Ein offener Brief an den Bürgermeister – Gastbeitrag von Herbert Gerhard Schön

Am Harras, Dienstag 09.12.2014 066

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
werte MitleserInnen,

wenn es denn nur so wäre, dass einzig und allein „großzügige Gehwege“ mit immer breiter werdenden Autos beparkt würden, könnten wir es als Ausnahme-Ereignisse einer Großstadt registrieren. Die Polizei oder die KVÜ (Kommunale Verklehrsüberwachung) der LH München bräuchten dann nur konsequent Verwarnungszettel an die Windschutzscheiben hängen und die AutofahrerInnen würden daraufhin vielleicht sogar einsichtig reagieren. Dann gäbe es auch gar keine Notwendigkeit, die Gehweg-Ränder abwehrend zu bepollern und München wäre solcherart tatsächlich eine wunderschöne Stadt.

Gehören eigentlich TRÄUMEN und PHANTASIEREN zu den besonderen Diensteigenschaften der Münchner Stadtverwaltung?
Grundsätzlich bin ich selber natürlich immer dafür, sich die Welt schön zu denken – weil es sich dann einfach besser anfühlt, in einer mit Menschen vollgebatzelten S-Bahn oder U-Bahn zu stehen oder im vollbesetzten Bus in einer vollgestauten Straße auf die vielen Autos herabzublicken, in denen in der Regel aber nur ein einzelner Mensch drinsitzt. Schaue ich dann lange genug in die verschiedenen Stau-Autos hinein, habe ich mir wieder einen repräsentativen Überblick darüber verschaffen können, was diese meist schleichmobilen Menschen so alles nebenbei frühstücken, welche Trendfarben auf dem Handy-Markt angesagt sind und alles sonstige an unnützen Informationen für mein Leben in der Großstadt. Fatalerweise brauche ich aber in München (nur mit einem Photoapparat in der Hand) zu Fuss unterwegs sein und dann fliegen mir solche Motive „Mein Auto, mein Parkplatz vor der Ladentür, . . . , mein Hirn liegt im Kofferraum.“ wie von selbst zu.

Rein statistisch gemittelt wird so ein durchschnittlicher PKW am Tag etwa eine Stunde lang gefahren – dann ist es ein Fahrzeug.
An den restlichen 23 Stunden des Tages wird dieser PKW jedoch mehr oder weniger gut geparkt – dann ist es ein Stehzeug.

Als ich im Jahr 1961 zu einem eingeborenen Münchner wurde, zählte diese Stadt etwa 1.100.000 EinwohnerInnen und es gab damals insgesamt 170.000 in München zugelassene Kraftfahrzeuge – also PKW, LKW sowie Motorräder. Im Vergleich zu den heutigen Zeiten waren diese Fahrzeuge meist deutlich kleiner dimensioniert und das Münchner Stadtgebiet war immerhin 310 qkm groß. Mit diesen Faustzahlen können Sie nun die damalige Bevölkerungsdichte und auch Fahrzeugdichte je Quadratkilometer Stadtfläche ausrechnen.

Heute sind wir 1.500.000 MünchnerInnen auf jetzt immer noch nur 310 qkm Stadtfläche – wir nähern uns also jetzt der 200 qm-Marke der PERSÖNLICHEN STADTFLÄCHE für jeden in München lebenden Menschen, die uns allen (demokratisch aufgeteilt) für unsere urbanen Funktionen zur Verfügung steht: Wohnen + Arbeiten + Konsum + Erholen + Verkehr = Leben in München

Zum aktuellen Fahrzeug-Bestand kann ich jetzt leider nur die Zahlen aus dem KVR des Jahres 2013 anführen: In München waren im vergangenen Jahr insgesamt 768.000 Kraftfahrzeuge angemeldet und davon sind es beachtliche 665.000 PKW – wie beispielsweise dieses offensichtlich falsch parkende Auto im hier anhängenden Bild. Dieser Falschpark-Standort vor der Plinganserstraße 38a ist freilich ein ganz besonderer Platz, weil hier mit der Neugestaltung =>  am Harras so getan wurde, als ob es in dieser von zu vielen Autos befahrenen und beparkten Stadt keine eindeutig sichtbaren räumlichen Zuordnungen für die VerkehrsteilnehmerInnen bräuchte. Wenn es mit dem Traum „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ wirklich anstandslos zusammengehen würde, . . .

Im alltäglichen Großstadt-Leben bräuchte es hingegen aber wirksame Hilfen, um die Menschen für ein zukünftiges Leben „1.700.000 MünchnerInnen teilen sich ein nur 310 qkm großes Stadtgebiet“ schon jetzt einzustimmen. Da sich der öffentliche Raum in München aber nicht mehr vermehren lässt und die überhaupt noch freien Flächen in unserer Stadt – wohl oder übel – für den Wohnungsbau mobilisiert werden müssen, sollten wir jetzt schon damit anfangen, neue Freiräume zu schaffen. Dazu schlage ich immer wieder ein flexibel erweiterbares Straßenraum-ABC vor =>  und natürlich tut so etwas weh, wenn es kosequent angewendet würde. Aber wenn im Jahr 1961 die 1.100.000 MünchnerInnen mit 170.000 Kraftfahrzeugen gut leben konnten, dann müssten für die derzeit 1.500.000 MünchnerInnen etwa 400.000 Kraftfahrzeuge auch ausreichend genug sein. Diesen Weg der Münchner Stadtraum-Verwandlung bezeichne ich als ÖKOLOGISCHE STADTVERWALDUNG: Die Zahl der Kraftfahrzeuge in München halbieren, um dafür die Zahl der Straßenbäume zu verdoppeln und zu verdreifachen. Ganz am Ende dieser Entwicklung sollte jeder Haushalt in München von mindestens einem Straßenbaum belüftet und begleitet werden.

* * * * * *

Und nun komme ich noch zu einigen bei mir liegen gebliebenen Bemerkungen zum Artikel „Lieber wohnen als parken“ von Thomas Anlauf in der SZ vom Montag, 3. November 2014 =>  (Sapperlot – wie die Zeit vergeht):

Bei dieser Aussage „Lieber wohnen als parken“ kommt von meiner Seite aus fast schon naturgegeben ein „Im Prinzip JA – auf alle Fälle, . . .“, denn unser 4-Personen-Haushalt lebt seit 1995 in München ohne ein eigenes Auto (nach 14 Jahren „normalen“ Auto-Besitzes) und wir haben es alle überlebt. Wir sind also wirklich nicht verhungert und selbst ein größerer Einkauf beim ALDI ist ohne PKW-Nutzung möglich. Und für den Fall der Fälle (z.B. IKEA in Neufahrn) hatten wir seit 1995 immer ein passendes Fahrzeug von STATTAUTO greifbar – wenn wir es wirklich brauchten. Mehr als 3.000 km Jahres-Fahrleistung waren es seitdem nie gewesen und es wäre freilich anders, wenn ich ein Auto tatsächlich auch beruflich bräuchte. Aber selbst dann müsste es kein 1,5-Tonnen-Kleinpanzer für den Münchner Straßenverkehr sein, . . .

Aus meiner insgesamt sehr lehrreichen Tätigkeits-Zeit von 2009 bis 2013 als Außendienstmitarbeiter der kommunalen Verkehrsüberwachung der LH München möchte ich hier nun sehr gerne alle interessierten MitleserInnen zu beispielhaften Anschauungs-Spaziergängen „Mein Auto, mein Parkplatz vor der Haustür, .  . .“ einladen. Als ein besonders bemerkenswertes Neubau-Quartier empfehle ich dabei immer noch sehr gerne die NEUE THERESIENHÖHE rund um den BAVARIAPARK im 8. Stadtbezirk Schwanthalerhöhe. Wenn dann am Abend die wirklich sehr große ehemalige Messe-Tiefgarage halb leer steht und oben herum an der Hans-Fischer-Straße mitsamt den Nachbarstraßen alle freien Flecken am rechten Straßenrand zugeparkt sind, dann kann ich ihnen auch das Haus an der Hans-Fischer-Straße zeigen, in dem eine Familie wohnt, deren Fahrzeug-/Stehzeug-Bestand so zählt: Zwei Transporter (gewerblich) und drei PKW (privat), für die das Geld zum ordentlichen Parken in der Tiefgarage eingespart wird, weil das Parken oben an der Straße eh umsonst ist. Selbst wenn dieses Wohnquartier irgendwann einmal tatsächlich für die Parkraum-Bewirtschaftung gewidmet werden sollte, werden die jeweils 30,- Euro jährliche Verwaltungsgebühr für einen grünen Parkausweis (also 2,50 Euro im Monat für ein parkendes Fahrzeug) keinem besonderen Anreiz zum vernünftigen Nachdenken herstellen. Aber die persönlich betroffene Klage, dass „die Stadt“ zu wenige Parkplätze bereitstellen würde, um alle armen AutobesitzerInnen glücklich zu machen, wäre dann eine Spur lauter und eine Tonlage schriller.

Alternativ dazu könnte ich aber auch noch einen Spaziergang rund um den PIUSPLATZ in Berg am Laim anbieten, wo es tatsächlich nur sehr wenige Tiefgaragen- bzw. Anwohnergaragen-Parkplätze gibt, weil es in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch überhaupt keine Vorstellung davon gegeben hatte, welcher Auto-Wahn in unserer heutigen Zeit auch das politische Denken bestimmen würde. Rund um den PIUSPLATZ parken die BewohnerInnen also ihre Autos unbehelligt halb auf den Gehwegen oder in den Baumgräben, denn die Polizei fährt dort nie hin, um hier konsequent die Rechtsverstösse gegen die StVO mit Verwarnungen zu ahnden. Wie kommt das?

Wenn derzeit 768.000 (oder schon wieder etwas mehr) in München zugelassene Kraftfahrzeuge dementsprechend etwa 768.000 BesitzerInnen haben, dann sind es auch etwa 768.000 WählerInnen – was dann natürlich nicht nur den entsprechenden Mutlosigkeitsfaktor in der Münchner Stadtpolitik und Stadtverwaltung erklärt. Ich finde es aber nicht hilfreich, solcherart nur noch feige auf den nächstkommenden Wahltermin zu schielen und ansonsten zu hoffen, dass es schon noch irgendwie so weiter gehen wird.

Und jetzt hat der Münchner Stadtrat doch tatsächlich das jährliche Budget der Unterhaltskosten für die Münchner Straßentunnel verdoppelt?
Wird das für die Zukunft ausreichend sein? Wie viele Autos passen in eine Stadt, bevor das Straßenverkehrs-System zusammenbricht?

Daher nun mit besonders aufmunternden Grüßen,
Herbert Gerhard Schön

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