Julia Post ist eine Münchner Studentin der Politikwissenschaft – nebenbei rettet sie die Welt. Ein bisschen zumindest. Mit ihrer privaten Initiative Coffee to go again setzt Julia Post sich gegen die Flut von Wegwerfbechern in der deutschen Gastronomie ein. Zum Interview treffen wir uns natürlich in einem Café, das Teil des Netzwerks von Coffee to go again ist. Wie alle Teilnehmer füllt man im Deli Star von Andreas und Susanne Berndl alle Getränke zum Mitnehmen gerne in mitgebrachte Mehrwegbecher. Das hilft, Ressourcen und Energie zu sparen, Müll zu vermeiden und auf lange Sicht auch, den Klimawandel zu bekämpfen.
Frau Post, wie sind Sie auf das Müllproblem der Coffee to go-Becher aufmerksam geworden?
JP: Ich habe früher selbst viel Coffee to go getrunken. Irgendwann ist mir dann die große Menge an Müll aufgefallen, die das produziert und die im schlimmsten Fall im Gebüsch landet. Dann habe ich mir mal Hochrechnungen angeschaut, die haben mich dann wirklich erschreckt. Das sind ja 320.000 Becher in der Stunde, die nach zehn Minuten Nutzung im Müll landen. Also habe ich begonnen, mein eigenes Verhalten umzustellen. Jetzt versuche ich, das in größerem Rahmen zu machen.
Was genau war die Idee hinter Coffee to go again?
JP: Mir ist aufgefallen, dass viele Menschen den Wegwerfbecher nicht als Umweltsünde wahrnehmen. Er gehört einfach zum gängigen Lifestyle. Auf diese Diskrepanz wollte ich aufmerksam machen und konkret etwas gegen den Klimawandel unternehmen. Außerdem ist das Thema Kaffeebecher ein guter Türöffner, um gerade junge Menschen auch auf andere Umweltschutz-Themen aufmerksam zu machen.
Wie gut kommt das Konzept der Mehrwegbecher zum Mitnehmen an?
SB: Das wird immer besser angenommen. In zwei Filialen wurden jetzt im Juli knapp 70 Getränke in Mehrwegbecher ausgeschenkt. Die Tendenz ist steigend und wir erwarten, dass immer mehr Menschen ihren Becher dabei haben werden. Wir verkaufen in unseren Cafés auch Mehrwegbecher, die waren schon häufiger ausverkauft.
JP: Auch ich bekomme viele positive Rückmeldungen aus allen Bereichen: Von Privatpersonen und GastronomInnen, aber auch von PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen.
Die gesetzliche Regelung zur Verwendung von Mehrwegbechern ist ja nicht eindeutig. Gastronomiebetreiber könnten deswegen Bedenken haben.
JP: Tatsächlich war es lange so, dass das Gesetz die Mehrwegbecher weder ausdrücklich verboten noch erlaubt hat. In Bayern hat sich das aber erst vor einigen Wochen geändert: Jetzt ist das Befüllen von Thermobechern ausdrücklich erlaubt. Die Stadt Regensburg setzt inzwischen offiziell mein Modell um. Beides ist natürlich ein großer Erfolg, der sich hoffentlich auch in anderen Städten und Bundesländern wiederholt.
Frau Berndl, gab es bei Ihnen Unsicherheit bezüglich der Gesetzeslage, weil sie Mehrwegbecher befüllen?
SB: Nein, überhaupt nicht. In unseren Cafés bieten wir schon seit Jahren 10 Cent Verbilligungen für jedes Getränk im mitgebrachten Becher an. Es geht einfach darum, dem Verpackungswahn etwas entgegen zu setzen, deswegen finden wir Coffee to go again auch sehr unterstützenswert. Wir würden uns wünschen, dass in Zukunft jeder Kunde gefragt wird: „Haben Sie Ihren Mehrwegbecher dabei?“
Wie groß ist denn der Anteil von To-Go-Kunden im Gastronomiebereich?
SB: Die Kunden bringen heutzutage ein To-Go-Selbstverständnis mit, jeder denkt, er muss immer alles mitnehmen können. Bei uns macht das To-Go-Geschäft ungefähr 70 Prozent des Umsatzes aus, es ist also sehr wichtig.
Wie genau setzt sich die Initiative Coffee to go again gegen diese Wegwerfmentalität ein?
JP: Ich arbeite auf zwei verschiedenen Ebenen. Zum einen melden sich Cafés und Bäckereien und fragen nach den Stickern, die die Mitgliedschaft signalisieren. Inzwischen machen über 250 Cafés in ganz Deutschland mit. Zum anderen gibt es die politische Stoßrichtung. Die Bereitschaft von CafébetreiberInnen, etwas gegen die vielen Verpackungen zu unternehmen, sichtbar zu machen, ist der wichtigste Teil davon. Der überregionale Wiedererkennungswert erreicht viele Menschen. Außerdem halte ich Vorträge, leiste Öffentlichkeitsarbeit und spreche mit Politikern und Politikerinnen, um die größeren Rahmenbedingungen zu verändern. Auf lange Sicht wünsche ich mir ein Pfandsystem für Mehrwegbecher und eine Besteuerung auf Einweggeschirr.
Worüber sprechen Sie in den Vorträgen?
Erstaunlich viele Themen hängen mit dem To-Go-Becher zusammen: Als Mikroplastik gefährdet er die Pflanzen- und Tierwelt in den Meeren und gelangt zurück in unsere Nahrungskette. Für die Pappbecher werden – allein für den deutschen Markt – jährlich 43.000 Bäume gefällt. Das gefährdet den tropischen Regenwald. Meine Initiative ist ein Beispiel für „Global denken – lokal handeln. Als Politikwissenschaftlerin möchte ich natürlich auch allgemein darüber aufklären, wie politische Rahmenbedingungen mitgestaltet werden können. Ein weiteres Thema ist die „To-Go-Mentalität“, ich werfe auch manchmal einen Blick in den Kaffeebecher und spreche über fairen Handel.
Mit Ihrer Initiative haben Sie schon in mehreren Stadträten vorgesprochen. Wie groß ist der Einfluss solcher Projekte auf die Politik?
Ich erachte den Einfluss als enorm hoch. Einerseits braucht die Politik dringend best-practice-Beispiele, die unkompliziert umgesetzt werden können. Andererseits müssen wir lautstark für diese und andere Themen kämpfen, da wir so die EntscheidungsträgerInnen beauftragen und legitimieren. Dafür müssen wir dringend mehr über den Klimaschutz kommunizieren. Der Vertrag von Paris ist eine historische Errungenschaft. Wir müssen nun auf eine konkrete Umsetzung bestehen und die erfolgt in vielen einzelnen Schritten.
Was kann der Einzelne tun, um einen Unterschied zu machen?
Als erstes natürlich selber auf Mehrwegbecher umsteigen. Ich wurde wirklich noch nie in einem Café wieder weggeschickt, als ich mit meinem Becher ankam. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen für die Betreiber und die Politik. Man muss aktiv ein Zeichen setzen und lautstark Alternativen fordern. Die Cafés richten sich ja nach der Nachfrage der Kunden, und die Politik reagiert auf die Stimmung in der Bevölkerung.
SB: Tatsächlich haben wir als Cafébetreiber gar kein Interesse an Einwegbechern. Sie müssen produziert, bedruckt und zugestellt werden. Das sind alles Extrakosten, die sich summieren.
Vor kurzem ist Coffee to go again ins Crowdfunding gestartet. Wie kam es dazu?
JP: Weil Coffee to go again eine private Initiative ist, stecke ich persönlich viel Geld und Energie in das Projekt. Alle Sticker, Flyer oder Reisekosten für Vorträge zahle ich aus eigener Tasche. Außerdem arbeite ich in der Woche ungefähr 30 Stunden nur für Coffee to go again. Neben meinem Studium und meiner Werkstudentenstelle ist das ein riesiger Kraftakt. Das Projekt muss jetzt anfangen, sich selbst zu tragen, sonst kann ich mir das als Privatperson einfach nicht mehr leisten.
Was passiert mit dem Geld, das eingenommen wird?
JP: Die Fundingschwelle sind 10.000 Euro. Die werden in die Basics investiert, in Flyer, Sticker und eine Website. Außerdem biete ich Becher mit dem Logo der Initiative an, um das Ganze sichtbar zu machen. Es gibt auch Pakete für Gastronomiebetreiber, die nicht selber den Rechercheaufwand für einen eigenen Becher betreiben wollen. Auf dieser Stufe möchte ich das Projekt einfach größer und professioneller aufziehen, um die Unterstützerbasis weiter auszubauen. Außerdem brauche ich einen Arbeitsplatz.
Ab 20.000 Euro kann ich mir leisten, eine eigene App fertigstellen zu lassen. Sie wird einen Filialfinder beinhalten, außerdem versuche ich, darüber Rabattaktionen laufen zu lassen.
Sollten 30.000 Euro oder mehr zusammenkommen, möchte ich Coffee to go again zur Institution ausbauen. Dazu gehören langfristig MitarbeiterInnen, die mich unterstützen, und weitreichende Bildungsangebote. Diese sollen sich unter anderem an zukünftige Gastronomiemitarbeiter richten, weil sie bei diesem Thema sehr viel bewirken können. Vielleicht kann ich meine Tätigkeit dann irgendwann auch hauptberuflich ausüben.
Wie soll sich Coffee to go again in Zukunft finanzieren, wenn das Geld aus dem Crowdfunding aufgebraucht ist?
JP: Über die verschiedenen Gastro-Pakete erhält Coffee to go again eine dauerhafte Finanzierungsquelle.
Wer sollte das Crowdfunding unbedingt unterstützen?
JP: Coffee to go again ist für alle Menschen, die nicht nur den Vertrag von Paris gut finden, sondern kleinteilig und konkret etwas für den Klimaschutz tun wollen. Für GastronomInnen lohnt sich eine Unterstützung besonders, weil sie mit meinen Gastro-Paketen Zeit und Geld sparen. Sie müssen nicht lange nach geeigneten Bechern, Konzepten und Informationen suchen, sondern bekommen alles direkt geliefert. Die erworbenen Becher können weiterverkauft werden.
Wie geht es weiter mit Coffee to go again?
JP: Der Erfolg des Crowdfundings entscheidet darüber. Ich hoffe natürlich sehr, dass alles klappt weil ich noch große Ziele habe. Ich möchte noch mehr Projekte schaffen, die sich mit Klimaschutz und öko-sozialem Wandel auseinander setzen. Sie sollen alle zum Mitmachen einladen, denn bei vielen Menschen erlebe ich eine „Ich kann doch eh nichts verändern“-Mentalität. Aber wenn viele gemeinsam an einer Sache arbeiten, dann potenziert sich das Ergebnis. Wirklich jeder eingesparte Becher zählt, denn er drückt auch einen kulturellen Wandel aus. Den brauchen wir dringend, um den Klimawandel zu stoppen.
Interview: Franziska Forster
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