Die Welt reparieren – die Kunst des Zusammenmachens

Man wollte die Gesellschaft verändern. Bei dieser Unternehmung bildeten theoretische Vordenker* und praktische Umsetzer* wirkmächtige Koalitionen. Die einschlägigen Theorien füllten Bücherwände, Gesellschaftskritik war für viele ein Habitus, der sich dem geschriebenen, kanonisierten Wort verpflichtete und ihm gleichsam entwuchs: Schreiben, lesen und vor allem diskutieren formten ein Netzwerk, zu dem auch Versammlungen und Performances gehörten. Ein Auszug aus dem jüngst erschienenen Buch »Die Welt reparieren« von Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.) 

Dieses den Älteren noch vertraute Gefüge, das bis Ende des 20. Jahrhunderts vital war, verliert in den letzten Jahrzenten an Bindungskraft. Doch entgegen den allfälligen Lamenti: Das Politische ist nicht tot. Es bringt neue Formen von Versammlung hervor wie Workshops, Camps, vor allem aber auch verstetige Räume des Zusammenmachens als kollaborative Fabrikation. Mit anderen Worten: Politik manifestiert sich im Machen, Reparieren, Umbauen, Wiederverwerten. Ohne Zweifel: Dieser Sprung ins praktische Tun war stets Teil des Politischen, jedoch der offene und radikal inkludierende partizipative Stil, die Reichweite (weltweit), die hier oberwaltenden Rationalitäten (Open Source) und Normen (z.B. Creative-Commons-Lizenzen, Gerechtigkeits- und andere ethische Diskurse) und die technischen Skills und Werkzeuge (u.a. digitale Codes und Fab Labs), die sich nun an der Dingbaustelle formieren und diese neu lesen und bespielen, sind ein Phänomen, das nicht einfach als Spielerei oder als vorübergehende Erscheinung abzutun ist.

Dazu sind die Spuren, die es bereits jetzt hinterlassen hat, zu tief und zu wirksam. Ein neuer Stil des Politischen ist in der Welt. Er besteht kurz und knapp gesagt darin, die Welt gemeinsam zu reparieren, also praktisch zu transformieren, zu wandeln, um sie zu einer Ökologie umzugestalten, in der man gerne lebt. Das Projekt beinhaltet unendlich viele praktische Revisionen, »Turns« und Handanlegungen, es möchte einzig und allein an seinem praktischen Erfolg gemessen werden, wozu aber auch gehört, dass es Spaß macht, dabei zu sein und seine Zeit sinnvoll zu verbringen. Es positioniert sich klar jenseits der »toxischen Gedanken« (Ruch), dass man ja eh nichts ändern könne. Es liefert täglich Belege für die »politische Schönheit« des Selbermachens in einer Welt, die nie die gleiche bleibt.

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Das Buch »Die Welt reparieren« präsentiert diese neuen Angänge. Anstatt sprachliche Repräsentation von interviewten Personen ins Zentrum zu rücken, folgen wir dem Ansatz und der Architektur der behandelten Projekte. Das Spektrum reicht von: Essen retten, Dinge umnutzen bzw. in eine Circular Economy überführen, smarte und ökologische Produkte produzieren, Werkzeuge bauen und weiterentwickeln, Geflüchteten schnell und umfassend helfen, und Produkte hacken und sie auf die eigenen Bedürfnisse anpassen, Zugang zu Wissen eröffnen, eigene Ideen umsetzen, Eigenmacht, »Autonomie« erlangen, sich selbst bilden – und das alles gemeinsam mit anderen und zugänglich für andere.

Dabei verfolgen wir auch das Anliegen, die in den vergangenen Jahren pauschal in Verruf geratene und vor allem vom Feuilleton diffamierte Ökonomie des Tauschens und Teilens in ihren nichtkommerziellen Bereichen zu rehabilitieren, ohne jedoch die Kannibalisierung durch die kapitalistischen Kräfte aus dem Blick zu verlieren. Typische Anfälligkeiten werden analysiert und die Projekte als heterogene Gebilde und Netzwerke bzw. – summarisch betrachtet – Archipele oder Landschaften einer neuen demokratischen Dingkultur herausgeschält.

 

»Die Welt reparieren« von Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.) erscheint im Oktober 2016 im transcript Verlag. Mehr Infos zum Klimaherbst Programmheft – hier klicken!

 

(c) Foto: Unspalsh/ Forrest Cavale

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