„Manche Konflikte sind nicht von heute auf morgen lösbar“

Wo viele Menschen auf engem Raum Leben, entstehen Konflikte. Besonders in großen Städten wie München wird daher Konfliktmanagement immer wichtiger. Das Münchener Forum hat sich mit der Sozialreferentin Brigitte Meier unterhalten.

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Münchner Forum: Was sind aus Ihrer Sicht immer wieder vorkommende Konflikte im öffentlichen Raum in München?
Brigitte Meier:
Wir haben öffentliche Plätze mit unterschiedlichen Nutzern und gegenläufigen Interessen. Daraus können Konflikte entstehen. Wenn Sie hier aus den Fenstern des Sozialreferats runter auf den Orleansplatz schauen, dann war der früher auch so ein Konfliktort. Ladenbesitzer, Anwohner und Spaziergänger fühlten sich gestört von Wohnungslosen oder Alkoholkonsumierenden, die dort herumstanden oder sich auf den Bänken niederließen. Und weil der öffentliche Raum begrenzt ist, gibt es natürlich immer wieder Probleme oder schlicht unterschiedliche Interessen, was man tun oder lassen sollte. Das ist so am Gärtnerplatz oder an der Isar.

Hat das damit zu tun, dass die Reizschwelle der Münchnerinnen und Münchner sinkt oder dass etwas spürbar wird, was man als „Dichtestress“ bezeichnen könnte?
Das kommt auf die Situation an. Ich verstehe, wenn die Menschen, die am Gärtnerplatz wohnen und schlafen wollen, nach Mitternacht sagen: Jetzt ist es auch einmal gut. Ich würde nicht sagen, diese Menschen sind besonders sensibel und deshalb gereizt, sondern sie haben einfach ein Schlafbedürfnis. Dann gibt es Orte, wo ich mir denke, dass die Belastung objektiv eher nicht so hoch ist. Es gibt auch in Trudering Menschen, die sich beschweren, dass es zu laut ist. Es ist abhängig vom Ort und von der Bewohnerschaft, wie die Konflikte sich darstellen.

Haben Sie beobachtet, dass die Zahl der Konflikte in der Stadt insgesamt zunimmt?
Nein, aber sie sind anders als früher. Vieles haben wir schon wieder vergessen. Wir hatten in den neunziger Jahren ein dramatisches Drogenproblem im öffentlichen Raum. Da gab es um die Uni herum und in den U-Bahnen konsumierende und sichtbare Drogenabhängige. Oder Ende der achtziger Jahre, Anfang der neunziger Jahre hatten wir viel mehr sichtbare Wohnungslose, die draußen übernachtet haben. Das haben wir gut in den Griff bekommen. Die Konflikte haben sich in den vergangenen Jahren eher verschoben oder verändert.

Seit einiger Zeit gibt es die Stelle für Gemeinwesenmediation (SteG) und das Allparteiliche Konfliktmanagement in München (AKIM). Warum ist denn das Sozialreferat überhaupt in dieses Thema Konfliktmanagement und Konfliktmoderation eingestiegen?
Es gibt im Sozialreferat eine Tradition, mit dem öffentlichen Raum und seiner Nutzung umzugehen: Die klassische Streetwork. Aber die Streetwork ist immer parteilich unterwegs, sie ist zum Beispiel zuständig für Drogenabhängige und schaut, wie sie ihnen helfen und gut im System andocken kann. Streetworker sehen sich als Unterstützer eines bestimmten Klientels. Wir haben aber andere Konflikte, bei denen Streetwork nicht eingesetzt werden kann. Beispielsweise am Gärtnerplatz gibt es feiernde junge Menschen, die in einem gewissen Widerspruch zu ruhebedürftigen Menschen stehen. Orientierungspunkt für diese Art der Konfliktbewältigung war das Vorbild von Wien. Daraus ist bei uns AKIM entstanden. Ein Ansatz, der alle Interessen berücksichtigt und nicht die Interessen einer einzelnen Zielgruppe.

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Was sind die Aufgaben, bei denen SteG und AKIM tätig werden?
AKIM und SteG haben ganz unterschiedliche Aufgaben. SteG setzen wir ein, wenn wir sehen, dass es einen erkennbaren Konflikt zwischen zwei oder drei Gruppen gibt. Ein Beispiel von der Schwanthalerhöhe: Dort waren die Skater auf einem öffentlichen Platz [Georg-Freundorfer-Platz, Anm. der Red.] relativ laut, und die Anwohner und Nachbarn haben sich über den Lärm beschwert. Da haben wir mit SteG versucht zu vermitteln. Indem man sich zum Beispiel über feste Zeiten geeinigt hat oder über den Umgang mit Müll. Das ist ein klassisches Mediationsthema: zwei Interessengruppen versuchen, mit Regeln gegenseitig aufeinander Rücksicht zu nehmen. Am Gärtnerplatz aber können Sie nicht zwischen zwei bekannten Gruppen schlichten, weil der Konflikt dort anonym ist. Die einen wollen feiern, die anderen wohnen da. Da können Sie nicht mit Regeln der Streetwork arbeiten und einem Betrunkenen sagen, dass er um Viertel nach zehn zu trinken aufhören soll. So etwas ist nicht moderierbar, da müssen Sie mit etwas anderem ran. Genau das versucht AKIM, also runter dimmen, Verständnis wecken. Ich war mal beim Einsatz dabei. Der junge Mensch sagte: „Warum kann ich jetzt nicht laut sein, dann sollen die Leute, die am Gärtnerplatz wohnen, halt woanders hinziehen.“ Dann haben wir gesagt: „Der wohnt da schon 30 Jahre, und du bist der, der später gekommen ist.“ Und dann hat der gesagt: „Ach so!“

Wie steht es um die Integration in München?
München kann Integration, das haben wir in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen. Wir wissen, wo wir ansetzen müssen. Migration ist Teil der Stadtgeschichte und -kultur und hat München bereichert. Ich sehe vor diesem Hintergrund in erster Linie die Chancen, bei allen Konflikten, die es auch geben wird. Ein Miteinander statt konfliktbeladenes Gegeneinander wird gelingen, wenn wir immer wieder erklären, aufklären und uns offen begegnen. Wir müssen ins Gespräch kommen, ob in der Schule, im Verein, am Arbeitsplatz, im Café oder einfach auf der Straße. Begegnungen untereinander sind wichtig, damit das Verständnis füreinander wächst. Das gilt ganz grundsätzlich, nicht nur in Bezug auf Flüchtlinge. Denken Sie beispielsweise an Einrichtungen für Wohnungslose, psychisch Kranke oder eine Jugendhilfeeinrichtung. Hier haben Sie vergleichbare Konflikte mit Teilen der Anwohnerschaft wie bei der Errichtung von Flüchtlingsunterkünften. Die Argumente, die Bedenken, die Ansätze des Ausgleichs sind ähnlich und lassen sich meist ausräumen durch Aufklärung und Begegnungen. Bisher ist es in München zu keinen nennenswerten Streitigkeiten zwischen verschiedenen Flüchtlingsgruppen gekommen, ich hoffe, das wird auch so bleiben.

Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft hat vor Kurzem in einem Interview ein sehr dramatisches Bild gezeichnet. Er sprach von ethnischen und religiösen Konfliktlinien und auch von Clanstrukturen in Asylbewerberunterkünften, von denen er täglich in seiner Arbeit höre. Sehen Sie die Gefahr, dass es solche Konfliktlinien am Ende auch in der Münchner Stadtgesellschaft gibt?
Ich sehe für München diese Gefahr nicht so dramatisch. Großfamilien, die hierarchisch agieren, und Clanstrukturen sind etwas, was wir in der sozialen Arbeit seit Ewigkeiten kennen. Damit umzugehen und mit einem Clan oder einer Großfamilie zu verhandeln, ist nichts, was uns überrascht. Wir haben jetzt wegen des großen Zuzugs von Flüchtlingen
einfach mehr zu tun, sind aber gut darauf vorbereitet.

Wir haben in München seit vielen Jahren das Problem des knappen und des teuren Wohnraums. Könnte sich da der Konflikt verschärfen zwischen Neuankömmlingen, die Wohnraum suchen und auf dem freien Markt keinen finden, und den Münchnern, die schon sehr lange auf der Suche nach diesem bezahlbaren Wohnraum sind?
Der derzeitige Flüchtlingsstrom hat zunächst keinen Einfluss auf den Wohnungsmarkt. Ankommende Flüchtlinge sind nicht im freien Wohnungsmarkt unterwegs, sondern werden in besonderen Gemeinschaftsunterkünften und im Rahmen unseres Überbrückungs- und Sofortprogramms vorübergehend in ehemaligen Gewerbeobjekten, Wohncontainern und winterfesten Leichtbauhallen untergebracht. Von einer Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und Wohnungssuchenden, wie manchmal behauptet wird, kann daher keine Rede sein, zumal auch kein Wohnungsbauprojekt wegen Flüchtlingsunterkünften unterbleibt. Davon zu unterscheiden sind anerkannte Flüchtlinge, die dauerhaft in München bleiben wollen. Sie müssen wie jeder andere Wohnungssuchende auf dem Wohnungsmarkt eine Bleibe suchen. Das stellt alle Beteiligten vor eine Herausforderung, die wir aber meistern werden. Es darf bei der Suche nach bezahlbaren Wohnungen keine Konkurrenz zwischen anerkannten Asylbewerbern, bedürftigen Familien, Alleinerziehenden, Rentnern und Obdachlosen geben. Wir müssen daher in München bezahlbare Wohnungen erhalten und möglichst rasch neue bauen. Und genau hier setzen unsere geplanten Sonderbauprogramme an. So haben wir für die kommenden Jahre ein Wohnungsbauprogramm aufgelegt, für 800 Millionen Euro. Diese Mittel fließen in den geförderten Wohnungsbau und kommen somit den unteren und mittleren Einkommensgruppen zugute. Angesichts der ungebrochen hohen Wohnungsnachfrage hat der Stadtrat kürzlich sogar die Zielzahl auf 8.500 neue Wohneinheiten pro Jahr erhöht.

Das Interview führte Michael Schneider am 29.09.2015

Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst in der November-Ausgabe zum Thema ‚Konfliktlösung in Nachbarschaft und
öffentlichem Raum‘ des Magazins Standpunkte vom Münchner Forum.

Fotocredits: Flickr/(1) Patrick Gruban/(2) Márcio Cabral de Moura

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