„Die Stadt weiß genau, wie wichtig bezahlbarer Wohnraum ist“

Bezahlbare Mieten sind in München ein wachsendes Problem. Beatrix Zurek, die Leiterin des Mietervereins kennt die Gründe und fordert im Interview mit Michael Schneider die Stadt auf, aktiv gegenzusteuern.

Sind die Münchner Mieten schon immer so hoch?

Die Mieten waren in München schon immer eine Besonderheit. Die Stadt ist wirtschaftlich hoch attraktiv, hat einen hohen Zuzug hat und einen der wenigen Geburtenüberschüsse. Deshalb sind die Mieten in die Höhe gegangen. Auch der Pro-Kopf-Verbrauch an Wohnfläche hat sich mit den Jahren verändert. Die verfügbare Wohnfläche in München ist gestiegen, aber parallel auch der individuelle Bedarf und die Zahl der Menschen in München. Dazu kommt noch, dass junge Menschen früher von zu Hause ausziehen. Wenn die Stadt dann noch attraktiv ist, dann ergibt sich diese Mietpreisentwicklung einfach.

Eine Eigentumswohnung für 12.000 Euro pro Quadratmeter findet man jederzeit

Was hat sich in den letzten zehn Jahren am Münchner Mietmarkt bewegt?

Bei den Mieten gab es um das Jahr 2000 eine gewisse Stagnation, dann stiegen sie wieder. Neubauten können die Nachfrage nicht befriedigen, besonders nicht die nach bezahlbarem Wohnraum. Eine Eigentumswohnung für 12.000 Euro pro Quadratmeter findet man jederzeit. Aber das Problem ist der bezahlbare Wohnraum. Die Akteure, die in München bauen, besonders die Privaten, waren nicht aktiv genug. Die Anzahl der Baugenehmigungen war immer höher als die der Baufertigstellungen. Dieses Problem verschärft sich durch den Wegfall der degressiven Abschreibung. In München machen sich solche Veränderungen ganz rasch bemerkbar.

Im Juni hieß es, dass die Mieten ein Allzeithoch erreicht haben.
Was kann da die Stadt tun?

Sie kann eigene Grundstücke so vergeben, dass darauf bezahlbarer Wohnraum entsteht. Wo es geht, kann sie Erhaltungssatzungen erlassen, um der Umwandlung bestehenden Wohnraums einen Riegel vorzuschieben. Und wenn sie wirtschaftlich stark genug ist, kann sie versuchen, den Wohnungsbau zu fördern, zum Beispiel mit dem München-Modell. Im übrigen bauen ja die städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Aber damit hört es auf.

Eine gesetzliche Mietobergrenze ist rechtlich vorstellbar, aber politisch unwahrscheinlich

Kann eine gesetzliche Mietobergrenze helfen, den Münchner Mietwohnungsmarkt zu entspannen?

Ich bin dafür. Eine Bundesratsinitiative des Landes Berlin schlägt vor, dass bei Neu- und Erstvermietungen nur ein Mietpreis von maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zulässig sein soll. Das kann man auf Gebiete mit gefährdeter Wohnraumversorgung begrenzen, zu denen München gehört. Das hätte durchaus dämpfende Wirkung.

Wie sind die Aussichten bei den Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat?

Da sehe ich eher schwarz.

Ein anderer Weg ist Nachverdichtung. Gibt es dazu in München Überlegungen?

Ja, und sie sind auch nötig. Ich denke an die typischen Einzelgaragen in manchen Gegenden. An ihrer Stelle sind Wohnhäuser möglich. Dann sollte man Dachgeschosse ausbauen, allerdings nicht als teures Penthouse.

Haben die Umlandgemeinden ein offenes Ohr für die Münchner Sorgen?

Jede Gemeinde hat ihre Planungshoheit. Es gibt zwar den Regionalen Planungsverband. Der Diskurs wird dort geführt, aber nicht alle haben die gleichen Vorstellungen. Letztlich braucht München das Umland, und das Umland braucht auch München. Letztlich hängen doch alle zusammen. Man braucht sich gegenseitig.

Und die Immobilieneigentümer? Haben die Vermieter trotz des Booms Sorgen?

Durchaus. Nichts ist nichts schlimmer als ein rascher Mieterwechsel, weil das die Immobilie am meisten beeinträchtigt. Die Vermieter wollen also, dass sich Mieter die Wohnung noch leisten können. Was sie zur Zeit besonders umtreibt, ist die energetische Modernisierung. Sie ja finanziell zu schultern. Wenn dieses Programm ganz durchgezogen wird, werden uns in München die Mieten um die Ohren fliegen.

Die nötige energetische Gebäudesanierung kann die Mieten explodieren lassen

Die Bundesregierung plant ein Gesetz, nach dem Häuser künftig bis zu 80 Prozent Energie einsparen sollen. Was heißt das für den Mieter?

Klimaschutzziele sind vernünftig. Aber die bedeuten, dass die Mieten exorbitant in die Höhe schnellen, um 200-300 Euro pro Monat. Das wird sich schlicht keiner mehr leisten können. So viel Heizung kann man gar nicht sparen. Das Problem ist nicht nur mit Darlehen zur energetischen Sanierung zu lösen, sondern mit Investitionen von Seiten des Staates.

Wie verteilen sich die Lasten, wenn energetisch saniert wird?

Der Mieter zahlt elf Prozent der Sanierungskosten pro Jahr. Das potenziert sich, weil dies die Basis ist für die gesetzlich möglichen 20-prozentigen Mieterhöhungen alle drei Jahre ist. Und: Kleinere Eigentümer können sich die Sanierung gar nicht leisten, die bekommen von der Bank dafür keinen Kredit. Der Staat gibt nur Förderdarlehen. Er schafft also an, und der Bürger soll erledigen und auch noch selber bezahlen. Das ist eine ganz ungute Situation.

Eine „doppelte Zwei-Klassen-Gesellschaft“ kann nicht das Ziel sein

Also doch laufend Mieterwechsel?

Natürlich. Die Horrorvorstellung ist doch, dass wir dann eine doppelte Zwei-Klassen-Gesellschaft bekommen: die Armen in energetisch schlechten und die Reichen in Plus-Energie-Häusern. Das kann nicht das Ziel sein.

Welche Rolle spielen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und GEWOFAG und Genossenschaften wie die WOGENO für die Entwicklung der Münchner Mieten?

Eine große Rolle. München hat 750.000 Wohnungen. Die GWG und GEWOFAG besitzen 50.000. Das ist beträchtliche. Die Genossenschaften erhalten bezahlbaren Wohnraum haben. Sie sind ein stabilisierender Faktor. Eine Reihe älterer Genossenschaften pflegen nur ihren Bestand. Es Ein paar jüngere modernisieren auch und bauen auch neu.

Reizwort Gentrifizierung: Zieht die Stadt die nötigen Konsequenzen?

Ein absolutes Reizwort ist Gentrifizierung. Auf einem früheren SWM-Gelände Müllerstraße 7 ent-stehen die teuersten Wohnungen der Stadt. Beim früheren SWM-Kraftwerk an der Katharina-von-Bora-Straße soll dagegen nicht meistbietend verkauft werden. Hat die Stadtspitze dazugelernt?

Bei der Katharina-von-Bora-Straße finde ich wunderbar, dass man zur Erkenntnis gekommen ist, es anders als in der Müllerstraße zu machen. So sollte die Stadt auch mit anderen Grundstücken verfahren.

Ist die Müllerstraße 7 von Fürstenried oder Neuaubing weit weg? Oder erzeugt so ein Projekt eine Leuchtturmwirkung, die irgendwann auch dort spürbar wird?

Schwer zu prognostizieren. Wichtiger finde ich, den bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, den es in München gibt. Einige zig Sozialwohnungen in der Müllerstraße 7 hätten das Wohnungsproblem nicht lösen können. Aber natürlich ist jeder bezahlbare Wohnraum besser als Luxuswohnraum.

Verstellt die Gentrifizierungsdiskussion den Blick auf die Münchner Schwierigkeiten?

Sie springt zu kurz. Wer diese Entwicklung in München lautstark beklagt, muss nicht die politischen Konsequenzen ziehen. Das ärgert mich.

Wen meinen Sie damit?

Ich meine die Landespolitik. Im Bereich der Erhaltungssatzung könnte man das Umwandlungsverbot nach §172 BauGB erlassen. In München wäre das heilsam. Da weigert sich die Politik aber zu handeln. München mit seinen ausschließlich kommunalen Instrumenten kann keine Lösung für das Wohnungsproblem finden.

München weiß, was es bedeutet, wenn bezahlbarer Wohnraum verloren geht

Was wird sich bis 2020 in München bewegen?

Wenn ich ganz positiv denke, dann glaube ich, dass eine Bundesregierung die Nöte der Landeshauptstadt München und aller Städte mit gefährdeter Wohnraumversorgung versteht und die Bundesgesetze ändert. Vielleicht haben wir bis dahin auch eine Landesregierung, die das gleiche auf Landesebene tut. Dann hätten wir die Chance, die Preisentwicklung in München zu dämpfen.

Und das Horrorszenario, also: Die Gut- und Bestverdiener leben in den Stadtgrenzen und die Mittel- und Geringverdiener müssen pendeln?

Ich glaube nicht, dass es soweit kommen wird. Wir haben in München immerhin die Genossenschaften und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Die sind sich ihrer Verantwortung bewusst und werden eine größere Bautätigkeit entfalten.
Und es ist wichtig, Bündnisse mit großen Münchner Unternehmen zu schließen. Ich habe schon vor Jahren nicht verstanden, warum sie sich völlig aus dem Werkswohnungsbau zurückgezogen haben. Die Stadt München weiß, was es bedeutet, wenn bezahlbarer Wohnraum verloren geht. Dieses Horrorszenario wird es nicht geben.

Das Gespräch führte Michael Schneider.

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Foto: Jona Hölderle

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