Die Welt wird bunter

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Sie holen sich ihr Tafelsilber zurück: Immer mehr Bürger wenden sich von den Stromriesen ab.

Bei „bewusstem Konsum“ denken viele ans Essen. Vor allem junge Familien achten besonders darauf, was auf den Teller kommt: am liebsten frisch aus der Region, biologisch angebaut. Doch bewusster Konsum ist mehr als der Griff zur Biokiste. Was ist mit unseren Ansprüchen an die Energie, die unseren Herd heizt? Wollen wir wirklich einen Atomherd in unserer Küche? Den Energieriesen die Verantwortung dafür überlassen, wofür unser Geld arbeitet? Obwohl uns Ökostromanbieter längst unkomplizierte Alternativen zu konventionellen Großkraftwerken bieten, halten wir uns zurück. Woran liegt das? Ist Gammelfleisch gruseliger als Gorleben?

80 Prozent wollen Strom aus Erneuerbaren Energien – warum haben dann nur 5 Prozent Ökostrom?

Jeder Einzelne kann frei entscheiden, was er konsumiert. Doch in gewissen Bereichen herrscht Handlungsstarre. Warum eigentlich? „Für dieses scheinbar paradoxe Verhalten, gibt es keine rationale Erklärung. Oft sind es Unwissenheit, Bequemlichkeit, Verdrängung oder traditionelle Werte, vor allem aber Urängste, die uns bei den Themen Geld und Energieversorgung unbewusst treiben“, weiß Manfred Strecker, Umweltmediziner und Psychotherapeut. „Die Angst vor Verlust, zum Beispiel durch einen Stromausfall, sitzt tief. Dagegen sind die Risiken der Atomenergie für viele Leute abstrakt, da die deutschen Atomkraftwerke als die sichersten der Welt gelten. Katastrophen wie in Tschernobyl werden russischen Verhältnissen zugeschrieben.“ Gezielte Kampagnen der großen Energieversorger, wie zum Beispiel „Reicht der Strom, bis ich groß bin?“ von E.ON & Co., schlagen genau in diese Kerbe. „Schreckensmeldungen, wie der BP-Skandal, sind es, die uns aus der Lethargie holen und uns unsere Macht als Konsument bewusst werden lassen“, erklärt Strecker. „Bereits seit einigen Jahren ist hier eine deutliche Gegenbewegung zu spüren, da mehr und mehr Menschen das Spiel mit unseren Urängsten durchschauen.“

Stolze Bayernwerke adé …


Ganz andere Urängste plagen derzeit viele Städte. Gepackt von der Privatisierungseuphorie der Achtzigerjahre hatten sie ihre Stadtwerke verkauft und damit nicht nur ihren Einfluss auf die Energiepolitik aus den Händen gegeben, sondern sich auch in die Abhängigkeit von renditegetriebenen Energieriesen begeben. Doch damit ist jetzt Schluss – so der einstimmige Tenor der Bürgermeisterkonferenzen. „Kommunal ist wieder in“, wie die Süddeutsche Zeitung titelte, denn, „wer das Stromnetz besitzt, hat die Macht“. Viele Gemeinden drehen den Großkonzernen den Rücken zu, die die Netze unter sich aufgeteilt haben. Sie wollen wieder für sich selbst sorgen und das Stromnetz zurückkaufen. Durchweg wird die Versorgung mit Strom, Wärme und Wasser immer mehr zum Thema  der „Daseinsvorsorge“, die zurückgeholt werden muss, indem sie wieder selbst betrieben wird; denn sie ist das Tafelsilber für die Gemeinde, und ihre Bürger. Bestes Beispiel hierfür ist die Stadt München, die seither Eigentümer ihrer Stadtwerke ist. „Der Freistaat Bayern hat seine stolzen Bayernwerke veräußert und kann jetzt nur noch in der Zeitung lesen, was der E.ON-Konzern damit macht“, erklärt Oberbürgermeister Christian Ude. „Wir haben unseren Energiebetrieb in 100 Prozent kommunaler Hand behalten und nicht nur einen gigantischen ökonomischen Nutzen von etwa 300 Millionen Euro jedes Jahr in der Stadtkasse, sondern auch die Möglichkeit, eine ökologische Politik in die Tat umzusetzen.“ Und während die bayerische Landesregierung sich an die Atomkraft klammert und längere AKW-Laufzeiten fordert, gibt München bei der Energiewende Gas.

Solarinitiativen investieren insgesamt mehr als die Stromriesen

Hinter den Bemühungen einer „hausgemachten“ Energiepolitik der Städte und Gemeinden stehen maßgeblich die Bürger selbst. Sie sind der wesentliche Motor der Energiewende und halten das Potenzial dazu in den Händen. Der aktuellen Forsa-Umfrage nach halten 95 Prozent der Bevölkerung den Ausbau der Erneuerbaren Energien für wichtig bis außerordentlich wichtig. Dies zeigt den Willen der Bevölkerung nach einer Demokratisierung der Energieversorgung durch dezentrale Strukturen, weg von abstrakter Versorgung. Tatsächlich tut sich einiges. Solarfamilien investierten im vergangenen Jahr laut Bund für Solarwirtschaft (BSW) über sechs Milliarden Euro in Sonnenenergie. Diese Summe übersteigt sogar die Gesamtausgaben der vier großen Energieversorger für den Neu- und Ausbau von Kraftwerken. Demnach scheint das Feld der Energieversorgung oft nur als eines mit wenig Raum für demokratische Strukturen und Bürgerbeteiligung. Denn auch ohne eigenes Dach kann jeder Einzelne zur Energiewende beitragen, indem er sein Geld nachhaltig in den Ausbau der Erneuerbaren Energien investiert oder auf Ökostrom umsteigt.

An der Basis sind es die Solarfamilien, die sich für die Energierevolution starkmachen, auf politischer Ebene die Städte und Gemeinden. Der Trend hin zur Energieautarkie und Demokratisierung der Energieversorgung ist deutlich zu spüren. Letzten Endes scheint es nur noch eine Frage der Zeit bis zur großen Energiewende. Rationale Gründe jedenfalls sprechen nicht dagegen. Das meint der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der eine Stromversorgung komplett aus Erneuerbaren Energien bis 2050 für möglich hält, ohne dass hierfür längere Laufzeiten für Atomkraftwerke oder neue Kohlekraftwerke nötig sind.

Tipps: ÖKOSTROM & GELDANLAGEN

Mit dem Wechsel zu ÖKOSTROM entscheidet man sich für seinen persönlichen Atomaustritt. Pro Haushalt können so jährlich rund 3,2 Gramm radioaktiver Müll vermieden und der zukünftige Energiemarkt nachhaltig gestaltet werden. Denn der Wettbewerb ebnet den Weg zu einer gerechteren Preisgestaltung und schenkt Deutschland Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Momentan gibt es vier große Anbieter von reinem Ökostrom: www.naturstrom.de, www.greenpeace-energy.de, www.ews-schoenau.de und www.lichtblick.de

Die Verbindung von Ökologie und Ökonomie schafft NACHHALTIGE GELDANLAGEN, wie beispielsweise Bürgerbeteiligungen an Erneuerbaren Energieprojekten. So können Bürger nicht nur in eine dezentrale Energieversorgung, sondern auch in ihre eigene private Vorsorge investieren. Mehr Infos unter : www.bewusst-investieren.de

Die Autorin arbeitet bei dem alternativen Energiedienstleister Green City Energy und engagiert sich ehrenamtlich bei Green City e.V.

Foto: Arkus Burke

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