„Der Wohnungsmangel ist die Kehrseite des Erfolgs unserer Stadt“

In den vergangenen Monaten ist die Kritik an der städtischen Wohnungspolitik immer lauter geworden. Nun gab es eine Replik von höchster Stelle. Oberbürgermeister Christian Ude weist in einem Pressegespräch jede Schuld an der Situation in München von sich und listet seitenlang die Erfolge der rot-grünen Wohnungspolitik auf.

Die Probleme der Gentrifizierung seien seit Jahrzehnten bekannt. „Ich möchte deutlich machen, dass diese modische Diskussion sowohl an der Rechtslage wie auch an den tatsächlichen sozialen Problemen vorbeigeht“, so Ude. Wir dokumentieren seine mit vielen Zahlen gespickte Stellungnahme im Wortlaut.

Unter dem Titel „Bestandsschutz und Neubau, aber nicht Behinderung des Wohnungsbaus“ hat Oberbürgermeister Christian Ude heute in einem Pressegespräch die Antworten der Stadt auf den Wohnungsmangel erläutert:

In diesem Frühsommer ist das in München seit Jahrzehnten bekannte und von der Stadt mit sämtlichen rechtlich zulässigen Mitteln bekämpfte Problem der Verdrängung von Mietern durch „Gentrifizierung“, also durch den Wandel von ursprünglich preisgünstigen Stadtvierteln in baulich aufgewertete Quartiere für Besserverdienende so dargestellt worden,

– als ob es sich um ein neues Phänomen handeln würde,

– als ob die Stadt diesen Wandel begrüßen würde,

– als ob die Stadt die Schließung von Baulücken und die Ausschöpfung vorhandenen Baurechts unterbinden könnte,

– als ob die Verhinderung von Neubauten im gehobenen Preissegment die sozialen Probleme lindern könnte.

Ich möchte deutlich machen, dass diese modische Diskussion sowohl an der Rechtslage wie auch an den tatsächlichen sozialen Problemen vorbeigeht und mit ihrer Zielsetzung, Neubauvorhaben zu bekämpfen, in die Irre führt (dabei ist selbstverständlich, dass jedes Neubauvorhaben mit seiner Höhenentwicklung und seiner Dichte stadtplanerisch diskutiert werden muss und dass das Preisniveau, für das aber nicht die Stadt verantwortlich ist, einer gesellschaftskritischen Diskussion unterzogen werden kann).

Seit über 100 Jahren ist der Wohnungsmangel das gravierendste soziale Problem Münchens, das sich nicht nur durch verschiedene Zuwanderungswellen – Landflucht in Folge der Industrialisierung, Zustrom durch Vertriebene und Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg, Arbeitsmigration seit den Anwerbeabkommen mit Griechenland, Italien, Spanien und der Türkei, Zuwanderung von Bürgerkriegsflüchtlingen und Asylbewerbern, Zuwanderung aus dem Osten Deutschlands seit der Wiedervereinigung, Zuzug in die Universitätsstadt und Boomtown der Gegenwart, um nur die allerwichtigsten zu nennen – verschärft, sondern auch durch den höchst erfreulichen und zukunftssichernden Geburtenüberschuss entgegen dem Bundes- und Landestrend, den München zum Glück seit über einem Jahrzehnt verzeichnen kann, und den in den letzten Jahrzehnten beständig gestiegenen Wohnflächenbedarf pro Person (1970: 25 Quadratmeter, heute: 40 Quadratmeter), in dem sich die günstigen Münchner Einkommensverhältnisse widerspiegeln.

Der Wohnungsmangel ist die Kehrseite des Erfolgs unserer Stadt, vor allem des wirtschaftspolitischen Erfolgs mit all seinen Jobangeboten, aber auch des bildungspolitischen Erfolgs, der sich in zwei Exzellenz-Universitäten und weiteren Hochschulen sowie einem überregional bedeutsamen beruflichen Bildungswesen niederschlägt, ebenso des reichhaltigen kulturellen Angebots und des hohen Freizeitwerts, wodurch nicht nur Touristenströme angezogen werden, sondern auch Erwerber von Münchner Zweitwohnungen („Theater-Wohnung“). Bedauerlicherweise gilt folgende Gesetzmäßigkeit: Je größer der wirtschaftliche Erfolg und das Münchner Jobangebot, je höher die Münchner Kaufkraft, je besser die Münchner Bildungschancen, je reichhaltiger das Kulturangebot, je höher die Lebensqualität, desto höher die Nachfrage und damit das Mietpreisniveau.

Was kann die Stadt tun? Die Möglichkeiten der Stadt, die Wohnungsnachfrage zu befriedigen und die Mietpreisentwicklung zu drosseln, sind leider äußerst beschränkt. Immerhin schöpft die Landeshauptstadt München aber seit über einem Vierteljahrhundert sämtliche Möglichkeiten aus,

-um den Anteil preiswerten Wohnraums zu schützen

und

– den Bau von Wohnungen zu fördern.

In diesem Frühsommer ist allerdings erstmalig in München die absurde These vertreten worden, Missstände und Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt könnten und müssten abgewehrt werden durch die Verhinderung (!) von Wohnungsbauprojekten.

Diese These fand erstaunliche Resonanz im Zusammenhang mit dem Barackenlokal „Schwabinger 7“, das unbestritten bei seinen Stammgästen einen Kultstatus hat. Die Forderung lautete, die Stadt müsse – obwohl es überhaupt keine rechtliche Handhabe gibt, ein Baurecht zu beseitigen, das sogar älter ist als die Bundesrepublik Deutschland! – den geplanten Bau von über 30 Wohnungen verhindern und der Staat müsse die Baracke unter Denkmalschutz stellen. Nur auf diese Weise, so wurde argumentiert, könne eine Verteuerung des Lebens in Schwabing verhindert werden. Ähnlich wird neuerdings in anderen Stadtteilen vorgetragen, der Bau neuer teurer Wohnungen müsse blockiert oder zumindest reduziert werden.

Ganz abgesehen davon, dass die Stadt unterhalb der Wuchergrenze keinerlei rechtliche Handhabe hat, um den Mietpreis von Wohnungen zu regulieren, die Private auf privatem Grund aufgrund bereits bestehenden Baurechts für private Käufer oder Mieter errichten, bleibt die Frage, ob die Verhinderung von Wohnungsneubau tatsächlich ein geeignetes Instrument zur Bekämpfung des Wohnungsmangels sein kann und ob der jahrzehntelange Kampf der Stadt München gegen die Vertreibung und Verdrängung von Altbaumietern jetzt tatsächlich ins Gegenteil verkehrt werden soll, indem die Nachfrage besserverdienender und vermögender Bevölkerungsgruppen durch Verhinderung sogenannter Luxusneubauten wieder auf die Altbausubstanz konzentriert werden soll.

Ich bin – nach jahrzehntelangem Engagement gegen die Vertreibung und Verdrängung von Mietern aus ihren vier Wänden und ihrem angestammten Viertel – der festen Überzeugung, dass hier unter dem wohlklingenden Motto „Kampf der Gentrifizierung“ ein Irrweg propagiert wird.

I. Den Bestand schützen
Gegen Vertreibung und Verdrängung alteingesessener Mieter hilft zunächst nur der Schutz des vorhandenen Altbaubestandes und die Sicherung erschwinglicher Mietverhältnisse.

1. Den besten Schutz liefern neben Genossenschaften die städtischen Wohnungsbaugesellschaften.

Während andere Städte unter dem Beifall von Wirtschaftsredaktionen ihre Wohnungsbestände veräußert haben (allein Dresden über 50.000 Wohneinheiten), hat München die Bestände der städtischen Wohnungsbaugesellschaften nicht nur behalten, sondern durch Hinzuerwerb und Neubau beständig aufgestockt. So verfügt Münchens größter Vermieter, der GEWOFAG-Konzern, über mehr als 30.000 eigene Wohneinheiten und der GWG-Konzern über mehr als 23.000 Wohneinheiten. Zu diesen rund 53.000 Wohneinheiten in eigenem Besitz kommen noch von GEWOFAG und GWG verwaltete knapp 8.000 Wohneinheiten anderer Eigentümer (wie insbesondere der Landeshauptstadt) hinzu, so dass die Gesamtzahl der Wohnungen, über die die beiden Wohnungsbaugesellschaften verfügen können, deutlich über 60.000 Wohneinheiten liegt.

Hinzu kommen noch rund 2.000 Wohneinheiten der Stadtsparkasse und der Stadtwerke. Im Zeitraum 1993 – 2010 wurden durch die städtischen Wohnungsbaukonzerne zudem über 8.000 Wohnungen umfassend saniert, bei einer Investitionssumme von mehr als 1,3 Miliarden Euro. Der im Jahr 2008 beschlossene und bis 2019 geltende Gewinnausschüttungsverzicht der Stadt ermöglicht es den Wohnungsbaugesellschaften darüberhinaus, in dieser Zeit zusätzlich rund 190 Millionen Euro Eigenkapital in Wohnungsneubau und energetische Maßnahmen zu investieren.

In den Wohnungsbeständen der städtischen Gesellschaften ist die Mieterschaft nicht nur vor Eigenbedarfskündigungen und überhöhten Mieten sicher, sondern genießt überdies die Vorzüge des Konzeptes „Soziale Mietobergrenzen“ (Abschläge für Geringverdiener!) und jedweder Verdrängung durch Luxussanierung!

2. Das Zweckentfremdungsverbot

Besonders bedrohlich für den Bestand erschwinglicher Mietwohnungen war seit Beginn der 70er Jahre die Zweckentfremdung von Wohnraum, insbesondere für gewerbliche Zwecke (Büro, Kanzlei, Praxis, Agentur, Labor etc.). Die Stadtverwaltung geht rigide gegen illegale Zweckentfremdungen vor und hat seit meinem Amtsantritt 1993 4.247 illegale Zweckentfremdungen von Wohnungen entdeckt und beendet. Damit konnte eine Gesamtwohnfläche von über 300.000 Quadratmeter als Altbau-Wohnraum für Münchens Mieter und Wohnungssuchende gerettet werden. Durch die abschreckende Wirkung der strikten Verwaltungspraxis konnte ein Vielfaches dieser Gesamtwohnfläche dem Zweckentfremdungsdruck von vorneherein entzogen werden.

3. Schutz durch Erhaltungssatzungen

Mit dem Instrument der Erhaltungssatzung gemäß § 172 des Baugesetzbuches schöpft die Stadtverwaltung alle rechtlichen Möglichkeiten aus, die Modernisierung von Altbauten so zu steuern, „dass die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erhalten bleibt, wenn dies aus besonderen städtebaulichen Gründen erforderlich ist“ (sogenannter „Milieuschutz“). Aktuell gibt es 14 Erhaltungssatzungsgebiete, in denen rund 170.000 Einwohnerinnen und Einwohner in zirka 92.000 Wohnungen leben. Diese Mieter können insofern vor Vertreibung und Verdrängung durch Luxussanierung geschützt werden, als Abbruch, bauliche Änderungen sowie Nutzungsänderungen einer speziellen Genehmigung bedürfen, so dass Modernisierungen nach dem Motto „Luxus rein, Mieter raus“ weitgehend verhindert werden können. Weitere Eingriffsmöglichkeiten lässt das Gesetz nicht zu.

4. Abwendungserklärung und Vorkaufsrecht

Ein wirksames, aber kostspieliges Instrument in Erhaltungssatzungsgebieten ist die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Stadt. Um die Ausübung des Vorkaufsrechts abzuwenden, geben Grundstückseigentümer vor einer Sanierung häufig sogenannte „Abwendungserklärungen“ ab, mit denen soziale Verpflichtungen zugunsten der Mieterschaft eingegangen werden, z.B. Begrenzung der gesetzlich eigentlich möglichen Mieterhöhung. Abwendungserklärungen werden selbstverständlich nur abgegeben, weil sonst eine Ausübung des Vorkaufsrechtsdrohen würde. Leider wird die Ausübung des Vorkaufsrechtes von CSU und FDP konsequent abgelehnt. Insgesamt hat die Stadt nach Mitteilung des Kommunalreferates seit meinem Amtsantritt zirka 430 Immobilien mit 6.000 Mietwohnungen und mit ca. 400.000 qm Wohnfläche vor Umwandlung und Luxussanierung geschützt. Durch Beschluss vom Januar 2011 hat der Stadtrat die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechtes in Erhaltungssatzungsgebieten noch deutlich erweitert.

5. Umwandlungsverbot

Das wichtigste Instrument zum Schutz der Mieterschaft vor Vertreibung und Verdrängung durch Luxussanierung und Umwandlungsspekulation und ihre Folgen wird der Stadt aber seit Jahrzehnten vorenthalten. Hierfür wäre eine Rechtsverordnung der Bayerischen Staatsregierung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 4 des Baugesetzbuches erforderlich.

Eine solche Rechtsverordnung könnte die Umwandlung von Hausbesitz in Wohnungsteileigentum in Erhaltungssatzungsgebieten von einer gemeindlichen Genehmigung abhängig machen. So ein Umwandlungsverbot habe ich schon in den 80er Jahren als Mieteranwalt gefordert, der Münchner Stadtrat, das Sozialreferat, die Stadtspitze, der Mieterbeirat und viele Bezirksausschüsse haben die Forderung immer wieder bekräftigt. Leider hat die Staatsregierung dieses wirksamste Instrument gegen die Gentrifizierung von ltbaubeständen immer wieder unerbittlich abgelehnt. Vor diesem Hintergrund überrascht es schon, dass zwar Zehntausende Münchner Altbaumieter der Staatsregierung nicht schützenswert erscheinen, ein Kabinettsmitglied aber für eine Behelfsbaracke zum Schutz vor Gentrifizierung Denkmalschutz beansprucht, was von den Fachbehörden des Freistaats aber selbstverständlich sachgerecht abgelehnt wurde.

6. Städtebauliche Sanierung

Die Alternative zur Vertreibung und Verdrängung von Mietern ist nicht das Verfallenlassen der Altbausubstanz, die dann am Ende auch nicht mehr bewohnbar wäre, sondern die städtebauliche Sanierung, die Missstände behebt und gefährdete Wohnquartiere dauerhaft erhält. Als in Haidhausen und im Westend die Gefährdung der Quartiere Gestalt annahm, nutzte die Stadtverwaltung die Instrumente des Städtebauförderungsgesetzes. Spekulative Grundstückserwerbe konnten weitgehend eingedämmt werden.

Im Westend wurden 16 Wohnblöcke formal als Sanierungsgebiet festgelegt und mit öffentlichen Mitteln und Bindungen saniert, das Wohnumfeld verbessert und störende Gewerbebetriebe quartiernah besser untergebracht! In Block 18 wurde eine Vielzahl sozialer und kultureller Einrichtungen geschaffen. In Haidhausen wurden sogar 21 Blöcke nach diesen Prinzipien saniert. Im Rahmen der Stadtsanierung wurden sogenannte Herbergen aufgekauft und wieder an ortsansässige Handwerker verkauft, die diese auch nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten wieder bewohnbar gemacht haben.

7. Hilfe für Mieter

Um besonders älteren Bürgerinnen und Bürgern den Verbleib im angestammten Viertel zu ermöglichen, werden Programme wie „Wohnen im Viertel“, „Dezentrale Beratung in Alten-Service-Zentren“ sowie „PflegeWohngemeinschaften“ (in Zusammenarbeit mit der städtischen Münchenstift) durchgeführt. Als Zwischenergebnis ist festzustellen, dass die Landeshauptstadt München von den spärlichen Möglichkeiten, die der Bundes- und Landesgesetzgeber zur Verfügung gestellt hat (Baugesetzbuch, Zweckentfremdungsrecht, Städtebauförderung) vom ersten Tag an mit einer bundesweit beachteten Konsequenz Gebrauch gemacht hat und sämtliche Instrumentarien voll ausschöpft, um die Mieterschaft älterer Wohnquartiere vor unerwünschten Gentrifizierungsvorgängen zu schützen.

II. Den Neubau fördern
1. Über 100.000 Wohnungen In keiner deutschen Stadt wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten so viele Wohnungen neu errichtet wie in München (es war allerdings auch in keiner anderen deutschen Stadt so notwendig wie hier). Hier die Fertigstellungszahlen seit meinem Amtsantritt (1993 ist zwar vollständig enthalten, dafür fehlt aber das erste Halbjahr 2011):

Jahr: Wohnungen:
1993 7.257
1994 5.755
1995 5.824
1996 7.470
1997 4.529
1998 5.057
1999 5.587
2000 5.720
2001 3.563
2002 3.308
2003 3.133
2004 7.465
2005 4.952
2006 15.908 (enthält über 11.000 Nachmeldungen für die Vorjahre)
2007 4.448
2008 4.938
2009 4.382
2010 4.401

Summe 103.697

Insgesamt wurden also über 100.000 Wohnungen fertiggestellt, im Jahresdurchschnitt 6.000. Im selben Zeitraum wurde neues Baurecht für 51.000 Wohnungen geschaffen. Das heißt, rund die Hälfte aller neuen Wohnungen entsteht im Bestand, wohingegen für die andere Hälfte Bebauungspläne erforderlich sind. Demgegenüber machen die in den vergangenen Monaten heftig diskutierten „Luxuswohnungen“ des obersten Preissegments selbst in der Summe nicht einmal ein Prozent der Wohnungsneubauten aus (siehe
Kapitel III).

2. Über 22.000 geförderte Wohnungen!

Für untere und mittlere Einkommensgruppen ist die Zahl der geförderten Wohneinheiten besonders bedeutsam, da die meisten Angebote im freifinanzierten Wohnungsbau für sie unerschwinglich sind. Seit 1993 wurden in München 22.471 Wohnungen öffentlich gefördert und fertiggestellt. Dabei sind die Zahlen des laufenden Jahres noch nicht enthalten.

In diesem Zeitraum wurden 1.870 Millionen Euro an Fördermitteln ausgegeben. Hiervon stammten 785 Millionen Euro von der Stadt. Dabei hat die Stadt den Einsatz ihrer Mittel absolut und im Vergleich zum Freistaat Bayern kräftig erhöht. In den letzten zehn Jahren hat die Stadt 599 Millionen Euro und der Freistaat Bayern gemeinsam mit dem Bund in der Summe 604 Millionen Euro aufgewendet. Die Stadt leistet finanziell also erstmals einen fast genauso großen finanziellen Beitrag wie Bund und Land zusammen.

Wie bereits aus der Beantwortung der Stadtratsanfrage der CSU-Stadtratsmitglieder Hans Podiuk und Walter Zöller bekannt ist, hat die Stadt München sogar noch erheblich größere finanzmittel bereitgestellt, die aber nicht abgeflossen sind, weil sich private Bauherren zeitweise stark aus dem geförderten Wohnungsbau zurückgezogen haben und weil wegen der Urteile des OLG Düsseldorf aus den Jahren 2007 und 2008 zum Vergaberecht städtische Grundstücke in den folgenden drei Jahren nicht wie bisher (und jetzt wieder) den städtischen Wohnungsbaugesellschaften ohne europaweite Ausschreibung überlassen werden konnten.

3. Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN)

Zeitweise hätte in den vergangenen 2 Jahrzehnten überhaupt kein neues Baurecht geschaffen werden können, weil die Stadt finanziell nicht in der Lage war, für die Kosten der Infrastruktur neuer Wohnquartiere aufzukommen. Deshalb habe ich sofort nach meinem Amtsantritt die Frage der finanziellen Beteiligung der begünstigten Grundstückseigentümer an den Kosten neuer Baugebiete auf die Tagesordnung gesetzt und den Stadtratsbeschluss zur „Sozialgerechten Bodennutzung“ von 1994 herbeigeführt. Dieser Beschluss, der erstmals die finanziellen Beiträge der Grundstückseigentümer für die Planungskosten und die Verkehrsflächen, für Grünanlagen, Kinderbetreuung und
Schulversorgung systematisch regelte, war anfangs noch als „Marterwerkzeug aus der sozialistischen Folterkammer“ angeprangert worden, hat aber allein in den ersten 15 Jahren seines Bestehens der Stadt die Möglichkeit eröffnet, trotz der eigenen Finanznot Baurecht für mehr als 31.000 Wohnungen, davon 8.450 öffentlich geförderte Wohnungen zu schaffen, fast 450 Millionen Euro an städtischen Kosten zu sparen und 3.874.000 Quadratmeter Grund für öffentliche Zwecke kostenlos überlassen oder Nutzungsrechte eingeräumt zu bekommen.

Allein 1.572 Kinderkrippenplätze,
4.750 Kindergartenplätze,
1.075 Kinderhortplätze und
1.408 Grundschulplätze
wurden in den ersten 15 Jahren der Sozialgerechten Bodennutzung von den planungsbegünstigten Grundstückseigentümern finanziert.

In keiner deutschen Stadt wurden planungsbegünstigte Grundstückseigentümer auch nur annähernd vergleichbar finanziell herangezogen, um Wohnungsneubau für alle Einkommensgruppen zu ermöglichen (30 Prozent geförderter Wohnungsbau in SoBoN-Gebieten) und die soziale Infrastruktur vor allem für die Kinderbetreuung bereitzustellen.

Dabei fehlt es meinen Kolleginnen und Kollegen selbstverständlich nicht an gutem Willen. Sie würden ebenso gerne planungsbegünstigte Grundstückseigentümer nach Münchner Vorbild heranziehen. Dies gelingt aber nur, wenn die Nachfrage und der Nutzungsdruck so stark sind wie in München. In diesem Fall wirkt sich also Münchens wirtschaftliche Stärke ausnahmsweise sogar auf den Wohnungsmarkt positiv aus.

4. Münchner Mischung – München-Modell

Im Gegensatz zu anderen Metropolen, die bis in die jüngste Vergangenheit komplette Trabantenstädte für sozialwohnungsberechtigte Bevölkerungsgruppen geschaffen haben (vgl. die Banlieues in Paris!), hat die Münchner Stadtplanung und Wohnungspolitik großen Wert darauf gelegt, in jedem Neubaugebiet, in dem sie stadtplanerisch auf die Struktur und die Finanzierungsmodelle und damit auf die soziale Zusammensetzung der Wohnbevölkerung Einfluss nehmen kann, tatsächlich sicherzustellen, dass weder Gettos für Arme, noch Reservate für Privilegierte entstehen, sondern dass die gesunde „Münchner Mischung“ zustande kommt mit einem hohen Anteil freifinanzierter Wohnungen und einem Anteil von öffentlich gefördertem Wohnraum (auf privaten Flächen im Rahmen der SoBoN 30 Prozent, auf städtischen Flächen sogar 50 Prozent), die sich aus einkommensorientierter Förderung sowie Miet- und Eigentumswohnungen nach dem München-Modell zusammensetzen. Mit dem „München-Modell“ hat die städtische Wohnungspolitik auf die Tatsache reagiert, dass sich Durchschnittsverdiener, vor allem wenn sie Kinder haben, auf dem Wohnungsmarkt schwerer tun als Besserverdienende einerseits und Sozialwohnungsberechtigte andererseits.

Im München-Modell wurden bisher mehr als 3.100 Wohnungen fertiggestellt, davon 1.800 im München-Modell-Eigentum und 1.300 im München-Modell-Miete und Genossenschaften. Die Stadt hat dafür bis Ende 2010 mehr als 150 Millionen Euro für die Grundstücksförderung und fast 50 Millionen Euro an Darlehen für das München-Modell-Miete und Genossenschaften aufgewandt. Die Stadt schöpft also alle Möglichkeiten aus, um Geringverdienern und auch Durchschnittsverdienern ein Wohnraumangebot unterbreiten zu können. Sie hat aber keinerlei rechtliche Handhabe, um bei der Ausschöpfung von bestehendem Baurecht den Grundstückseigentümern einen Sozialwohnungsanteil oder einen München-Modell-Anteil vorzuschreiben. Es ist deshalb nichts als üble Nachrede, wenn bei Neubauprojekten, die beispielsweise in bestehenden Baulücken ohne jede neue Baurechtsschaffung realisiert werden, der Eindruck erweckt wird, die Stadt könne das Preisniveau und die soziale Zusammensetzung der Käuferschichten selbst bestimmen oder beeinflussen.

III. Neubau in Baulücken

Etwa die Hälfte des Wohnungsneubaus hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht in Neubaugebieten abgespielt, für die mit neuen Bebauungsplänen erst neues Baurecht geschaffen werden musste, sondern in Baulücken nach § 34 des Baugesetzbuches (BauGB). In diesen Fällen besteht das Baurecht bereits, unabhängig von planerischen Entscheidungen der Stadt. Folgerichtig kann in diesen Fällen die Stadtverwaltung keine Forderungen aufstellen und durchsetzen, wie es ihr nach den Grundsätzen der Sozialgerechten Bodennutzung bei der Aufstellung neuer Bebauungspläne gelungen ist. Einige Baulückenschließungen sind wegen des hohen Preisniveaus verständlicherweise in die öffentliche Kritik geraten. Hier einige Beispiele:

Hofstatt

In keinem einzigen Münchner Fall ist die vielbeklagte Gentrifizierung so tief ins Herz der Altstadt vorgestoßen wie im Fall der Süddeutschen Zeitung, die mit ihrem Umzug an den Stadtrand und dem höchst lukrativen Verkauf der Immobilien am historischen Standort Platz gemacht hat für Wohnraum mit Quadratmeterpreisen bis zu 13.340 Euro (Internetseite von „Bauwerk Capital“) sowie Einzelhandelsflächen des obersten Preissegments für internationale Luxusmarken. Da das Baurecht nach § 34 BauGB bereits gegeben war, bestand für die Stadt keine Chance, die Regelungen der „Sozialgerechten Bodennutzung“, die eine Baurechtsmehrung voraussetzen, anzuwenden und damit einen
Anteil preisgünstigen, geförderten Wohnungsbaus durchzusetzen.

Residenzpost

Dies gilt auch für die 27 Wohneinheiten, die in höchst repräsentativer Lage in der Residenzpost vis a vis der Oper entstehen.

Lenbachgärten

Auf dem Gelände der „Alten Chemie“, also der Chemischen Fakultät der Technischen Universität München, ermöglichte der Freistaat 158 Wohneinheiten. Im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens, welches das bestehende Baurecht erhöht hat, konnten immerhin 30 Wohneinheiten „Einkommensorientierte Förderung“ und 21 Wohneinheiten „München-Modell-Miete“ vorgeschrieben werden, insgesamt also 51 Wohneinheiten geförderten Wohnungsbaus.

Landesarbeitsamt

Ein solcher Anteil öffentlich geförderten Wohnungsbaus konnte in der Thalkirchner Straße 54 nicht vorgeschrieben werden, da die Umnutzung und Sanierung des ehemaligen Landesarbeitsamtes ausschließlich im Rahmen bestehenden Baurechts geschah. Die 61 Wohneinheiten zählen zum gehobenen Preissegment.

Maistraße 43

Dies gilt auch für die Maistraße 43, wo auf dem ehemaligen Grundstück der AOK-Hauptverwaltung München 139 Wohneinheiten nach § 34 BauBG realisiert wurden.

Fraunhofer-/Klenzestraße

Hier wurden Gewerbebauten in den Innenhöfen abgerissen und im Rahmen des bestehenden Baurechts Wohngebäude mit 57 Wohneinheiten realisiert.

Jahnstraße 34

Sogar drei Gewerbegebäude (Stahlhandel und Eisenverzinkerei) wurden in der Jahnstraße 34 abgerissen, um Platz zu schaffen für 37 Wohneinheiten – im Rahmen des bestehenden Baurechts.

Zuccalistraße

Das ehemalige Jesuitenkloster im Münchner Süden machte Platz für 15 Wohneinheiten, die nach Internet-Angaben pro Quadratmeter über 11.000 Euro kosten, aber im Rahmen des bestehenden Baurechtes geschaffen werden konnten.

Diese heftig diskutierten Fälle zeigen, dass die Stadt keine Einwirkungsmöglichkeit hatte. In den noch nicht realisierten Fällen Feilitzschstraße und Röcklplatz
(Rodenstockareal) handelt es sich ebenfalls um die Ausschöpfung bereits bestehenden Baurechts durch den Grundstückseigentümer. Hier kann und muss selbstverständlich diskutiert werden, ob beispielsweise die im Vorbescheid zugestandene Dichte im Fall der Feilitzschstraße Nachbarrechte beeinträchtigt, was aber ohnehin einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt, und ob sich die Höhenentwicklung am Röcklplatz im Rahmen der Umgebungsbebauung bewegt oder diesen Rahmen sprengt. Aber dabei geht es allenfalls um Korrekturen im Detail, aber nicht um das Baurecht an sich und schon gar nicht um die künftige Preisentwicklung, die nicht von der Stadt geregelt, sondern von der Nachfrage und der Marktsituation bestimmt wird.

Müllerstraße

Natürlich darf hier die Müllerstraße nicht fehlen, da das Grundstück einer Tochtergesellschaft der Stadt gehörte. Bei diesem Bauvorhaben auf dem Grundstück eines Kraftwerks, auf dem es nie Wohngebäude gegeben hat, sind Abbruchkosten in Höhe von 4 Millionen Euro und Kosten der Verlegung des Fernwärmeverteilknotens in Höhe von 3 Millionen Euro sowie die Grundstücksverzinsung zwischen Kauf und Baurechtsschaffung zu berücksichtigen. Ich verstehe nicht, wieso der Bevölkerung als Eigentümerin der Stadtwerke zugemutet werden soll, auf zweistellige Millionenbeträge zu verzichten, um beispielsweise die 20 Millionen Euro teure Wohnung im Penthouse preisgünstiger zu gestalten, also gewissermaßen für den kleineren Multimillionär erschwinglich zu machen. Dass die Stadtwerke ihre finanziellen Möglichkeiten lieber einsetzen, um Wohnungsprobleme im großen Stil für viele Betroffene zu lösen, wird noch Gegenstand einer eigenen Pressekonferenz sein. Im Übrigen sollten nicht unterschlagen werden, dass das Projekt der Umgebung auch Vorteile bringt – in Gestalt einer Kindertagesstätte, eines Nahversorgers und verbesserter Grünversorgung.

IV. Städtetag

Da die „Gentrifizierung“ derzeit in allen großen Städten, auch Berlin, Hamburg und Frankfurt heftig diskutiert wird und weil in diesen Städten neue gesetzliche Instrumente gefordert werden, habe ich die Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Städtetags gebeten, bis zum Herbst den Diskussionsstand in deutschen Großstädten und alle Forderungen an den Bundestag und die Landtage zusammenzufassen und ihre Tauglichkeit und Umsetzbarkeit zu prüfen. Es mag ja sein, dass die Instrumente des Milieuschutzes im Städtebauförderungsgesetz oder des Denkmalschutzrechts ausgeweitet werden können und sollen – aber dass dies bislang noch nicht geschehen ist, kann nicht den Stadtverwaltungen angelastet werden, die an die bestehende Rechtslage gebunden sind.“

Nachzulesen auch hier.

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