Umwelt-Oscar für Hans-Peter Dürr

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Sie saßen auf dem Fußboden, sie knieten auf den Treppenstufen, sie quetschten sich an den Wänden entlang. Die Münchner drängten gestern Abend zu Hunderten in die Schweißfurthstiftung, um mit Hans-Peter Dürr einen der populärsten Vordenker der Welt zu erleben. Der Träger des Alternativen Nobelpreises wurde mit der bunten“Nana“, dem Preis der Umweltakademie, ausgezeichnet. Der Autor des Buches „Warum es ums Ganze geht“ forderte in gewohnt eindringlicher Weise ein „neues Denken“.

Wenn der 80-jährige Physiker redet, ist das mehr als ein Vortrag. Es ist eher eine Predigt. Mit der struppigen grauen Haarpracht und der enormen Reichweite seiner gestikulierenden Arme wirkt er längst wie ein spiritueller Lehrmeister.

Dürr Grassmann

Die Thesen des großen Umweltdenkers sind kühn: Nur wenn wir den Wettbewerb überwinden, können wir die großen Probleme unserer Zeit lösen, verkündet das Mitglied des Club of Rome. Und keiner widerspricht. Natürlich auch nicht Peter Grassmann (rechts im Bild), der frühere Siemens-Manager und heutige Vorstand der Umweltakademie. Er hat eben sein Buch „Burn Out“ veröffentlicht – ein Ratgeber wie wir „eine aus den Fugen geratene Wirtschaft wieder ins Lot bringen“.

„Luft-, Wasser, Geld- und Klimakreislauf sind globale Kreisläufe und wir haben dafür kein Ordnungssystem. Der Staat ist national. Und es muss auch klar werden, dass wir mit freien Märkten nicht auf ideale Lösungen kommen“, schreibt Grassmann.

Von Depression trotzdem keine Spur. Man lässt sich von Dürrs Optimismus anstecken. „Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach, als ein Wald, der wächst!“ Da ist es wieder, das Lieblingssprichwort des Physikers. Eine Weisheit aus der Himalaya-Region, die auch im Alpenvorland gut ankommt.

Dürr prangert die Problemorientierung im westlichen Denken an. Unsere Wahrnehmung werde von „fallenden Bäumen“ dominiert – unsere ganze Geschichte sei voller „fallender Bäume“: Krieg und Zerstörung. Und er fügt hinzu: „Doch dann wundern wir uns, dass es trotz all dieser Zerstörung immer noch Leben und Vielfalt auf dieser Erde gibt.“ Dürrs Fazit: Es kommt auf den „wachsenden Wald“ an. Er ist es, der das Leben fortführt – langsam, unauffällig und doch beständig. „Lasst uns nicht im Getöse der Zerstörung das langsame Entfalten des Neuen übersehen!“, fordert Dürr die Zuhörer im überfüllten Saal auf. Statt Angststarre soll kreative Lebendigkeit entstehen.

Der Umwelt-Oscar wandert seit 2005 in die Regale verdienter Persönlichkeiten wie Karl-Ludwig Schweisfurth, Alfred Ritter und Bruno H. Schubert. Die bayerische Künstlerin Tonie Meilhammer hat die Moppel-Trophäe den Werken Niki de St.Phalles nachempfunden. Die Figur gehe zurück auf die frühen Urmutteridole als Sinnbild für Schutz, Versorgung, Kreativität. „Der Schutzgedanke für eine gute Umweltidee steckt bereits in dieser Figur“, so Meilhammer. Die Nana als unbeschwert liebenswürdige, kugelrunde und mollig weiche Urmutter. „Möge sie darüber hinaus ihre Preisträger in „fröhliche Euphorie“ versetzen“, fordert die Künstlerin.

In Euphorie muss Herr Dürr nicht mehr versetzt werden. Seine Begeisterungsfähigkeit, seine optimistische Botschaft und seine Intelligenz ziehen die Menschen in ihren Bann. Noch mehr, seit der 80-Jährige seine Biografie und seine Visionen unter dem unmissverständlichen Titel „Es geht ums Ganze“ aufgeschrieben hat. „Herr Dürr, seit ich Ihr Buch gelesen habe, fühle ich mich ganz beseelt!“, sagt eine Frau nach dem Vortrag des Physikers – und es war nicht die einzige Zuhörerin, die ihn mit diesem gewissen Blick ansah.

Man wartet auf den Erlöser: Die Fragen, die Dürr stellt, und auf die er seine Antworten gibt, sind es, die die Menschen hören wollen. Wie können wir in Zukunft leben? Für welchen Lebensstil reichen die Ressourcen noch? Und welche Folgen hat die globale Erwärmung – für unsere natürlichen Lebensgrundlagen wie für unsere Gesellschaft? Ob Krisen, Kriege, Kernenergie oder Klimawandel. Ohne vorschnelle Antworten zu geben, deutet Dürr die globalen Krisen unserer Zeit als Symptome eines veralteten Weltbildes. „Mit diesem intellektuellen Vermächtnis fasst einer der bedeutendsten Vordenker unserer Zeit sein Lebenswissen zusammen – und ruft zu einem neuen Denken auf“, schreibt der Oekom-Verlag.

Das neue Denken fasste Dürr auch an diesem Abend in ganz schlichten Gedanken zusammen: „Wir müssen umdenken; weg von der Beherrschung der Natur zu einem Leben im Einklang mit ihr und von der sinnentleerten Konsumgesellschaft zu einem ökologisch nachhaltigen Lebensstil.“ Dürr ist nicht der erste, der das sagt. Aber ihm meint man zu glauben, dass es eine Chance gibt, das Ziel zu erreichen. Wenn schon nicht durch die überforderten Regierungen, dann in weltweiten Netzwerken. Die dort verankerte kritische Zivilgesellschaft ist für Dürr die neue „dritte, globale Kraft neben Staat und Wirtschaft“.

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