Fünf Thesen zu Moral und Wirtschaft

482964_R_K_B_by_Gerd-Altmann-Carlsberg1988_pixelio.de_589

Was hat ein Wirtschaftsethiker zur Vermeidung der Klimakatstrophe beizutragen? Prof. Dr. Ingo Pies, Podiumsgast der Auftaktveranstaltung des 4. Münchner Klimaherbstes, stellt in seinem Gastbeitrag mit seiner speziellen Perspektive des Wirtschaftsethikers fünf Thesen zur Klimapolitik zur Diskussion.

Das moralische Anliegen einer nachhaltigen Klimapolitik: Fünf Thesen aus Sicht einer ordonomischen Wirtschaftsethik

Ingo Pies 1158323544_40_0

Ich hoffe, Sie ziehen die professionelle Zuständigkeit der Wirtschaftsethik für dieses Thema nicht in Zweifel. Falls doch, so habe ich zwei Gegenargumente: Erstens sind vom globalen Klimawandel unterschiedliche Regionen unterschiedlich stark betroffen, wobei sich abzeichnet, dass vor allem Entwicklungsländer – und speziell die extrem armen Menschen in Entwicklungsländern – besonders vulnerabel (verletzlich) sind. Sie werden vom Klimawandel hart getroffen, ohne ihn verursacht zu haben. Insofern ist der nachhaltige Schutz dieser Menschen vor den Folgen des Klimawandels ein moralisches Anliegen ersten Ranges. Zweitens wird der Klimawandel durch die Wirtschaft hervorgerufen, insbesondere durch die wirtschaftliche Tätigkeit des Energieverbrauchs. Es ist der CO2-Ausstoß in der Produktion und im Konsum, durch den Unternehmen und Haushalte zum anthropogenen Treibhauseffekt beitragen. Bei der Klimapolitik geht es also sowohl um Wirtschaft als auch um Moral, und genau das ist die professionelle Domäne der Wirtschaftsethik.

Lassen Sie mich nach dieser Vorbemerkung umstandslos zum Thema kommen. Als Wirtschaftsethiker möchte ich fünf Thesen zur Diskussion stellen. Sie lauten:

1. Das Klimaproblem ist ein Menschheitsproblem mit historisch einmaligen Komplikationen.

2. Es ist unrealistisch zu erwarten, dass die Kosten der Klimapolitik in größerem Umfang von den Entwicklungsländern getragen werden (können).

3. Es ist falsch zu erwarten, dass die Kosten der Klimapolitik von den Unternehmen getragen werden.

4. Entscheidend ist die Effizienz der Klimapolitik, und zwar nicht nur in statischer, sondern vor allem in dynamischer Hinsicht.

5. Hauptthese: Das Klimaproblem lässt sich nicht durch moralischen Heroismus einzelner Individuen lösen, sondern allenfalls durch eine kluge Ordnungspolitik zur Indienstnahme der Wirtschaft, insbesondere der Unternehmen. Deren Innovationsverhalten muss zielgerichtet aktiviert werden.

Ich gehe nun die fünf Thesen der Reihe nach durch und erläutere, welche Gedanken(gänge) sich hinter den jeweils sehr zugespitzten Formulierungen verbergen.

((1)) Das Klimaproblem ist ein Menschheitsproblem mit historisch einmaligen Komplikationen: Ich will versuchen, meine These durch einen Vergleich zu erläutern. Betrachten wir zunächst ein anderes Menschheitsproblem, das auf der Prioritätenliste der Weltpolitik während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ähnlich weit oben gestanden hat wie heute das Klimaproblem für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts: die Verhinderung eines mit Atomwaffen ausgetragenen Konflikts im kalten Krieg zwischen Ost und West. Auch das war ein Menschheitsproblem. Aber es war im Vergleich betrachtet sehr viel einfacher zu lösen. Ich will auf vier Unterschiede hinweisen.

(a) Den Atomkrieg zu verhindern, war die Aufgabe von zwei Regierungen. In der Klimapolitik hingegen müssen über 180 Regierungen zusammenarbeiten. Das ist nun nicht länger ein bilaterales, sondern ein multilaterales Problem. Folglich ist mit zahlreichen Koordinationsschwierigkeiten zu rechnen. Jeder einzelne souveräne Staat hat hier eine gewisse „veto power“, mit der er ein kollektives Arrangement behindern und verzögern kann. Dies ist an sich schon ein enormer Unterschied. Aber es kommt noch schlimmer.

(b) Um den Atomkrieg zu verhindern, war es hinreichend, eine politisch-militärische Elite in die Lage zu versetzen, etwas nicht zu tun. Mit unserem Alltagsleben hatte das wenig zu tun. Ganz anders beim Klimaproblem. Hier geht es darum, den Lebensstil von gegenwärtig sieben Milliarden Menschen nachhaltig zu verändern. In der sozialen Dimension macht das wirklich einen kolossalen Unterschied. Hier geht es nicht darum, dass einige wenige etwas unterlassen, sondern es geht darum, dass Milliarden Menschen ihr je individuelles Verhalten gründlich umstellen. Die Lösung des Klimaproblems erfordert nicht Passivität, sondern Aktivität, und dies auf breiter Front im globalen Maßstab.

(c) Bitte betrachten Sie nun nach der sozialen Dimension die zeitliche Dimension: Alle Beteiligten und Betroffenen hatten ein instantanes Interesse daran, einen Atomkrieg zu vermeiden. Man suchte eine Lösung, die heute greift, morgen hält und sich dann auch in die fernere Zukunft hinein prolongieren lässt. Beim Klimaproblem dreht sich der Zeitstrahl genau um. Wir wissen, dass gravierende Probleme erst in der Zukunft auftauchen werden und müssen uns gewissermaßen abstrakt dazu motivieren, schon heute zu handeln. Ich will es formelhaft zuspitzen: Den Atomkrieg zu verhindern, war ein Kurzfristproblem. Dem Klimawandel zu begegnen, ist ein Langfristproblem.

(d) Das Atomkriegsproblem war symmetrisch, das Klimaproblem ist asymmetrisch verursacht. Damit meine ich Folgendes: Die UDSSR und die USA hatten gleichermaßen gerüstet, und sie mussten sich gleichermaßen zum Nicht-Einsatz von Atomwaffen und zur Abrüstung bereiterklären. Das ließ sich im Prinzip ganz leicht verhandeln, nach dem Motto: do ut des. Es ging um die verlässliche Kopplung von Leistung und Gegenleistung und um den hierfür erforderlichen Aufbau wechselseitigen Vertrauens. Im Vergleich dazu ist das Klimaproblem sehr viel schwieriger, weil es von den reichen Ländern des industrialisierten Nordens verursacht worden ist, während vornehmlich die armen Entwicklungsländer des Südens darunter zu leiden haben. Das macht es sehr viel schwieriger, die Verhandlungen für eine politische Lösung rein zukunftsorientiert zu führen. Stattdessen stehen sie im Schatten der Vergangenheit, und das sorgt für zahlreiche Komplikationen, z.B. in Form von Gerechtigkeitsfragen, mit denen die Abrüstungsverhandlungen nie beschwert worden sind.

Zwischenfazit: Im Hinblick auf diese vier Aspekte – (a) bilateral versus multilateral; (b) passive Unterlassung einiger weniger versus aktive Lebensstiländerung von Milliarden Menschen; (c) Kurzfrist- versus Langfristproblem und (d) symmetrische versus asymmetrische Verursachung – ziehe ich aus dem Vergleich zwischen dem Problem, einen Atomkrieg zu vermeiden, und dem Problem, den Herausforderungen des Klimawandels nachhaltig zu begegnen, folgenden Schluss: dass das Klimaproblem außerordentlich schwierig ist, weil es sich um ein Menschheitsproblem mit historisch einmaligen Komplikationen handelt.

((2)) Meine zweite These lautet: Es ist unrealistisch zu erwarten, dass die Kosten der Klimapolitik in größerem Umfang von den Entwicklungsländern getragen werden. Lassen Sie mich versuchen, für diese These mehrere Argumente ins Feld zu führen.

(a) Erstens kann aufgrund des politischen Regimes in vielen Entwicklungsländern nicht davon ausgegangen werden, dass die Regierung in einem rechtsstaatlich fairen Wettbewerb mit einer Opposition darum konkurriert, wie man die Interessen der eigenen Bevölkerung bestmöglich zur Geltung bringen kann. Folglich ist damit zu rechnen, dass viele Klimaschutzmaßnahmen selbst dann unterbleiben, wenn sie sich aus Sicht der Betroffenen rechnen würden, und zwar ganz einfach deswegen, weil aus Sicht der politischen Entscheidungsträger ganz andere Prioritäten im Vordergrund stehen, etwa Ausgaben für Militär und Polizei, um einen Repressionsapparat in Gang zu halten, der die eigene Machtposition absichert.

(b) Aber selbst wenn wir für ein Entwicklungsland unterstellen, dass die Regierung aufgrund einer rechtsstaatlich-demokratischen Verfassung danach strebt, das Gemeinwohl zu fördern, ist nicht damit zu rechnen, dass sie viel Geld für Klimaschutz ausgeben wird. Für diese Einschätzung sind zwei Gründe ausschlaggebend. Erstens muss sich eine solche Regierung überlegen, wie sie angesichts einer extrem armen Bevölkerung ihre Prioritäten festlegt. Hier konkurriert jeder Dollar, den man um einer besseren Zukunft willen in eine höhere Energieeffizienz steckt, mit unmittelbar lebensrettenden Maßnahmen etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung sowie mit bereits mittelfristig hochrentablen Ausgaben etwa für Bildung. Hinzu kommt, zweitens, dass aufgrund der asymmetrischen Verursachung des Klimawandels jederzeit argumentiert werden kann, dass nicht die „Opfer“, sondern die „Täter“ für die Lösung aufkommen sollten.

Zwischenfazit: Meiner Einschätzung nach ist davon auszugehen, dass die Regierungen in Entwicklungsländern signifikante Beiträge zum Klimaschutz weder leisten wollen noch leisten können. Will man sie dennoch zu entsprechenden Maßnahmen motivieren, wird jemand anderes die hierfür anfallenden Kosten weitgehend übernehmen müssen. Im Klar- text heißt das, dass die Last vorwiegend von den starken Schultern der reichen Nationen getragen werden muss. Aber innerhalb der reichen Nationen des industrialisierten Westens stellt sich dann die Anschlussfrage: Wer genau ist es, der die Last zu schultern hat?

((3)) Damit komme ich direkt zu meiner dritten These. Sie lautet: Es ist falsch zu erwarten, dass die Kosten der Klimapolitik von den Unternehmen getragen werden. Ich will nun versuchen, auch dies kurz zu begründen. Dafür verbinde ich zwei Argumente. Das erste ist normativ, das zweite positiv.

(a) Das normative Argument lautet: Alle Produktion dient dem Konsum. Unternehmen stellen nur die Güter und Dienstleistungen bereit, von denen sie erwarten, dass sie sie auch tatsächlich an den Mann oder an die Frau bringen können. Es sind also die erwarteten Kundenwünsche, die die Unternehmen zur Produktion veranlassen. Insofern ist es normativ wünschenswert, dass die Kunden als die eigentlichen Verursacher der Produktion die in der Produktion anfallenden Kosten auch tatsächlich tragen müssen.

(b) Das positive Argument lautet: Der marktliche Wettbewerb sorgt für eine Preisuntergrenze und zugleich für eine Preisobergrenze. Beide liegen nah beieinander. Auf diese Weise stellt der Wettbewerb sicher, dass die Unternehmen ziemlich genau die Kosten der Produktion auf ihre Kunden überwälzen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. – Diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern alt. Sie war bereits im 19. Jahrhundert so bekannt, dass ihr nicht nur David Ricardo, sondern auch Karl Marx zugestimmt hat. Ich will diesen Gedankengang nun kurz skizzieren, möchte Sie aber vorher ausdrücklich darauf hinweisen, dass er unter den Mitgliedern der „scientific community“, die sich als Ökonomen mit diesen Fragen professionell beschäftigen, seit langer Zeit unstrittig ist, obwohl er bis heute immer noch nicht ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen zu sein scheint.

Zunächst zur Preisuntergrenze: Wenn es einem Unternehmen nicht gelingt, bei den Kunden eine Zahlungsbereitschaft zu wecken, die die Kosten der Produktion mindestens abdeckt, dann erwirtschaftet es nicht einen Gewinn, sondern einen Verlust. Es lebt dann von der Substanz, weil es die Eigenkapitalbasis aufzehrt. Das kann man sich allenfalls vorübergehend leisten, aber nicht auf Dauer. Deshalb ist zwingend davon auszugehen, dass die Un- ternehmen, die ihre Kosten nicht decken können, vom Markt verschwinden. Sie orientieren sich neu oder gehen in die Insolvenz. (Eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel gibt es nur dann, wenn sich jemand findet, der verlustbringende Unternehmen subventioniert und mithin den Teil der Kosten, die die Kunden selbst nicht tragen wollen, zu übernehmen bereit ist. Üblicherweise ist das der Staat. In diesem marktwirtschaftlichen Ausnahmefall sind es dann nicht die Kunden allein, sondern die Kunden im Schulterschluss mit den Steuerzahlern, die die bei den Unternehmen anfallenden Kosten gemeinsam tragen.)

Nun zur Preisobergrenze: Ein Unternehmen erwirtschaftet nur dann einen Gewinn, wenn es ihm gelingt, bei den Kunden eine Zahlungsbereitschaft zu wecken, die die Kosten der Produktion übersteigt. In diesem Sinn sind Gewinne zu interpretieren als ein Signal – und als eine Belohnung – für gelingende Wertschöpfung. Zugleich sind sie eine Einladung an die Konkurrenz, dem Unternehmen diese lukrativen Kunden abzujagen, indem man es preislich unterbietet oder qualitativ bessere Angebote entwickelt. Gewinne erfüllen also eine wichtige Anreizfunktion für das Wettbewerbsverhalten der Unternehmen. Und umgekehrt begrenzt der Wettbewerb die Gewinnmöglichkeiten des einzelnen Unternehmens und sorgt für eine Preisobergrenze, weil jedes Unternehmen bei der eigenen Preisgestaltung darauf achten muss, dass es nicht zu teuer wird und dann von den Konkurrenten ausgebootet wird.

Empirisch lässt sich das wettbewerbliche Auf und Ab von Marktpreisen besonders dann gut beobachten, wenn sich die Produktionskosten – etwa aufgrund eines Ölpreisschocks – besonders schnell und stark erhöhen oder wenn sie spiegelbildlich – etwa aufgrund forcierter Innovationen – besonders schnell und stark absinken. Letzteres ist beispielsweise bei Computern oder bei Telefondiensten der Fall. Die radikalen Preissenkungen, die wir hier erlebt haben, sind ökonomisch darauf zurückzuführen, dass sich die Unternehmen durch Wettbewerb dazu veranlasst sahen, die aufgrund technologischen Fortschritts erreichten Kostensenkungen an ihre Kunden weiterzugeben.

Zwischenfazit: Die Kosten der Klimapolitik sind faktisch nicht von den Unternehmen, sondern von den Kunden zu tragen – und das ist auch gut so! Denn genau das entspricht dem Verursacherprinzip.

((4)) Es sind also Menschen wie Sie und ich – es sind die Bürger der reichen westlichen Nationen, die die Kosten der Klimapolitik zu tragen haben werden. Das bringt mich unmittelbar zu meiner vierten These. Sie besagt, dass wir Bürger ein gemeinsames Interesse haben, auch wenn wir uns dessen so noch gar nicht allgemein bewusst sind. Dieses gemeinsame Interesse betrifft die Effizienz der Klimapolitik, und zwar nicht nur in statischer, sondern vor allem in dynamischer Hinsicht. Ich will versuchen, das möglichst allgemeinverständlich und schrittweise zu erläutern.

(a) Zunächst zur statischen Effizienz: Sobald wir uns darüber einig sind, dass wir eine wirksame Klimapolitik anstreben, die wir uns auch etwas kosten lassen wollen, stehen wir vor der Entscheidung, wie wir unser Geld am besten einsetzen. Konkret geht es darum, welche Maßnahme uns pro eingesetzten Euro den meisten Klimaschutz einbringt. Wenn Sie anfangen, so darüber nachzudenken, gelangen Sie schnell zu der einfachen, aber folgenreichen Erkenntnis, dass z.B. eine Erhöhung der Energieeffizienz in Deutschland sehr viel teurer ist als die gleiche Erhöhung der Energieeffizienz in einem Entwicklungsland. Konkret folgt daraus, dass der deutsche Steuerzahler Klimaschutzmaßnahmen nicht primär in Deutschland, sondern in anderen Ländern finanzieren sollte.

(b) Nun zur dynamischen Effizienz: Wenn wir den Stand der Technik nicht als gegeben, sondern als veränderbar betrachten, dann verschiebt sich die relevante Fragestellung. Zwar bleibt wichtig, darauf zu achten, wie man bei gegebener Technologie möglichst viel CO2- Vermeidung einkaufen kann. Noch wichtiger aber und von geradezu entscheidender Bedeutung wird die Frage, was wir heute tun können, um die Vermeidungskosten von morgen zu senken. Hierfür sind Innovationen erforderlich, und die lassen sich nur in Gang setzen, wenn man ein Zusammenspiel von wissenschaftlicher Grundlagenforschung und unternehmerischer Anwendungsforschung organisiert. Die Unternehmen sind die eigentlichen Innovationsmotoren der modernen Gesellschaft. Sie müssen mit Anreizen versorgt werden, den Klimaschutz zu verbilligen, so dass wir uns mehr davon leisten können.

Zwischenfazit: Aus den Überlegungen zur statischen Effizienz folgt, dass wir Klimaschutzmaßnahmen dort vornehmen sollten, wo wir pro eingesetzten Euro die stärkste Wirkung erzielen können. Aus den Überlegungen zur dynamischen Effizienz folgt, dass wir das Geld heute nicht primär für Emissionsvermeidungen ausgeben sollten. Stattdessen wären wir klug beraten, wenn wir das Geld investiv zur Innovationsförderung einsetzen würden, damit die Kosten der Emissionsvermeidung zukünftig sinken. In dem Maße, wie die gegenwärtige Klimapolitik von diesen Überlegungen abweicht, sind ihre Kosten unnötig hoch, so dass wir alle kollektiv unter unseren Möglichkeiten bleiben.

((5)) Meine Abschlussthese lautet: Das Klimaproblem lässt sich nicht durch moralischen Heroismus einzelner Individuen lösen, sondern allenfalls durch eine kluge Ordnungspolitik zur Indienstnahme der Wirtschaft, insbesondere der Unternehmen. Deren Innovationsverhalten muss zielgerichtet aktiviert werden. Ich will versuchen, dies in drei Schritten zu begründen.

(a) Erster Schritt: Natürlich können Sie oder ich jeweils als Einzelperson die Entscheidung treffen, dass wir uns entgegen den Anreizen klimaschonend verhalten. Falls Sie sich so entscheiden, will ich Sie davon nicht abbringen. Aber ich will Sie doch immerhin darauf aufmerksam machen, dass moralischer Heroismus in einem streng logischen Sinn weder notwendig noch hinreichend ist. Er ist nicht hinreichend, weil von ihm keine Sogwirkung ausgeht, die Milliarden Menschen veranlassen würde, ihr Verhalten ebenfalls zu ändern. Und er ist nicht notwendig, weil wir in einer rechtsstaatlichen Demokratie die nötigen Wei- chenstellungen auch ohne große persönliche Opfer vornehmen können, sobald wir den Weg einer klugen Institutionalisierung von Anreizen einschlagen. Ich will versuchen, das anhand eines Beispiels zu verdeutlichen.

(b) Zweiter Schritt, ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, wir hätten uns vor 50 Jahren hier getroffen und gemeinsam überlegt, wie man eine allgemeine Informationsrevolution auslösen kann. Wie bringt man die Menschen dazu, den Computer und das Internet in ihr alltägliches Leben Einzug halten zu lassen? Wie sorgt man für eine massenhafte Nutzung der neuen Technologien? Retrospektiv lautet die richtige Antwort: Man muss es zur Aufgabe der Unternehmen machen, Innovationen zu entwickeln, die die neue Technik so attraktiv werden lassen, dass es aus der Sicht des einzelnen Anwenders als vorteilhaft erscheint, sich diese Technik anzueignen und sie im Alltag zu nutzen. Diese Antwort bleibt auch dann richtig, wenn es heute darum geht, neue Klimatechnologien zu entwickeln (= dynamische Effizienz) und massenhaft in Gebrauch zu bringen (= statische Effizienz): Wir können das Alltagshandeln von Milliarden Menschen nur dadurch klimafreundlich(er) gestalten, dass wir die Unternehmen mittels Anreizsetzung dafür einspannen, durch eine Fülle von Produkt- und Verfahrens-Innovationen es für diese Menschen aus deren jeweils rein individueller Sicht attraktiv werden zu lassen, weniger CO2 zu emittieren.

(c) Dritter Schritt: In Sachen Klimaschutz haben wir es im Hinblick auf die Unternehmen mit marktlichen Situationen zu tun, in denen nicht das gute Beispiel Schule macht, sondern das schlechte Beispiel: Klimaschutz ist ein globales öffentliches Gut. Das bedeutet, dass die meisten Menschen nachweislich nicht dazu bereit sind, auf dem Markt freiwillig etwas für dieses Gut zu bezahlen. Das wiederum hat zur Folge, dass es den Unternehmen naturgemäß schwerfällt, Zusatzkosten in Kauf zu nehmen, um dieses öffentliche Gut zu produzieren. Im Wettbewerb würde das bestraft. So kommt es zu statischen und dynami- schen Effizienzeinbußen. Vor diesem Hintergrund besteht die einzige wirklich funktionsfähige Lösung darin, dass wir uns als Bürger zusammentun und die Kosten, die wir individuell nicht zu tragen bereit sind, kollektiv tragen und unsere Zahlungsbereitschaft dafür einsetzen, die Unternehmen mit Anreizen zur Innovation zu versorgen, wohl wissend, dass nicht die Unternehmen, sondern wir es sind, die diese Kosten zu tragen haben. Es geht also nicht ohne Staat. Aber die klimapolitische Aufgabe des Staates besteht nicht darin, den Markt dirigistisch außer Kraft zu setzen, sondern sie besteht gerade umgekehrt darin, den Markt hier allererst in Kraft zu setzen und ihn für das moralische Anliegen einer wirksamen Klimapolitik instrumentell einzuspannen.

Fazit: Als Wirtschaftsethiker halte ich es in einer Hinsicht ganz mit Bertolt Brecht. Der legt seinem Galilei im gleichnamigen Theaterstück, und zwar am Ende der 13. Szene, folgenden Ausspruch in den Mund: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“ Lassen Sie mich das sogleich auf die Klimapolitik übertragen: Unglücklich das Land, dem es nicht gelingt, klimaschonendes Verhalten auf breiter Front anreizkompatibel zu machen.

Wir stehen vor der Herausforderung, klimaschonendes Verhalten nicht nur appellativ zu fordern, sondern tatsächlich zu fördern. Dabei mangelt es nicht an moralischem Engagement. Es mangelt aber sehr wohl daran, dieses moralische Engagement richtig zu kanalisieren. Wir müssen den Weg einer Institutionalisierung von Innovationsanreizen gehen. Dann ist die Wirtschaft und dann sind insbesondere die Unternehmen nicht mehr ein Teil des Problems, den man bekämpfen müsste, sondern sie werden zu einem Teil der Lösung. Wirksame Klimapolitik lässt sich nicht gegen die Unternehmen ins Werk setzen, sondern nur mit ihnen – und vor allem: durch sie.

Fotos: Gerd Altmann/Carlsberg1988 / pixelio.de (Verkehrsschild)

Kommentieren