“Der Klimaherbst war ein Schlüsselerlebnis für uns”

Die Sonne hat die Erde verbrannt, gesellschaftliche Strukturen sind zusammengebrochen, Menschen suchen in den Bergen nach Wasser und müssen neben den lebensfeindlichen Temperaturen auch Kannibalismus fürchten. Der Jungregisseur Tim Fehlbaum gibt mit seinem Katastrophen-Thriller „HELL“ einen erschreckenden, aber durchaus realistischen Einblick in das von der Sonne zerstörte postapokalyptische Deutschland.

Wir haben mit dem Schweizer über seinen ersten großen Film, seine Horror-Faszination und die Rolle des Münchener Klimaherbst in „HELL“ gesprochen.

HELL war ja dein Debut-Film. Wenn man bei seinem ersten Film gleich Schauspieler von solcher Klasse bekommt und Roland Emmerich auch noch als Executive Producer einsteigt, das ist doch wie ein Sechser im Lotto, oder?

Ja, es ist genauso wie du sagst. Für mich war das alles ein riesen Glück. Das erste Glück war, dass die Produzenten mir überhaupt so viel Freiraum gegeben und mir vertraut haben, so einen Film zu machen. Weil auch aus Produzenten-Sicht ist es ein großes Risiko, so einen Film zu machen, weil man mit Genrefilmen in Deutschland viele schlechte Erfahrungen gemacht hat. Ich verstehe gar nicht, warum, weil es auch super Beispiele gibt. Dann das Glück mit Roland Emmerich, dass der dazu kam und uns dann nicht nur seinen Namen gegeben hat. Oft kennt man das ja von Executive Producern, dass die einem einfach ihren Namen geben und dann aber gar nichts mehr damit zu tun haben. Aber er war wirklich von Anfang bis Ende involviert in dem Prozess und hat mir Tipps gegeben. Schon beim Drehbuch, dann bei der Umsetzung bis hin zum Schnitt.

Wo du auch recht hast ist mit den Schauspielern. Ich hatte am Anfang den Gedanken, den Film so gut wie möglich zu besetzen, damit ich mich so wenig wie möglich um die Schauspieler kümmern muss. (lacht) Damit ich mich auf die technische Umsetzung konzentrieren kann. Hannah (Herzsprung, Anm. d. Red.) hab ich zum Beispiel schon ganz lange im Kopf gehabt für die Rolle. Aber auch jemand wie Angela Winkler. Bei ihr war es ein sehr schwieriger Prozess, sie zu bekommen. Ich habe dann auch sehr viel von deren Erfahrung profitiert. Den ganzen Film haben wir uns quasi gemeinschaftlich erarbeitet. Ich hab ihnen von Anfang an gesagt: „Es ist mein erster Film, ihr habt alle schon mehr Erfahrung und ich kann davon nur profitieren“. Und so war das dann auch. Ich konnte und wollte auch gar nicht so den Boss spielen, „So du musst das und das machen“. Auch wenn es um die Texte ging.

Also bist du schon auch mit einer großen Portion Ehrfurcht und Respekt an den Dreh mit diesen Kinogrößen rangegangen?

Ja, klar. Beim Casting hatte ich auch das Gefühl, sie casten mich mehr als ich sie. (lacht) Und es ist aber auch wirklich viel von ihnen drin. Zum Beispiel Lars Eidinger ist so einer, der bringt extrem viel von sich rein in so eine Rolle, von seiner Art zu reden zum Beispiel. Und Angela Winkler hat auch ganz viel an ihrem Text rumgearbeitet und das Ganze meiner Meinung nach stark verbessert.

In der Presse liest man, dass dir die Idee auf einem Vortrag vom Münchener Klimaherbst gekommen ist. Stimmt das wirklich?

Ja, das war so ein Schlüsselerlebnis für uns. Ich hatte schon die Idee, einen apokalyptischen Film zu machen und es gab auch so gewisse Sachen, die schon standen. Zum Beispiel, dass dieser Film streng aus der Perspektive von einer Figur, einer jungen Frau, erzählt werden soll. Es war aber noch nicht klar in welche Richtung alles gehen sollte. Ursprünglich wollte ich einen Zombiefilm machen. Und wir sind dann auf den Klimaherbst gegangen, weil wir uns schon irgendwas in die Richtung überlegt hatten. Das war dann quasi schon eine erste Recherchearbeit. Aber es gab wie gesagt dieses Schlüsselerlebnis, das war der Vortrag von Harald Welzer. Es war diese Einleitung, die er gemacht hat, die ich so super fand und die uns so im Gedächtnis geblieben ist. Und zwar hat er gesagt: „Wir sitzen jetzt hier in einem Raum, sind freundlich zu einander und ich halte hier einen Vortrag. Aber unter anderen Umständen“ – darum geht ja auch seinem Buch Klimakriege – „zeigt es sich, wie schnell, dass, sobald es essentielle Probleme gibt, der beste Freund zum größten Feind wird und wie schnell Leute zu Mördern werden können“. Und er hat das gut formuliert, dass jeder, der neben einem sitzt, in einer anderen Zeit und unter anderen Umständen zu einem Mörder werden könnte. Ich saß neben meine Co-Autoren und Produzenten Thomas Wöbke und wir haben uns nur misstrauisch angekuckt. Das war dieser Moment, wo wir gesagt haben: „Ja das ist das Richtige, das verfolgen wir jetzt“.

Al Gore hat ja zum Beispiel mit seinen Filmen viel bewegt. Was denkst du was für Auswirkungen die Filmindustrie generell haben kann auf das Thema. Oder wie viel Macht hat sie, die Leute zu beeinflussen und zum Umdenken zu bewegen?

Interessante Frage. Schwierig, ob ich das überhaupt beantworten kann. Ich glaube schon, dass ein Film viel bewegen kann, aber ich glaube dennoch, das andere Sachen wie das Engagement des Klimaherbstes oder von Harald Welzer mit seinen Büchern, nochmal einen ganz anderen Einfluss hat. Und ich muss auch sagen, also wir reden jetzt hier ja offen, dass wir nicht den Anspruch hatten, einen öko-politischen Film zu machen. Ich glaube auch es wäre falsch zu behaupten, dass der Film diesem wichtigen Thema gerecht wird. Sondern er benützt dieses Setting, diese Apokalypse, als fantastischen Aufhänger, um den Thriller aufzubauen. Weil es bei dieser Art von Film ja nicht unbedingt darum geht, was die Menschen bedroht. Das ist das, was ich bei Zombie-Filmen so reizvoll finde, dass im Prinzip der Zombie austauschbar ist. Es geht nicht um den Zombie, sondern darum, was die Situation mit den Überlebenden macht. Genauso wies bei unserem Film nicht um die Sonne geht und was da passiert ist, sondern es geht darum, wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten. Und deswegen wäre es einfach falsch zu behaupten, dass dieser Film da einem Anspruch gerecht wird. Ich denke sehr visuell, und da hat mich das mit der Sonne als erstes getriggert. Dass man mit Überbelichtung arbeiten kann, mit Überstrahlung und so weiter. Nichtsdestotrotz, wenn der Film irgendwie zum Denken anregt über wichtige Themen, dann kanns natürlich nicht falsch sein.

Siehst du generell Dokumentationen anregender als Spielfilme, weil sie von Leuten nicht gleich als Fiktion abgestempelt werden?

Kann sein, ja. Unser Film fällt garantiert nicht in diese Schublade. Sonst glaube ich, dass ein Film wie „Eine unbequeme Wahrheit“ schon mehr anregt, weil da geht es halt einfach um Fakten. Ich glaube aber auch, dass das nicht die Aufgabe von Kinofilmen ist. Es ist schön, dass es Filme gibt, die so etwas machen, aber in erster Linie geht’s mir darum, die Leute für 90 Minuten in eine andere Welt zu katapultieren.

Wie sah die Recherche für den Film aus?

Wir haben nach dem Vortrag mit Harald Wenzel auf dem Klimaherbst gesprochen und ihm unser Projekt erzählt. Wir haben außerdem Hartmut Grassl – die „Klima-Ikone“ Deutschlands – konsultiert, und die haben uns alle die Idee mit der Sonne um die Ohren gehauen und gesagt, dass sei nicht besonders realistisch. Aber das war uns dann auch bewusst. Es soll auch keine realistische Prognose sein. Aber Hartmut Grassl hat auch gesagt, wenn man annehmen würde, dass so etwas passiert, dann wäre unser Szenario innerhalb dieses Kosmos möglich. Unser Ansatz war dann: Wir setzten eine fantastische Prämisse und versuchen uns dann innerhalb dieses Kosmos uns realistisch zu bewegen. Das man zum Beispiel dann zum Beispiel in den Bergen wieder nach Wasser suchen würde, das ist gut vorstellbar.

Du hast dich ja dann sehr ausführlich mit dem ganzen Thema beschäftigt, und es sicherlich auch ausgewählt, weil es viel Film- und Horrorpotenzial hat. Aber wie viel eigene Angst oder Vermutung schwingt da mit, dass es – es muss ja nicht durch die Sonne sein – tatsächlich nach einer Katastrophe mal zum Zusammenbruch aller Systeme bis hin zum Kannibalismus kommen könnte, auch in unserer modernen Gesellschaft?

Das ist auch das Interessante was Harald Welzer gesagt hat: Das ist schon längst im Gange, nur hier bei uns einfach noch nicht. Mir war es einfach wichtig zu zeigen, dass man sich bei den Leuten im Film denkt: „Das könnte ich sein.“ Das sind normale Menschen wie du und ich, die dann plötzlich in die Apokalypse katapultiert werden. Und natürlich hab ich da eine gewisse Befürchtung, aber ich bin da glaube ich der Falsche, um da eine Aussage zu treffen. Da gibt’s andere, die sind da qualifizierter. Aber ist ja auch Schwachsinn wenn Leute immer prognostizieren, wann so etwas dann mal passieren wird. Dabei ist es woanders längst im Gange.

Dein erster Kurzfilm war ja ein Zombiefilm und wie du gesagt hast, sollte HELL auch einer werden. Woher kommt deine Faszination für das Genre Horror-, Zombie- oder Katastrophenfilm?

In erster Linie ist die Antwort auf diese Frage: Weil ich ein Filmfreak bin und selber viele Filme kucke und einfach eine Faszination habe für diese Art von Film. Ich glaube, dass einen die Filme, die man früh sieht sehr prägen, und ich hab früher auch viele dieser Filme gekuckt und mich sehr gefürchtet. Diese Faszination hat mich nie losgelassen. Und ich mag Filme, die dieses „Was wäre, wenn…“-Spielchen betreiben. Das ist unser Film ja auch. Keine realistische Möglichkeit, sondern im Prinzip einfach „Was wäre, wenn…“. Und entweder lässt man sich darauf ein, oder nicht.
Ich sehe aber auch gerne Komödien, das ist aber glaube ich das aller schwierigste. Die Leute zum Lachen zu bringen ist noch einmal eine andere Liga.

Und wie geht’s jetzt weiter bei dir? Hast du schon was geplant, irgendwelche neuen Projekte in den Startlöchern?

Ne, überhaupt nicht. Weil ich das ja momentan alles zum ersten Mal mache, ist es für mich grade eine wahnsinnig aufregende Zeit, den Film ins Kino zu bringen und zu promoten. Die geht jetzt mit dem Kinostart auch langsam zu Ende. Da bin ich momentan noch ganz fokussiert drauf, aber danach kann ich mal langsam überlegen wies weitergeht. Aber ich hab noch kein konkretes Projekt.


Tim Fehlbaum

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