Landschaft – Stadt – Gesellschaft

Ein Interview mit Irene Burkhardt, Landschaftsarchitektin

1. Seit 100 Jahren gibt es den bdla – was war der Anlass zur Gründung?
Fast zeitgleich gründeten sich vor hundert Jahren der Bund Deutscher Gartenarchitekten und nachfolgend der Verein Deutscher Gartenarchitekten. Als kritische berufsständische Organisation und als gartenkünstlerische Elitevereinigung versuchten sie, eigene Antworten zu geben auf die großen ökonomischen und gesellschaftspolitischen Umbrüche, die im ausgehenden 18. und insbesondere 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung verbunden waren und die Lebensumstände in den Städten prägten. 1948 wurde der BGDA neu gegründet und Anfang der Siebziger Jahre in Bund Deutscher Landschaftsarchitekten (bdla) umbenannt. Diese inhaltliche Erweiterung der Berufsbezeichnung vom Garten- zum Landschaftsarchitekten spiegelt die umfassende gestalterische Verantwortung für unsere Lebensumwelt wieder.

2. Haben sich die Ziele und Schwerpunkte seit der Gründung gewandelt? Falls ja, welche Entwicklungen in der Freiraumplanung stellen Sie fest?
Der bdla verfolgt seit seiner Gründung die gesellschaftlichen Entwicklungen und nimmt heute zu allen raumbedeutsamen Gesetzgebungen Stellung. Hier hat sich ein komplexer rechtlicher Rahmen in der Bauleitplanung, der Raumordnung und dem Umweltrecht aufgetan. Der bdla wirkt auch bei der Fortschreibung der Leistungsbilder der Honorarordnung mit, die die wirtschaftliche Grundlage für eine qualitätsvolle Leistung der Landschaftsarchitekten schafft. Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie die Energiewende, die die Stadtquartiere und ihre Freiräume wie auch die freie Landschaft mit den großen Infrastruktureinrichtungen und Bewirtschaftungseinheiten prägen werden, wird die Freiraumplanung aktiv mitgestalten.

3. Wie schätzen Sie den Stellenwert und die Wertigkeit der Landschaftsarchitektur in der Gesellschaft in der BRD verglichen mit anderen Ländern ein?
Die Sensibilität für Umweltfragen ist in der BRD hoch. Das Berufsbild des Landschaftsarchitekten ist positiv besetzt, allerdings häufig ohne die inhaltliche Kenntnis der von Landschaftsarchitekten bearbeiteten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben. Hier sollte es besser gelingen, die Kompetenz der Landschaftsarchitekten mit ihren vielfältigen Tätigkeiten darzustellen. Die enge Verknüpfung des Berufsbilds der Landschaftsarchitekten mit zu lösenden Umweltproblemen ist in anderen Ländern durchaus gegeben. Das Ansehen von Landschaftsarchitekten ist zum Beispiel in China und vielleicht generell in Schwellenländern hoch.

4. Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen Landschaftsarchitekten, Architekten und Stadtplanern? Hat es sich verändert/weiter entwickelt?
Wesentliche Aufgabenfelder werden von Landschaftsarchitekten wie Stadtplanern bearbeitet und jeweils aus spezifischem Blickwinkel betrachtet und gelöst. Eine enge Zusammenarbeit mit Architekten, Ingenieuren und allen der Gestaltung und Nutzung verpflichteten Disziplinen unter dem Gebot der Nachhaltigkeit ist den in der Regel komplexen Fragestellungen angemessen und führt zu besseren Lösungen. Freiraum und Hochbau ergänzen einander und sind gemeinsam zu entwickeln. Große Landschaftsarchitekten wie Ludwig von Sckell, der in München den Englischen Garten und die Maxvorstadt prägte, waren auch Stadtplaner.


Foto: Michael Nagy


5. Welchen Stellenwert haben die Landschaftsarchitektur und die Freiraumplanung gerade in hochverdichteten und unter starkem Siedlungsdruck stehenden Städten wie München? Ist Grünplanung hier Alibi oder gestaltende Kraft? Gilt Landschaft als Restfläche oder zentrales Element der Stadtstruktur?

Die Entwicklung der Freiräume in München und im Umfeld der Stadt muss zentrales Anliegen sein. Sie sind sensorischer Ausgleich für optische und akustische Stressfaktoren im eng bebauten Raum. Freiräume sind für alle, besonders aber für Personen mit eingeschränkter Mobilität oder geringer physischer Belastungsfähigkeit von großer Bedeutung. Die prognostizierten klimatischen Belastungen können entscheidend nur über begrünte Flächen in der Stadt gedämpft werden. Zurückgenommene Verkehrsinfrastruktur wie zum Beispiel der Park auf dem Petueltunnel, Dachgärten, aber auch viele vernachlässigte Restflächen im öffentlichen Raum bieten ein hohes Potential. Ein durchgehendes Netz von Grünverbindungen erhält als Vernetzungsstruktur für die vom motorisierten Verkehr unabhängige Mobilität größte Bedeutung.

6. Wie weit gehen Ihre Gestaltungsmöglichkeiten? Was bleibt an Einflussmöglichkeiten? Verändern sich Ihre Spielräume?
Die Gestaltungsmöglichkeiten sind groß, da Landschaftsarchitekten in den verschiedensten Funktionen zu allen Themen der räumlichen Planung in praktisch allen Maßstäben tätig werden. Voraussetzung sind Professionalität, Kreativität und Ausdauer, manchmal auch Hartnäckigkeit. Gesetzliche Rahmenbedingungen wie die Verpflichtung zu Freiflächengestalungsplänen in München und die Kompetenz der Partner in der Verwaltung geban auch Gestaltungsmacht. Spielräume verändern sich mit den Aufgaben, zum Beispiel in der sich verdichtenden Stadt. Hier treten Widersprüche auf, zum Beispiel beim Klimaschutz und der erwünschten Qualität im Wohnumfeld durch Schatten spendende Bäume und dem dafür notwendigen, aber kaum mehr zur Verfügung stehenden Raum. Spielräume eröffnen sich auch durch sich ändernde Planungsprozesse, wenn künftige Nutzerfrühzeitig in die Beurteilung und Zielfindung ihrer Lebensumstände einbezogen werden. Hier entwickelt sich eine neue Planungskultur. Größere Einflussmöglichkeiten ergeben sich insbesondere dort, wo neue Aufgaben zu lösen sind, dies gilt sowohl im nationalen wie internationalen Rahmen.

7. Wie kann Landschaftsarchitektur als erkennbare Größe in München wahrgenommen werden? Beispiele Westpark, Landschaftspark Messestadt.
Landschaftsarchitektur in München wird sicher mit den großen historischen wie neuzeitlichen Anlagen wie dem Englischen Garten, dem Nymphenburger und dem Schleissheimer Schlosspark, aber auch dem Olympiapark, dem Westpark oder dem Petuelpark verbunden. Hier zeigt sich die Entwicklung von den Prachtanlagen aus der Residenzzeit zum Garten für die Bürger neben Anlagen, die gewissermaßen als Stadtreparatur auf Schutt- und Brachflächen oder auf einem Tunnel als begrünter Deckel über einem Verkehrsbauwerk entstanden sind.
Größere Parkanlagen entstehen heute nur in Verbindung mit der baulichen Entwicklung von neuen Stadtteilen oder Quartieren. Beispiele hierfür sind der Landschaftspark Messestadt in Riem und künftig in Freiham. Da die Flächenressourcen für großräumige bauliche Entwicklungen innerhalb der Stadtgrenzen erschöpft sind, müssen wir uns darauf konzentrieren, alle Freiräume weiter zu qualifizieren ihre Belastbarkeit nicht zu überstrapazieren, Verkehrsflächen wo möglich zurückzunehmen und Freiflächen wohnungsnah und am Gebäude – wie zum Beispiel auf Dächern – anzubieten. Die Zusammenarbeit bei der Sicherung und Entwicklung der Freiräume zu einem mit der Region verflochtenem Netz ist notwendig. Landschaftsarchitektur kann so überall als Garant für gut nutzbare, ökologisch wirksame und gestalterisch hochwertige Freiräume wahrgenommen werden.


Foto: Irene Burkhardt


8. Landschaftsarchitektur hat oft das Image eines schmückenden Beiwerks – wie kann dies abgestreift werden? Wie lassen sich die öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung verstärken?

Landschaftsarchitektur ist eine zentrale Aufgabe von Beginn eines jeden Projekts an. Das ist auch für die planenden Kollegen nicht immer selbstverständlich, aber doch eine Voraussetzung für ein gelungenes Gesamtwerk. Werden die entstehenden Freiräume dann noch als „schmückend“ erlebt, soll es uns nur recht sein. Die Wertschätzung qualifizierter Freiräume durch Nutzer und Immobilienentwickler ist gegeben. Dies schlägt sich auch in den Marktpreisen für entsprechende Objekte nieder. Die öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung sollte mit Schülern und Nutzern in öffentlichen Diskussionen über Gestalt- und Umweltqualitäten gefördert werden. Planer müssen Lebenssituationen interpretieren, zwischen Werten wählen und Werte reflektieren, müssen Ziele begründet – dabei vom gesellschaftlichen Ganzen ausgehend – bestimmen, statt nur Mittel zu ihrer Erreichung zu entwickeln (Abschiedsvorlesung Prof. Ludwig Trepl, Mai 2011). Die Vergabe eines Bayerischen Architekturpreises für Landschaftsarchitekten durch die Bayerische Architektenkammer würde das Ansehen der durch Landschaftsarchitekten gestalteten Umwelt würdigen.
Wir hoffen, dass auch das neue Online-Portal www.landschaftsarchitektur-heute.de wie auch die Website www.bayern.bdla.de dazu beitragen, dass die hochwertige Entwicklung und Gestaltung von Freiräumen eingefordert und unterstützt wird.

 

Foto: Michael Nagy

Foto: Irene Burkhardt

 
Interview mit Irene Burkhardt (Standpunkte 08/2013)

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