Floral illegal

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Die neue Grünbewegung pflanzt, sät und gräbt, wenn der Rest der Stadt schläft. Wer sind diese Leute, die nachts mit Spaten und Samenbombe durch die Straßen ziehen, damit mehr Blumen wachsen? Eine Reportage nah am Untergrund.

Conni entdeckt den Streifenwagen als Erste. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Elf durchnässte Menschen, die gerade noch im Matsch knieten, Löcher buddelten und Pflanzen in das kleine, im Bürgersteig eingelassene Beet setzten, klauben nun hektisch ihre Werkzeuge zusammen. Conni wirft die letzten Schlammreste in die blaue Ikeatüte. Edith schnappt sich die Spaten.

Conni ist Guerilla-Kämpferin. Gemeinsam mit einer Gruppe grün Gesinnter hat sie eine Mission: auf Münchens öffentlichen Flächen Blumen und Büsche zu pflanzen – illegal. Noch fährt die Polizei im Schritttempo um den Pariser Platz. Vielleicht zwei Minuten, bis sie die Gärtner erreichen. Dann kann es teuer werden: Bis zu 2500 Euro Bußgeld drohen.

Vor vier Stunden hatten sich die Guerilleros in ihrer Zentrale getroffen. Bei eingelegten Zucchini-Scheiben als Stärkung arbeiteten sie ihren Schlachtplan aus. Ihr heutiges Anschlagsziel: ein Beet in Haidhausen. Bisher wuchs dort nur Unkraut. Bald werden bunte Blumen den Fuß des Lindenbaums auf der Brachfläche zieren. Jeder der Untergrund-Gärtner bewaffnet sich dafür mit einem großen Beutel voller Pflanzen. Connis Munition: Goldrute und Sonnenblumensamen.

Als Garten-Laie hat Conni in den vergangenen eineinhalb Jahren ein Gefühl fürs Pflanzen bekommen. Sie war von Anfang an dabei, als die Guerilla-Gärtnerei in München Einzug hielt. Seit 30 Jahren wird weltweit heimlich gepflanzt. Mittlerweile kämpfen 19 000 Guerilleros rund um den Globus mit Blumengewalt, auch in über 20 deutschen Städten. Ihre Ziele sind so vielfältig wie ihr Einsatzgebiet, die Flora.

Die Städte grüner machen, steht ganz oben auf der Liste. „Ich bin stolz, wenn ich an einem Platz vorbei laufe und denke, den habe ich schöner gemacht“, berichtet Conni. Außerdem will sie Gutes für die Umwelt tun. „Dass unsere Blumen nicht das Klima retten, weiß ich. Aber wo schon mal eine Blume war, kann schließlich ein Baum folgen“, sagt sie. Doch vor allem geht es der Soziologin um den Kampf gegen das Establishment – ohne etwas zu zerstören: „Graffitis machen was kaputt, wir verschönern alles“, sagt Conni.

Im strömenden Regen marschieren die Gärtner im Gleichschritt los. Die Kapuzen ihrer Regenmäntel haben sie tief ins Gesicht gezogen, denn sie wollen nicht erkannt werden. Conni ächzt unter dem Gewicht der schweren Pflanzen-Tüte. Nur noch wenige Schritte, dann sind sie am Ziel. Breitbeinig beugt sich Conni über das Beet und buddelt wie ein Hund. Mit bloßen Händen gräbt sie im Schlamm, der in hohem Bogen zwischen ihren Beinen hervorspritzt. Sie muss aufpassen, denn oft sind Glasscherben in der Erde versteckt.

Und auch andere Überraschungen: „Wenn ich auf den Knien rumrobbe, ist es besonders eklig, wenn ich in Hundescheiße lange“, sagt die 31-Jährige und streift sich mit dem Handrücken eine lange schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Zurück bleibt eine Schlammspur auf ihrer linken Wange. Trotzdem buddelt Conni immer ohne Handschuhe. Dadurch bekomme sie eine bessere Verbindung zu den Pflanzen.
Edith ist ein Pflanzenprofi. Als Landschaftsarchitektin arbeitet sie tagsüber legal im Grünen. Den Guerilleros hat sie sich vor zwei Wochen angeschlossen. Als die Gruppe unter einer Birke Buchsbaum und Frauenmantel pflanzte, wusste sie, das kann nur schief gehen. „Die Hälfte der Pflanzen wird eingehen, Birken brauchen viel Wasser, unter ihnen kann fast nichts wachsen“, erklärt die 32-Jährige. Auch gestalterisch war das wilde Pflanzen Unsinn. „Wenn mein Professor mich dabei gesehen hätte, er hätte mich erschlagen“, berichtet Edith. Trotzdem pflanzte sie fleißig mit. Es muss nicht perfekt sein. Sie will ein Zeichen setzen.

Martin Hänsel, stellvertretender Geschäftsführer vom Bund Naturschutz in München, freut sich zwar über das Engagement der Gärtner, sieht aber auch Gefahren. „Blinder Aktionismus kann mehr zerstören, als er hilft. Gut gemeint ist nicht unbedingt gut“, betont der Naturschützer. Speziell auf scheinbar wertlosen Brachflächen wie Trockenrasen kämen häufig seltene Pflanzen- oder Tierarten vor. Durch Umgraben verschwinden diese seltenen Arten oft.

Conni streift den Matsch an ihren Händen immer wieder an einer kleinen Harke ab. Saubere Streifen ziehen sich über ihre Handfläche, wechseln mit dunkler Schlammkruste. In einer Pfütze im Rinnstein wäscht sie sich die letzten Dreckreste von den Händen, als sie die Scheinwerfer des Polizeiwagens erfassen. Nun ist es höchste Zeit abzuhauen. Zumindest für heute.

Text: Monika Hippold, Julia Temmen

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Fotos: Green City e.V.

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