Münchner Kohleausstieg ganz ohne Schlamm

Noch bis um 11:30 Uhr lassen sich am  Mittwoch den 30.10. die Briefabstimmungsunterlagen für den Bürgerentscheid „Raus aus der Steinkohle!“ am 05. November 2017 bestellen. Damit könnte in München kommende Woche eine historische Entscheidung fallen: Aus der Kohle aussteigen oder nicht? Die Initiatoren und Klimaaktivisten erwarten ein starkes Zeichen für den internationalen Klimaschutz. Wir haben dazu unsere Kollegen von klimaretter.info um ihre Meinung gebeten. 

Friederike Meier hat geantwortet:

Ab der kommenden Woche wird die ganze Welt Deutschland auf die Finger schauen. Die UN- Klimakonferenz findet in Bonn statt, Gastgeberland ist aber offiziell der Inselstaat Fidschi. Die Fidschi-Inseln sind direkt vom Meeresspiegelanstieg bedroht – auch verursacht durch die CO2-Emissionen deutscher Kohlekraftwerke.

Um für Klimagerechtigkeit zu demonstrieren, wollen am 5. November die Klimaaktivisten des Bündnisses „Ende Gelände“ einen Braunkohletagebau im nordrhein-westfälischen Rheinland blockieren. Sie fordern einen sofortigen Ausstieg aus der Nutzung der Kohle als Energieträger.

Kohleausstieg ohne Schlamm

Auch die Münchner können am kommenden Sonntag den Kohleausstieg fordern, allerdings ganz ohne bei kaltem Wetter in eine schlammige Kohlegrube zu steigen: Auf dem Wahlzettel können sie sich dafür einsetzen, dass das einzige Steinkohlekraftwerk der Stadt, Block 2 des Heizkraftwerks Nord, bis zum Jahr 2022 abgeschaltet wird.

München wäre damit zwar nicht die erste Stadt in Deutschland, die den Kohleausstieg beschließt: In Berlin beispielsweise hat das Landesparlament in diesem Monat einem Gesetz zum Kohleausstieg zugestimmt. Allerdings ist die Münchner Initiative ambitionierter: Denn die Berliner wollen erst bis 2030 raus aus der Kohle.

Der Block des Unterföhringer Heizkraftwerks wird mit Steinkohle befeuert, rund 800.000 Tonnen landen pro Jahr in den Kesseln. Laut den Initiatoren des Bürgerentscheids, einem Zusammenschlussaus Parteien, zahlreichen Umweltverbänden und Vereinen, summierten sich die CO 2- Emissionen aus Block 2 im vergangenen Jahr auf 2,65 Millionen Tonnen. Das sind 17 Prozent der Münchner CO 2 -Emissionen, mehr als der gesamte Pkw- und Lkw-Verkehr der Stadt.

Die Initiatoren führen als Argument für den Ausstieg neben dem Klimaschutz die Quecksilber-Emissionen durch das Kraftwerk an. Außerdem sei die Gewinnung der Steinkohle mit massiver Naturzerstörung und Menschenrechtsverletzungen verbunden. In München wird vor allem Kohle aus Tschechien, Nordamerika und Russland verbrannt.

Der Münchner Stadtrat lässt das Klimaschutz-Argument der Kohlegegner jedoch nicht gelten. Die Abschaltung dieses sehr modernen Kraftwerksblocks bringe kaum CO 2 -Einsparung, weil der wegfallende Strom durch solchen aus anderen, teilweise älteren Kohle- und Gaskraftwerken ersetzt werden müsse. Block 2 werde deshalb noch einige Zeit für eine sichere Strom- und Fernwärmeversorgung der Stadt gebraucht.

Eine andere Meinung

Ein Gutachten, das das Öko-Institut im Auftrag der Münchner Stadtwerke angefertigt hat, kommt zu einem anderen Ergebnis.
Demnach könnten die CO 2 -Emissionen durch die Stilllegung deutlich sinken. Würde der Kraftwerksblock schon 2020 stillgelegt, könnten bis 2025 insgesamt 8,2 bis 10,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. Bei einer Stilllegung im Jahr 2025 könnten es bis 2035 immer noch 5,3 bis 7,5 Millionen Tonnen sein. Die Spannbreiten kommen durch unterschiedliche Annahmen für die Preise von Steinkohle, Erdgas und CO 2 -Emissionsrechte zustande.

Ein Argument, das Gegner des Ausstiegs vorbringen: Inwieweit die Einsparungen tatsächlich eintreten, hängt laut dem Gutachten von weiteren Reformen des EU-Emissionshandels ab. Der CO 2 -Zertifikatehandel ist das wichtigste Klimaschutzinstrument in Europa. Durch die Abschaltung des Münchner Kraftwerks kämen laut den Kritikern mehr Zertifikate auf den Markt, die anderswo dafür sorgen könnten, dass noch mehr Kohlekraftwerke gebaut werden.

Allerdings schätzt der Hauptautor der Studie, Christoph Timpe vom Ökoinstitut, dieses Risiko als gering ein: „Die Chancen sind gestiegen, dass der Emissionshandel die positiven Effekte der Stilllegung eines solchen Kraftwerks nicht zunichtemacht“, sagt Timpe, der am Ökoinstitut den Bereich Klimaschutz und Energie leitet, auf Nachfrage von klimaretter.info.

Er spielt damit auf die laufenden Verhandlungen zum EU-Emissionshandel in Brüssel an. In den letzten Monaten hätten sich während der Reformverhandlungen die Anzeichen verstärkt , dass ein möglichst großer Teil der überschüssigen Emissionsrechte in die Marktstabilitätsreserve überführt und von dort aus dauerhaft stillgelegt werden soll. Seiner Einschätzung danach wird ein nennenswerter Teil der ausgewiesenen CO2-Einsparungen also auch tatsächlich eintreten.

Schwieriger wird der Kohleausstieg auch dadurch, dass das Steinkohlekraftwerk in Unterföhring mit moderner Kraft-Wärme-Kopplung nicht nur Strom sondern auch Fernwärme produziert – die kann nicht so einfach aus anderen Teilen Deutschlands herantransportiert werden.

Münchens Vorteilhafte Lage

Allerdings hat München was die Wärme angeht einen großen Vorteil gegenüber anderen Städten: Man kann hier auf die tiefe Geothermie zurückgreifen. Die Stadtwerke betreiben bereits mehrere Anlagen, in denen Thermalwasser aus 2.000 bis 3.000 Metern Tiefe hochgepumpt und zum Heizen genutzt wird. Laut dem Gutachten des Ökoinstituts wird denn auch die Sicherheit der Fernwärmeversorgung für München durch die Abschaltung von Block 2 nicht gefährdet – allerdings müssten zusätzlich zur Geothermie mit Gas betriebene Reserveheizwerke gebaut werden.

„ Wir gehen davon aus, dass selbst die weiteren Reserveheizwerke dazu nicht nötig wären, sofern die Stadtwerke München die Wärmekapazitäten von anderen Produzenten in ihrem Netz zulassen“, heißt es allerdings von den Initiatoren. Sie argumentieren außerdem, dass München mit dem Kohleausstieg ein Vorbild für Deutschland sein kann.

Die Klimaaktivisten von „Ende Gelände“ geben ihnen recht: „Ein Beschluss der Münchnerinnen und Münchner, ihr Kohlekraftwerk so schnell abzuschalten wie für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens nötig, wäre ein starkes Signal an die nationale und internationale Politik“, schreiben sie. Und würden sich am Sonntag in der Kohlegrube sicher über ein „Ja“ der Münchner freuen.

Hier findet ihr den Antrag zur Teilnahme an der Briefwahl.


Beitragsbild: CC BY-SA 3.0 N p holmes

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