Der Naturzustand trügt: Interview mit dem Fotografen Claudius Schulze

Natur- und Kulturlandschaft werden in Europas Landschaftsbild vielerorts durch Lawinenschutzzäune, Staudämme und Rückhaltebecken vermeintlich hart voneinander abgetrennt. Dass diese menschlichen Eingriffe aber weniger störend erscheinen, als wir bei dieser Beschreibung annehmen, zeigt der Münchner Fotograf Claudius Schulze in seiner Ausstellung „Naturzustand“.

Im Forum 046, einem Format des Münchner Stadtmuseums für junge Fotografie, sind seine Werke von Nordseestrand bis Bergwelt noch bis zum 16. September zu sehen. Er spielt in seinen Fotos mit der täuschend echt wirkenden Idylle. Ist das wirklich unberührte Natur? Mit seiner Großformatkamera und einem kleinen Kranwagen ging er auf über 50.000 Kilometer durch Europa genau dieser Frage nach.

Dass viele Gebiete nur durch solch menschliche Eingriffe überhaupt bewohnbar sind oder die Bevölkerung vor Naturkatastrophen wirksam schützen, lassen wir in der Aussage, dass Eingriffe in die Natur allgemein schlecht seien, oft außer Acht.

Besonderer München-Bezug:

Klar wird uns der Nutzen von Betonklötzen wie Schutzwall & Co. vor allem durch Werke aus der Grafischen Sammlung des Münchner Stadtmuseums. Fotos von vergangenen Hochwasserkatastrophen in München demonstrieren die regulierte Zerstörungskraft natürlicher Kreisläufe. In Kombination mit den Fotografien Schulzes ergibt sich auf jeden Fall eine spannende Gegenüberstellung!

Der gebürtige Münchner, der selbst seine Studien in verschiedenen europäischen Städten absolviert hat, spricht am 20. Juli 2018 um 15:00 Uhr mit Katharina Zimmermann über seine Arbeiten.

Uns hat er schon mal einige Fragen zu seiner Kunst beantwortet:

Grün&Gloria: Seit wann fotografierst du?

Claudius Schulze: Fotografie ist kein Beruf oder Tätigkeit, die mit einem Stichtag beginnt – immerhin: jeder ist heutzutage Fotograf. Ich habe schon immer gerne fotografiert, spätestens mit meinem Istanbulaufenthalt ab 2007 und dem Dokumentarfotografie-Studium bestimmt die Fotografie meine Arbeit.

Wie kamst du auf die Idee, menschengemachte Eingriffe in die Natur zu fotografieren oder gar das vermeintlich Hässliche abzubilden?

Zu Beginn des Projekts las ich eine wissenschaftliche Abhandlung von meiner Schwester, einer Sozial- und Alpingeografin, über einen drohenden Bergsturz in Norwegen. Ich fand diese nüchterne Betrachtungsweise von Katastrophenschützern interessant, die die politische Diskussion darum, ob der Klimawandel menschgemacht ist oder nicht, vollkommen außer Betracht lässt.

Die andere Initialzündung war eine Wanderung in den Bergen. Unterwegs sah ich eines dieser gigantischen Bauwerke, eine Lawinenverbauung, in all seiner Größe und Präsenz. Daraus entstand die Idee, sich damit auf der bildlichen Ebene auseinanderzusetzen.
Im Unterschied zu Natur und Topografie entsteht Landschaft ja erst im Auge des Betrachters. Draußen gibt es quasi Natur und Topografie, also irgendeine Ausformung der Erdoberfläche, aber erst dadurch, dass sich ein Mensch an einen Ort stellt und diese bewusst wahrnimmt, entsteht letztlich eine Landschaft.

sylvensteinspeicher

Claudius Schulze, Sylvensteinspeicher (aus der Serie Naturzustand), 2014 © Claudius Schulze

Siehst du inzwischen nur noch die Ästhetik der Katastrophenschutzarchitektur in der Natur?

Das Projekt hat auf jeden Fall meine Wahrnehmung verändert. Denn in “State of Nature” geht es ja sehr intensiv um die Frage, was wir als Landschaft bezeichnen. Für mich sind die Bauwerke, die ich fotografiert habe, keine Eingriffe in die Natur, denn letztendlich schaffen sie die Landschaft erst, die wir auf den Bildern sehen und auch in unseren Köpfen als Natur verstehen. Wenn wir an die Berge denken, haben wir häufig auch Bergseen vor dem geistigen Auge. Viele dieser Seen sind tatsächlich aufgestaute Seen, die erst durch diese Katastrophenschutzarchitektur entstehen. Die Idee von Landschaft ist also nicht nur an den Betrachter, sondern auch diese Bauwerke geknüpft.

Welches „Bauwerk“ hat dich persönlich am meisten fasziniert?

Ein einzelnes Szenario gibt es nicht. Einige Bauwerke haben mich natürlich stärker beeindruckt als andere, doch das ist eher eine Gruppe von Bauten. Es liegt einfach in der Natur der Dinge, dass Deiche weitaus weniger imposant sind als Staudämme. Das ginge wohl auch anderen Menschen so.

Wurdest du auf der Reise durch Europa von einem Team begleitet?

Nur von meiner Katze “Blackie”, diese reist immer im Kranwagen mit.

Nach welchen Kriterien hast du deine Motive ausgewählt?

Das Projekt war enorm rechercheintensiv, sowohl auf der konzeptionellen Ebene – Wie verstehen wir Landschaft heute? – als auch die Identifizierung der Bauwerke betreffend. Wo stehen diese Bauwerke eigentlich und wie komme ich dorthin? Die Entwicklung der Bildsprache war ein dritter großer Baustein. Die Bilder sollten keinesfalls kitschig werden, zugleich aber das malerische widerspiegeln,
dass der typischen Vorstellung von Landschaft entspricht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Ausstellung Naturzustand im Fomum 046 läuft noch bis zum 16. September
Wo? Münchner Stadtmuseum

 

Beitragsbild: (c) Evgeny Makarov

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