„Geopferte Landschaften“ – Ein Gastbeitrag von Georg Etscheit

georg_etscheit-1200x400

von Georg Etscheit

Endlich ist geschafft, was Umweltschützer schon seit Jahren forderten: Öko muss „in“ werden. Heute streichen sich urbane Hipster durch ihre sauber gestutzten Vollbärte, die an die Stelle des Zauselbarts der Bio-Pioniere getreten sind. Man speist vegetarisch, vegan oder „clean“, shart car oder strampelt bequem mit dem E-Bike zum gestylten Biomarkt, um dort Wintererdbeeren aus ökologischer und regionaler Produktion zu kaufen. Und natürlich zählt man sich zu den glühenden Verfechtern der „Energiewende“, jenes angeblichen Jahrhundertprojektes zur Rettung des Weltklimas, nein, des Planeten, denn darunter machen es deutsche Gutbürger nicht.

Doch das gute Gewissen, das sich die Neo-Ökos per Grünstromabo kaufen, hat seinen Preis. Ihn bezahlen vornehmlich die Menschen auf dem Land, wo Windkraftwerke , Solarfelder und Biogas-Maiswüsten bald jedes freie Fleckchen okkupieren. Immer schneller schreitet das Zerstörungswerk voran. Aus vielfältigen Landschafts- und Erinnerungsräumen werden apokalyptisch anmutende Industriezonen, schönfärberisch Energielandschaften genannt. Es ist ein anderes, ein unwirtliches Deutschland, das hier buchstäblich in Windeseile und vor aller Augen entsteht, ohne Anmut und Poesie, ein Reich der Technokraten, Profiteure und selbst ernannten Klimaretter.
Den Preis bezahlen auch unzählige Vögel und Fledermäuse, die von den Rotoren erschlagen werden, wenn man nicht schon vorher ihre Horste zerstört hat, um den Bau von Windrädern überhaupt erst zu ermöglichen. Der agrarindustriellen Landwirtschaft hat die „Energiewende“ einen neuen Schub gegeben. In den tot gespritzten und geackerten Agrarsteppen sind nicht nur Bodenbrüter wie Kiebitz und Feldlerche oder der putzige Feldhamster chancenlos. Die „Energiewende“ macht auch die Küstengewässer von Nord- und Ostsee nach und nach zu marinen Industriegebieten. Ob in dem zunehmenden, über- und unterseeischen Trubel seltene Arten wie der Schweinswal überleben können, ist fraglich.

Dabei hat die „Energiewende“ ja gerade erst einige Tripelschritte hingelegt. Noch werden knapp 90 Prozent unseres Energieverbrauchs, einschließlich Mobilität und Wärme, von fossilen und atomaren Energieträgern gedeckt. Der angebliche „Lastesel“ Windenergie trägt dazu minimale 2,5 Prozent bei. Dabei ist der Landschaftsverbrauch von Wind, Sonne, Biomasse schon heute immens und übersteigt den von Braunkohle-Tagebauen, die hier keineswegs schön geredet werden sollen, bei weitem. Wenn der Ausbau der „Erneuerbaren“ in hohem Tempo weitergeht, wird es in Deutschland in wenigen Jahren keinen Ort mehr geben, der nicht in irgendeiner Weise zur Erzeugung, Speicherung oder Verteilung von Energie genutzt wird.

Dass die „Energiewende“ für viele Menschen längst ein Albtraum geworden ist, wird von den Mainstream-Medien oft verschwiegen oder schön geredet. Deshalb habe ich für mein Buch „Geopferte Landschaften“, das am 14. November 2016 im Münchner Heyne-Verlag erscheinen wird, fünfzehn, zum Teil über die jeweiligen Fachzirkel hinaus bekannten Autoren gebeten, am Mythos der „Energiewende“ als angeblich alternativlosem Schlüsselprojekt pseudogrüner Menschheitsbeglückung zu rütteln. Das Buch will denjenigen Gehör verschaffen und Argumente liefern, die nicht in den politischen und medialen Jubelchor der Energiewende-Apostel einstimmen wollen. Es will nicht Abgesang sein, sondern aufrütteln. Noch ist nicht alles verloren, noch gibt es das kulturelle Gedächtnis der Landschaftsräume die Deutschland prägen, und die vor dem Ausverkauf durch die Grünstromlobby bewahrt werden können.

Warum Energielandschaften nicht schön sein können und warum in eine „schöne“ Landschaft keine Windräder passen – dieser Frage geht der renommierte Landschaftsplaner Günther Nohl in einem klugen Essay nach. Der Biologe und Ornithologe Martin Flade, der in der Fachwelt bereits mit seinem Preis gekrönten Aufsatz „Von der Energiewende zum Biodiversitätsdesaster“ Aufsehen erregte, wird neben dem Meeresforscher Karsten Brensing den Auswirkungen der „Energiewende“ auf die Artenvielfalt zu Lande und zur See nachgehen. Der Heidelberger Physiker Dirk Dubbers und Nikolai Ziegler, Vorsitzender des Energiewende-kritischen Bündnisses „Vernunftkraft“, sezieren die technischen und ökonomischen „Mythen“ der Energiewende, während der Ökonom Niko Paech das „Jahrhundertprojekt“ durch die Brille ökonomischer Wachstumskritik betrachtet. Mit Harry Neumann und Johannes Bradtka kommen auch zwei Protagonisten einer neuen, deutschen Umweltbewegung zu Wort. Und mit Sabri Mete ein türkischer Einwanderer, der um seinen „deutschen“ Wald fürchtet.

Der Herausgeber selbst widmet sich den von der „Energiewende“ ausgelösten politischen Umwälzungen innerhalb der Ökoszene und versucht, ganz am Ende, einen Blick in die Zukunft: Woher soll der Strom denn kommen, wenn man keine Windräder will? So lautet die Standardfrage, mit der sich Kritiker der „Energiewende“ konfrontiert sehen, wenn sie es wagen, dem Heilsplan der Grünstrom-Adepten zu widersprechen. Die Apologeten der sogenannten Öko-Energien nutzen diese Frage im Sinne eines Totschlagarguments, das die Kritiker verstummen lassen soll. Trotzdem soll hier versucht werden, Antworten zu finden.

Das Buch „Geopferte Landschaften“ stellt nicht den Klimawandel in Abrede. Es stellt jedoch die drängende Frage, ob man wirklich den Teufel mit dem Belzebub austreiben soll, ob man hier und heute Natur und Landschaft zerstören darf, um vermeintlich eine Erderwärmung zu verhindern oder zu begrenzen, deren Ausmaße und Folgen niemand kennt. Und es stellt die Frage ob die ganz in der alten Wachstumslogik stehende „Energiewende“ nicht wieder nur ein Feigenblatt ist, um der alles entscheidenden Thematik aus dem Wege zu gehen: Dass das vielfältige Leben und die Schönheit der Erde wenig Chancen hat, wenn es nicht gelingt, den Ressourcenverbrauch auf allen Ebenen drastisch zu senken.

Foto: Georg Etscheit http://gute-geschichten.de/gutegeschichten/

1 Kommentar zu “„Geopferte Landschaften“ – Ein Gastbeitrag von Georg Etscheit”

  1. Sebastian Mayer sagt:

    „Dass das vielfältige Leben und die Schönheit der Erde wenig Chancen hat, wenn es nicht gelingt, den Ressourcenverbrauch auf allen Ebenen drastisch zu senken.“

    … das unterschreibe ich sofort, möchte aber bezweifeln, dass die Buchautoren auch dahinter stehen – abgesehen von Niko Paech. Sie verzichten zum Beispiel, soweit mir bekannt ist, nicht auf das Auto, das für eine viel größere Landschaftszerstörung verantwortlich ist. Einige (auch hier ist Herr Etscheit leider selbst dabei) liebäugeln mit der Atomkraft. Es stimmt ja, dass die Grünen sich zunehmend in die Tasche lügen. Aber dieses Buch scheint mir darauf vor allem rückwärtsgewandte Antworten zu geben.

Kommentieren