die Diskussion von Marco Eisenack.Teilnehmer der Debate waren:

• Joachim Lorenz (Leiter des Referats für Gesundheit und Umwelt, LHS München)
• Michael Niedermeier (Fachreferent Umweltfragen des Verkehrs ADAC e.V.)
• Prof. Dr. Dr. H.-Erich Wichmann (Helmholtz Zentrum München, Institut für Epidemiologie)
• Joseph Seybold (IHK München und Oberbayern, Referatsleiter Stadtverkehr, Güterlogistik, Umweltthemen im Verkehr). Kai Sonntag von GreenCity stellte nach der Begrüßung der Teilnehmer nochmals die Hintergründe zur Entwicklung der Umweltzone (UWZ), wie auch die geplante weitere Verschärfung vor. Während der anschließenden Diskussion vertraten die Teilnehmer folgende Standpunkte:

Michael Niedermeier:
Nach Darlegung der fortschreitenden Entwicklung von Richtlinien zur Luftreinhaltung seitens der EU mit den für Bund, Länder und Kommunen entsprechenden Konsequenzen zur Entwicklung wirksamer Maßnahmen, stellte Michael Niedermeier anhand einer vom ADAC durchgeführten Studie (Vortrag) die relative Unwirksamkeit von UMZn und daher auch einer weiteren Verschärfung dar. Laut Niedermeier haben sich die Feinstaubwerte vor allem durch den ohnehin seit 30 Jahren stattfindenden technischen Fortschritt reduziert und nicht durch die Einführung von UWZn. Dies sei anhand einer bundesweiten Auswertung des Umweltbundesamtes zu sehen, die einen ähnlichen Rückgang der Werte auch in ländlichen Regionen gemessen hat. Er kritisiert auch, dass ein Vorher-Nachher-Vergleich aufgrund variabler Witterungsverhältnisse an den Messstellen nicht möglich sei. Tatsächlich sei zwar eine Änderung sichtbar, aber zu gering, als dass das Verhältnis von Aufwand für UWZn und deren Verschärfung und deren Nutzen tatsächlich gerechtfertigt wäre. Des Weiteren bemängelt er, dass sich der ebenso schädliche Stickstoffanteil trotz UWZ kaum reduziert hätte. Er fordert daher vor allem ein attraktiveres Hauptverkehrsnetz, das einen Abfluss des Verkehrs in Wohngebiete verhindert, einen flüssigen Verkehr mittels grüner Wellen, die den Ruß- und Stickstoffanteil verringern könnten, „saubere“ Fahrzeuge im öffentlichen und gewerblichen Bereich wie Lieferverkehr, kommunale Fahrzeuge und Taxis – Stichwort Hybridmüllfahrzeuge – und die steuerliche Förderung von PKWs in Bezug auf die in einigen Jahren in Kraft tretende EURO 6 Abgasnorm.

Erich Wichmann:
Zunächst klärt Erich Wichmann darüber auf, dass die Partikelgröße einziges Definitionskriterium für Feinstaub ist. Dies sei unzureichend, da die Zusammensetzung der einzelnen Stäube hinsichtlich ihres Aufbaus, Struktur und Stofflichkeit in Bezug auf ihre Gefährlichkeit wichtiger seien. Mangelnde technische Untersuchungsmöglichkeiten lassen jedoch weiterhin nur die Größenmessung als Definitionskriterium zu. Innerhalb der EU geht es bei der Diskussion um Feinstaub ausschließlich um PM10 Feinstaub (Feinstäube unter Ø 10µm) während – anders als in den USA – PM2,5 Feinstäube bisher noch nicht berücksichtigt wurden. (Vortrag). Er zeigt einen linearen Zusammenhang zwischen Feinstaubmenge und Lebenserwartung auf. Je mehr Feinstaub der Mensch durch Atmung aufnimmt umso geringer ist die Lebenserwartung, Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrebs nehmen zu. Aufgrund unterschiedlicher Witterungsverhältnisse müssen Feinstaubmessungen über einen langen Zeitraum erfolgen, um vergleichbare Ergebnisse liefern zu können. Daher sind vor allem die relativen Konzentrationsunterschiede und nicht die absolut gemessenen Werte von Bedeutung. Die bisherigen Messwerte von 4 – 5 Jahren sind laut Wichmann noch nicht ausreichend genug, tendenziell lässt sich jedoch bereits jetzt sagen, dass sich die hochtoxischen Feinstäube innerhalb der Messperioden halbiert haben. Deren Anteil lag zu Beginn der Einführung der UWZ bei 20% und hat sich auf 10% reduziert. Er kritisiert daher Niedermeiers Aussagen, dass die Feinstaubwerte insgesamt sehr gering und daher die Einführung und Verschärfung der UWZ sogut wie keine Relevanz hätte. Jede Reduzierung verbessert die Lebenserwartung und reduziert die Gefahr entsprechender Krankheiten.

Joseph Seybold:
Joseph Seybold sieht die UWZ vor allem als eine wirtschaftliche Belastung für kleine Unternehmen und Gewerbetreibende. Investitionsplanungen erfolgen langfristig und können bei kurzfristigen gesetzlichen Änderungen häufig aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen nicht rechtzeitig oder nur durch Neuverschuldung umgesetzt werden. Große Unternehmen hätten aufgrund eines besseren finanziellen Polsters meist bereits umgerüstet. Der heutige Fahrzeugbestand besteht immer noch zu 40% aus Fahrzeugen mit roter und gelber Plakette. Er fordert daher, dass es Ausnahmeregelungen für Härtefälle geben muss, wie auch für Gewerbetreibende, die aus dem weiteren Umland kommen und nur selten in die UWZ einfahren müssen. Des Weiteren kritisiert er die Praxistauglichkeit aufgrund des hohen administrativen Aufwands durch eine Vielzahl von Behördengängen. Zurzeit gäbe es 40 UWZ in Deutschland, die alle unterschiedliche Regelungen bezüglich der Anerkennung der Einfahrberechtigung in die UWZ hätten. Dies bedeute einen hohen Aufwand für Gewerbetreibende, um Ausnahmeregelungen zu erhalten. Er fordert daher vor allem in kooperativer Zusammenarbeit gemeinsam eine Lösung zu finden.

Joachim Lorenz:
Joachim Lorenz legte die Ausgangslage in München dar: Da die maximal erlaubte Anzahl von 35 Überschreitungen der Feinstaubwerte pro Jahr in München nicht eingehalten wurde, erhielt die Stadt von der EU einen blauen Brief mit der Auflage bis Ende 2010 weitere kurzfristig wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Die Anzahl der Überschreitungen soll damit auf das Höchstmaß begrenzt werden. Die zu erwartenden Strafzahlungen der Stadt an die EU könnten andernfalls bis zu 700.000 EUR pro Tag betragen und müssten daher unbedingt vermieden werden. So wie 54 andere Ballungsgebiete in 24 EU Ländern hätte auch München einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt, jedoch nicht erhalten, was die Notwendigkeit zur Handlung zwingend erforderlich macht.Tatsächlich geht er unter den derzeitigen Umständen nicht davon aus, dass die Grenzwerte bis 2011 eingehalten werden könnten. Einzige Möglichkeit wäre auch der Ausschluss der gelben Plaketten aus der UWZ, was jedoch erst bis 2012 realisiert werden könnte. Weiterhin greift Lorenz die Studie des ADAC bzgl. der Feinstaubwerte an, die methodisch nicht korrekt sei. „Äpfel mit Birnen“ würden hier verglichen, da tatsächlich nur die relativen Werte wie bereits von Wichmann kritisiert aussagekräftig wären und nicht die absoluten.Ausnahmeregelungen gäbe es auch in München für einzelne Zufahrtswege wie die zur Großmarkthalle oder zum Ostbahnhof, um auch der Situation kleinerer Gewerbetreibenden Rechnung tragen zu können. Eine Ausweitung von Ausnahmeregelungen für Gewerbetreibende außerhalb Münchens sei jedoch nicht möglich. Die meisten Ausnahmeregelungen beträfen ohnehin die Anwohner und nicht das Gewerbe. Des Weiteren stellte er fest, dass die UWZ nur eines der städtischen Instrumente zur Reduzierung von Feinstaub wäre. Weitere Maßnahmen seien beschlossen worden, die den Verkehr nicht beträfen, wie die Regelung bzgl. von Hausbränden (Kaminen). 20 – 25% der Feinstäube wären diesen zuzurechnen. Die Stadt selber würde sich mit ihren kommunalen Fahrzeugen in die Pflicht nehmen und mit gutem Beispiel vorangehen, da diese ohne Plakette nicht mehr in die UWZ einfahren dürften. Auch nach Lorenz seien die Feinstaubwerte leicht zurückgegangen, bei gleichzeitigem Anstieg der Stickstoffwerte. Obwohl die EU bisher ihren Fokus auf Feinstaubwerte gerichtet hat, wird es wahrscheinlich auch aufgrund der hohen Stickstoffwerte keine Fristverlängerung geben.

Allgemeine Diskussion:
In der allgemeinen Diskussion weist Lorenz auf die Frage nach weiteren Maßnahmen darauf hin, dass der Freistaat Bayern sich am Einführungszeitpunkt der UWZ an Augsburg orientiert und München hierin gezwungenermaßen gleichziehen müsse. Ansonsten gäbe es bundesweite Ausnahmeregelungen für Fahrzeuge der öffentlichen Sicherheit wie Polizei, Feuerwehr und Rettungswagen. Ein extra Investitionsprogramm für städtische Fahrzeuge sei nicht vorgesehen. Eine City Maut sei als Stadt alleine nicht einführbar, jedoch in der „Lightversion“ durch das Parkraummanagement vorhanden. Ziel ist die Anpassung der Parkraumgebühren an den Nutzen. Er äußerte weitere Ideen zur Maßnahmenerweiterung wie z.B. eine schadstoff- und wetterabhängige Ampelschaltung zur Verkehrssteuerung und befürwortet Elektromobilität. Verkehr sollte seiner Meinung nach dem Emissionshandel unterworfen werden, da Strom sowohl aus Kraftwerken als auch aus erneuerbaren Energien gewonnen werden kann. München gehört zu den Modellregionen der Bundesinitiative „Elektromobilität“. Daher sollen in naher Zukunft 60 Leichtbaufahrzeuge in München eingesetzt werden. Erstfahrzeuge, Sprinter und Vitos sollen durch E-Mobile ersetzt werden. Die Publikumsfrage über Sinn- und Unsinn bzw. der Festlegung über die Orte der Messstellen beantwortete er mit dem Hinweis, dass die EU die Kriterien für Aufstellungsorte der Messgeräte vorgibt. Als Begründung für die Begrenzung der UWZ auf den Mittleren Ring nannte er dessen Funktion als Verteiler und allgemein das Abgrenzungsproblem. Man müsse andernfalls ganz München als UWZ definieren, was auf massiven Widerstand des Umlandes stoßen würde, da der Verkehr dorthin ausweichen würde. Tatsächlich wären die Auswirkungen der UWZ auch außerhalb des Mittleren Rings sichtbar. Es gäbe nur drei kritische Stellen außerhalb. Eine Verbesserung sei auch durch den Rückgang des LKW-Verkehrs um 15% seit Einführung der UWZ zu erkennen. Allgemein kritisiert er die fehlende Reglementierung von Stickstoffgrenzwerten in der EURO 5 und EURO 6 Abgasnorm. Zu der Anmerkung, dass der ADAC mit seinen bisherigen Klagen gegen die UWZ bisher gescheitert sei, äußerte sich Niedermeyer nicht. Dagegen forderte er eine Förderung von Fahrzeugen mit einer hohen Laufleistung und sprach sich für die Verbesserung des Nahverkehrs aus, da eine City Maut einer Diskriminierung von Geringverdienern gleichkäme. PM10 Maßnahmen zur Einhaltung der EU Grenzwerte hält er für sinnvoll, sieht jedoch viele andere Maßnahmen als nutzlos an. Seybold sieht zukünftig vor allem in der Reduzierung des Stickstoffausstoßes eine Herausforderung und die Diskussion und die Vorgaben der EU als Chance neue Dinge anzupacken um Denkblockaden aufzulösen. Wichmann betrachtet die Bebauungsdichte als einen wichtigen Faktor in der Feinstaubdebatte. Deutschlandweit sieht er München bzgl. Maßnahmenentwicklung und Umsetzung weit vorne. Unabhängig davon kritisiert er das zu späte Inangriffnehmen und die zu geringen Grenzwerte für PM 2,5 Partikel. Je kleiner die Partikel wären umso mehr ändere sich die Zusammensetzung des Feinstaubs ohne die Toxizität tatsächlich messen zu können. Eine Verschiebung des Ausschlusses gelber Plaketten aus der UWZ bis nach 2012 betrachtet er negativ. Des Weiteren sollte es keine räumliche Festlegung der UWZ geben, sondern eine Erweiterung stattfinden.

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