Bau von Luxuswohnungen provoziert wachsende Gegenwehr

Unruhe in den Münchner Innenstadtvierteln: Begüterte und vermögende Bürger und Kapitalanleger vereinnahmen ein Haus nach dem anderen. Dagegen entsteht Widerstand, zuerst in Einzelaktionen, dann in einer Welle öffentlicher Proteste, etwa im Juni wegen des Abrisses der „Schwabinger 7“, einer Traditionskneipe in der Schwabinger Feilitzschstraße (an deren Stelle Wohnungen für Gutverdienende entstehen), oder Ende Mai als Straßenfest auf dem Untergiesinger Hans-Mielich-Platz unter dem Motto „Dein Viertel braucht dich“. Dort sprachen die Vorsitzende des Münchner Mietervereins, Beatrix Zurek, und Forum Mitglied Detlev Sträter. Er sagte unter anderem:

Wir alle spüren auf die eine oder andere Weise – und wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, sieht es auch, dass sich unsere Nachbarschaft, unser Stadtquartier, unsere Stadt München ändert. Und dies, so der Eindruck, mit wachsendem Tempo. Viele Änderungen empfinden wir als gut und schön. (…) Aber wir sehen zugleich, dass viele Veränderungen nicht das halten, was man mit ihnen uns versprochen hat. Sie greifen tief in gewohnte Lebensabläufe ein und verändern gravierend. (…) Und wir erleben staunend, wie „öffentliche Hände“, also Bund, Land und Kommune, Immobilien in öffentlichem, also unser aller Gemeineigentum, meistbietend an Investoren verscherbeln:

 Das ehemalige Landesarbeitsamt in der Thalkirchner Straße – zuvor im Besitz des Bundes – wird zum Hort für Designerwohnen.

 Der Freistaat verhindert ein soziales Ausbildungsprojekt, indem er den früheren Frauen- und Jugendknast in der Au an einen meistbietenden Investor verkauft, der anderes vorhat.

 Die Denkmalbehörde verweigert den letzten Spuren früheren Lebens und Arbeitens in Untergiesing, nämlich den Kutscherhäusern in der Birkenau, die Anerkennung als schützenswertes Denkmal und überlässt sie damit der marktförmigen Immobilienverwertung. (…)

 Die Stadt München verscherbelt über ihre Stadtwerke das frühere Heizkraftwerk an der Müllerstraße an einen Investor, der es zum Symbol für Luxuswohnen in München umgestaltet.

In all diesen Fällen wirkt die öffentliche Hand auch als Preistreiber, denn diese Luxusherbergen strahlen weit in ihr städtisches Umfeld aus. Hinter all diesen Fällen erkennt man System: Gentrifizierung. Es meint den Prozess der wirtschaftlichen Aufwertung und des forcierten sozialen Wandels von Stadtteilen. (…) Gentrifizierung ist nicht mehr Ausnahme von der Regel, sondern die Regel geworden. (…) Wir erleben eine straffe Durchkapitalisierung der Stadt im Interesse potenter Geld- und Immobilienbesitzer. Gut- und Besserverdienende konnten in den letzten Jahrzehnten immer größere Vermögen anhäufen. Die Finanzkrise hat aber gezeigt, dass Finanzfonds keine sichere Anlage bieten. Jetzt schichtet der Geldadel seine Vermögenswerte in vermeintlich sicheren Immobilienbesitz um. Und wo wird dieser Besitz besser verzinst als in Städten wie München mit höchsten Miet- und Bodenpreisen. (…) Es gibt in dieser Stadt noch eine große Zahl von Hauseigentümern, die in sehr sozialer Weise daran interessiert sind, dass ihre Hausbewohner sich ihren Wohnungen wohl fühlen und sie deshalb auch mit ihren Mietforderungen zurückhaltend sind. Aber diese Hauseigentümer sterben im wahrsten Sinne des Wortes aus. (…)

Man ist an vordemokratische Zeiten erinnert, als das Wahlrecht noch an den Besitz von Grund und Boden geknüpft war, wenn wir heute mit ansehen, wie Stadtentwicklung in München betrieben wird: Nämlich von einer kleinen Schar von Investoren und Geldanlegern. Sie bestimmen, was und wo und wie gebaut wird, sie entscheiden darüber, wo und wie schnell die Stadt ihr Gesicht verändert. Sie entscheiden darüber, wer in den Stadtvierteln wohnen und leben kann – und wer nicht. Die Stadtplanung, eigentlich Wahrer des öffentlichen Interesses an der Stadtentwicklung, erweist sich viel zu oft als Steigbügelhalter von Investoreninteressen. Und wir Normalbürger stehen staunend daneben und sollen mit den Ergebnissen umgehen. Was wir brauchen, ist eine Demokratisierung der Stadtentwicklung: Wir brauchen eine Stadtplanung und Stadtentwicklung im demokratischen Interesse ihrer Bewohner und der Stadtgesellschaft insgesamt. Eine solche müssen wir organisieren. (…):

 Wir brauchen ein wirksames Eingriffsinstrumente, um spekulatives Kaufen und Bauen und die Zerstörung bezahlbaren Wohnraums zu unterbinden,

 Wir brauchen ein soziales und kommunalisiertes Bodenrecht, um spekulative Gewinne abzu-schöpfen oder gar nicht erst entstehen zu lassen,

 Wir brauchen mehr und bessere Instrumente, um genossenschaftliches und gemeinwohlorientiertes Wohnen durchzusetzen und zu verbreitern und um zeitgemäße Wohnmodelle umzusetzen.

Viele halten das für utopisch, ja geradezu für systemsprengend. Manchmal ist es gut, sich zu erinnern. Etwa daran, dass wir seit 1946 eine noch heute gültige Bayerische Verfassung haben. In der steht in Art. 151: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.“ – Und in Art. 161 steht in Abs. 1: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Mißbräuche sind abzustellen.“ Abs. 2 sagt: „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“ Erinnert sich jemand an diese bayerischen Verfassungssätze? Wir sollten nicht geschichtsvergessen sein, sondern die Politik auffordern, im Sinne der Bayerischen Verfassung endlich tätig zu werden und die Verfassungsgrundsätze in praktisches politisches Handeln umzusetzen.

Einiges aus der Bayerischen Verfassung fand Eingang in unser Grundgesetz. So steht in Art 14 Abs. 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Und Art. 15 legt fest: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Ja, was hindert uns daran? Warum wählen wir Parteien, die dies nicht ausdrücklich als Regelungsbedarf in Koalitionsverträge reinschreiben? Warum ermahnen wir nicht unsere Volksvertreter, hier endlich tätig zu werden? Die Frage stellt sich heute dringlicher denn je: Wem gehört die Stadt? Die Antwort ist einfach: Uns allen nicht nur den Eigentümern an Grund und Boden und an Immobilien. Wir sind die Bürger dieser Stadt. Wir haben ein Recht auf die Stadt. Und wir sollten uns die-ses demokratische Recht auch nehmen, die Stadt und damit unser Leben in der Stadt selbst zu gestalten.“

Der vollständige Text ist unter hier abrufbar.
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Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

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