Großer Sport und große Helden- auch ohne Bastian Schweinsteiger und Co.

Auf dem Odeonsplatz in München tummeln sich normalerweise Touristen. Touristen aus aller Welt mit Kameras und Handys in der Hand. Sie fotografieren und filmen die imposante Theatinerkirche, die Feldherrnhalle oder die alte Residenz. Doch diese berühmten Baudenkmäler aus königlichen Zeiten traten jetzt für zwei Tage komplett in den Hintergrund. Denn „König Fußball“ übernahm das Regiment, zog die Blicke und Kameraobjektive auf sich. Schließlich wurde auf dem Odeonsplatz die erste Europameisterschaft der Obdachlosen ausgetragen.

„Wir können zwar nicht mit großen Namen wie Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil oder Lukas Podolski dienen, dafür gibt es aber bei unserer Fußball-EM großen Sport und große Helden“, sagt Johannes Braun vom Katholischen Männerfürsorgeverein in München (KMFV), der die Europameisterschaft auf dem Odeonsplatz ins Rollen gebracht hat. „Unsere Sozialarbeiter Gabriel Schaub und Mohammad Toufik vom Adolf Mathes Haus “, erzählt Braun, „betreuen unser Fußballteam und kamen im vergangenen Jahr mit der Idee zu mir, dass man doch eine EM veranstalten könnte.“

Gesagt, getan. Zusammen mit „Anstoß! e.V.“, der Bundesvereinigung für Soziale Integration durch Sport, wurde monatelang geplant und organisiert. „Die Leute von Anstoß haben einfach sehr viele Kontakte in ganz Europa und darüber hinaus, kennen die Mannschaften“, sagt Braun, „und haben sich komplett um den sportlichen Part gekümmert.“ Und das kam dabei raus: Vom 25. bis 26. Juni rollte in München der Ball, trafen 17 Mannschaften aus Belgien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Österreich, Polen, Rumänien, der Schweiz, Slovenien, Schottland, Holland, Bulgarien, Ungarn und natürlich Deutschland (insgesamt fünf Teams) aufeinander und kämpften um Tore, Punkte und einen großen Pokal.

Dabei fällt auf, dass die Obdachlosen der einzelnen Mannschaften überwiegend sehr jung sind. Braun schmunzelt etwas: „Viele Leute denken bei Obdachlosen an Menschen, die unter Brücken schlafen, lange Bärte haben und alt sind. Doch die sprechen wir mit unserer EM nicht an, die würden hier auch nicht mitspielen. Und so sieht die große Mehrheit der Obdachlosen auch nicht aus.“ Die Spieler kommen überwiegend aus sehr schwierigen sozialen Verhältnissen, haben keine Ausbildung, keinen Job, keine Wohnung und oft keine Freunde mehr. Bei gemeinnützigen Organisationen finden sie ein Dach über dem Kopf, werden betreut und unterstützt. „Und wer möchte, kann eben auch Fußball spielen“, meint Braun, „das gibt vielen neue Kraft, Mut und Selbstbewusstsein.“

Los geht’s: Gespielt wird auf einem speziell gebauten Fußballcourt mit kleinen Toren, glatten Kunstrasen und einem grünen Netz, das das gesamte Spielfeld umgibt – sieht aus wie ein großer Fußball-Käfig, der von bunten Banden umringt wird. „Damit der Ball nicht ständig rausfliegt“, sagt Mohammad Toufik und betont: „Wir sind sehr froh, dass die Stadt uns den Odeonsplatz zur Verfügung gestellt hat. Auf einem schönen Rasenplatz irgendwo am Rande der Stadt wollten wir nicht spielen. Die Obdachlosen stehen ohnehin schon am äußersten Rand der Gesellschaft, werden ignoriert und vielerorts abgelehnt. Und hier spielen sie nicht im Abseits, sondern sind mittendrin und zeigen, dass sie nicht faul herumliegen, sondern kämpfen können.“

Toufik ist Trainer und Spieler vom KMFV-Team – eines von insgesamt vier deutschen Männerteams bei der Europameisterschaft. Neben dem Adolf Mathes Haus spielen auch noch die Harras Bulls (buntkicktgut) aus München mit sowie das Team Nord aus Hamburg (Jugend hilft Jugend), der amtierende deutsche Meister. Und das Team Süd (Kompass Hof) aus Mindelheim. Frauen kicken auch mit, kommen aus Holland, Schottland, Bulgarien und dem Gastgeberland. Sie spielen ihre eigene, kleine Fußball-EM.

„Das ist unser erstes großes Turnier“, sagt Kiril Kyulev, der Trainer der bulgarischen Frauen-Mannschaft. „Es ist sehr schön, wie die Obdachlosen aus ganz Europa hier zusammen kommen, spielen und zeigen, was sie drauf haben. Eine tolle Idee.“ Er lacht verlegen, muss los. Sein Team spielt gleich gegen Schottland. Zwei Mal sieben Minuten dauert eine Partie. 14 Minuten also, in denen die Fußballer und Fußballerinnen unermüdlich rennen, schießen und um das runde Leder rangeln.
Gerade spielen zwei Männerteams – Österreich gegen Ungarn. Die Spieler tragen einheitliche Trikots, Hosen und Stutzen. Der Ball knallt immer wieder gegen die Bande und auch ins Tor. Ab und zu pfeift der Schiedsrichter ab, wenn der Ball das Netz über den Köpfen der Fußballer berührt oder die Zweikämpfe etwas zu hart und wild geführt werden. Umringt wird das Spielfeld von knapp 150 Fans, die mit Tröten, Anfeuerungsrufen und Applaus für echte Fußballstimmung sorgen. Und immer wieder bleiben Leute auf dem Odeonsplatz stehen, schauen und staunen. Die Fußball-EM der Obdachlosen kommt gut an.

Mehmet Scholl, der frühere Bayernstar soll sogar am zweiten Tag noch vorbeischauen. Doch er sagt ab. Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller, Manuel Neuer haben leider auch keine Zeit, werden bereits vom neuen Bayerntrainer Pep Guardiola, der Superstar aus Spanien, trainiert und über den Platz gescheucht. Die großen Fußballstars sehen nicht wie Rumänien bei den Männern und Bulgarien bei den Frauen Europameister werden. „Aber das macht nichts“, sagt Johannes Braun, „unsere Stars sind die Obdachlosen.“

Fotocredit: Sebastian Schulke/ Bente Lubahn

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