Vor einigen Tagen bekam ich mein allererstes Weihnachtsgeschenk. Es lag in meinem Briefkasten, in einem weißen Briefumschlag verpackt. Darauf groß der Absender: Süddeutsche Zeitung Edition.
So gehört es endlich mir, das Funkelnagelneuste vom Neuesten, jünger als das Iphone 5, ein Prachtstück der Moderne: das Smartbook.
Was es kann? All das, was man von einem Smartphone erwarten würde – jedoch ohne jegliche Vertragsmindestlaufzeit und mit der geringsten Akkuladezeit jeher – garkeiner. Noch dazu liegt es absolut gefühlsecht zwischen den Fingern, so detailgetreu gestaltet, dass man beim Blättern dem Rauschen der Seiten zuhören kann. Es ist… ein Buch.
Ich hatte die ehrenvolle Aufgabe es zu testen. Testen sage ich gerade deshalb, weil es sich beim Smartbook nicht um ein ganz normales Buch mit Inhalt und Seiten handelt. Das heißt: nicht nur.
Aber beginnen wir mit den ersten Eindrücken. In der Hand liegt das Smartbook ergonomisch gut, mit seinen 11 x 17 cm und 238 Gramm. Der elegant schwarze Bucheinband mit den minimalistischen bunten Ikonen verleiht dem Wunderding eine attraktive High Tech-Optik, die silbern schimmernden Schnittkanten schmeicheln dem Detailliebhaber. Schlägt man es auf, entdeckt man auf intuitive und userfreundliche Weise ein farbiges Innenleben, bestehend aus 32 Apps. Ich blättere und blättere, und kann mir das Schmunzeln nicht verkneifen. Irgendwie kann ich auch nicht anders, als mir die beiden Autoren vorzustellen, wie sie ihre Nerd-Köpfchen in Gang setzen, um den Leser (oder sollte ich lieber sagen den Navigierenden?) auf jeder Seite zu überraschen.
Es ist tatsächlich überraschend: all das, was wir mit unseren unverzichtbaren Smartphones alltäglich und schon fast im kompulsiven Halbschlaf anstellen, kann man analog genauso gut machen. So wird die Uhr-Funktion zu einer ausklappbaren Sonnenuhr. Rechnen kann man mit einer verschiebbaren Rechenleiste aus Papier genauso gut wie mit dem Taschenrechner (so haben es Oma und Opa zu Schulzeiten ja auch gemacht!). Und Emails lassen sich auch ersetzen, nämlich durch Postkarten mit vorgefertigten, customisierbaren Texten (einfach das Unzutreffende herausstreichen). Das wirklich Tolle daran: Alles ist so durchdacht, dass es echt funktioniert. Echt und ohne Batterie oder Empfangsbedürfnis.
Ironische Darstellung des omnipräsenten Smartphones also. Hier und da blitzt sie durch die Seiten und nimmt sowohl die Wunderfunktionen des Smartphones, als auch seine Nutzungsanleitungen in kryptischer Nerd-Sprache augenzwinkernd auf den Arm.
Da ist aber auch so ein Duft nach Nostalgie, der sich beim Blättern aus den Seiten des Smartbooks entfaltet:
Nostalgie im Rückblick auf unsere guten, alten „Vintage“-Technologien. Auf all die Dinge, die wir schon so lange nicht mehr gemacht haben, dass wir sie fast vergessen hätten. So Sachen wie Morsealphabet trommeln. Papierflieger basteln. Oder langweilige Schulstunden mit Tic Tac Toe totschlagen.
Gewürzt ist das Ganze zuletzt noch von ungenierten, zum Absurden tendierenden Hirngespinsten zweier Technologie-Freaks. Manchmal einfach genial, an anderen Stellen vielleicht doch etwas freaky. Die Übersetzungs-App für Unterhaltungen in der Zeitmaschine etwa. Zu verwenden falls man sein zwei Jahre älteres und ein paar Kilo dickeres Ich treffen sollte, ist einfach irrsinnig witzig. Wieso auf der Deutschlandkarten-App neben dem Weißwurst-Äquator und der Wiesn die „Highlightstadt“ Bielefeld eingezeichnet ist, bleibt mir jedoch nach langem Überlegen immer noch ein Rätsel.
Meine persönliche Lieblingsapp? Ich habe mich in den Avatargenerator verliebt: man schnipple entlang der gestrichelten Linie die verschiedenen Männlein und Weiblein zu Streifen und blättere nun solange mit den Papierstreifchen, bis die erwünschte Kombination entsteht. So habe ich schon als Kind den Krokodilophantomingo entdeckt.
Zweiter Favorit ist der Zufallsgenerator: wieder schnippele man entlang der Linie, falte und klebe den ausgeschnittenen Plan zu einem Würfel, bei dem jede Zahl einer Antwort entspricht. Der herzzerreißende Zwiespalt daran: genau auf der Rückseite desselben Blatts befindet sich der Schummelgenerator. Baut man den einen, ist der Andere für immer weg. Eine Stellungnahme aus der kein Weg mehr zurück führt.
Dass man das Buch an mehreren Stellen „zerstören“ muss um es wirklich zu benutzen, ist der einzige Punkt bei dem ich mir nicht einig werden kann, ob ich das nun gut, oder schlecht finde. Es reizt so sehr, und tut doch zugleich so weh. Soll man nun endlich der innerlichen Bastlerstimme nachgeben, oder lieber brav das Exemplar im Regal aufheben und nur die Idee des potentiellen Bastelns genießen? Soll der Kuchen rund bleiben oder möchte man ihn doch probieren?
Das Smartbook kruschtelt so Manches aus einem hervor: den inneren Bastler, nostalgisch-analogische Kindheitserinnerungen, die Einsicht, dass sich auch Feinde neben den Freunden befinden, die Erkenntnis, dass man sich vielleicht doch ein Bügeleisen kaufen sollte. All das in Form eines kleinen Juwels der Kreativität, liebevoll gestaltet und durchdacht, Seite für Seite, bis ins klitzekleinste Detail. Selbst dort, wo man es nicht erwartet.
Schwachstellen? Einige.
Ich war abgrundtief traurig, als ich bemerkte, dass man die Taschenlampe nur einmal benutzen kann und die Sonnenuhr-App witterungsbedingt an Präzision zu wünschen übriglässt. Auch fand ich es empörend, nur drei Postkartenmodelle zur Verfügung zu haben, und dass die Schnappschüsse der mitgelieferten Smartolta keine lebenslange Dauer versprechen. Aber jetzt mal Spaß beiseite. Das Smartbook ist ein tolles Buch, viel mehr als das. Es ist ein abgefahrenes Geschenk, ein immer wieder spielbares Spiel, ein skurriles, für jeden App-Wahnsinnigen unentbehrliches Accessoire, eine Ode an das glorreichste aller Medien: das Papier.
Aber Achtung. Ich würde es nie meinem Papa schenken. Und auch nicht allen meinen Freunden. Meinem großen Bruder ja, dem Kleinen vielleicht eher nicht. Wie allzu viele Wundergeburten der Technik kommt auch das Smartbook nur in Händen von echten Kennern zur tatsächlichen Ausschöpfung seines vollen Potentials. Für Andere, nicht so digitalisierte Menschen, besteht die Gefahr zu stark technikbezogen zu sein und vielleicht langweilig zu werden. Das wäre für so ein hochwertiges Buch einfach schade.
Denn Dinge, die von waschechten Freaks kommen, können nur waschechte Freaks wirklich bis ins Tiefste begeistern.
Aber man weiß ja auch, le Freak, c’est Chic!
Das Smartbook, von Marcel-André Casasola Merkle und Agnes Lison, Verlag Süddeutsche Zeitung Edition, gibt es für 15 Euro auf Amazon und beim SZ-Shop online zu bestellen. Live sehen, blättern und damit morsen kann man in München beim Hugendubel.
Interviewen durfte ich die beiden Autoren übrigens auch noch – Marcel-André Casasola Merkle und Agnes Lison über ihr Wunderwerk:
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