SUPERHÜHNER : ZURÜCK ZU DEN WURZELN

Sie schauen aus wie Hühner. Zwei Beine, braunes Federkleid und ein langer, dürrer Hals, auf dem ein kleiner Kopf sitzt. Auch das typische aufgeregte Gegacker scheint unverkennbar. Doch das Huhn, das hier in einem düsteren, schmutzigen Käfig einer Legebatterie sitzt und Eier legen soll, ist kein normales beziehungsweise natürliches Federvieh.

Mit dem Haushuhn, dem „Gallus gallus domesticus“, haben diese Exemplare fast nichts mehr gemein. Nur optisch sind sie noch miteinander verwandt. Wenn man allerdings hinter die Federn schaut, offenbart sich ein Huhn, das den Ansprüchen und Maßstäben der globalisierten Gesellschaft entsprechen muss. Und da zählt nur eines – und zwar Leistung. Hochleistung, der nur ein modernes Hybridhuhn standhalten kann. Denn Hybridhühner wachsen schneller und legen mehr Eier – 320 im Jahr. Da kann das gemeine „Gallus gallus domesticus“ nicht mithalten. So setzt sich das Huhn mit hochgezüchtetem Hybridmotor immer mehr durch auf der Welt. Und immer mehr alte, traditionelle Rassen sterben aus. Eine Entwicklung, die nicht nur Hühner betrifft, sondern auch Rinder und Schweine.

„Immer mehr alte Nutztierrassen geraten in Vergessenheit und sterben aus. Ich will sie wieder aufleben lassen“, sagt Karl Schweisfurth, der Chef der Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Glonn. Ein kleiner Ort, 30 Kilometer von München entfernt. Seit knapp 30 Jahren arbeitet und produziert der Familienbetrieb auf dem Gut Herrmannsdorf ökologisch, handwerklich und regional. Schweisfurth: „Mein Vater, Karl- Ludwig, hat damals nach einer neuen und nachhaltigen Agrar- und Ernährungskultur gesucht.“ Und sie gefunden. Sein Sohn lebt diese Vision nun weiter, in dem er alte Nutztierrassen aus der Versenkung holt. Durch Hybrid – etwas Gebündeltes, Gekreuztes oder Gemischtes – wird die Vielfalt der traditionellen Nutztierkultur zerstört und verkümmert zu einer Monokultur. „Jetzt gibt es zwar das Superhuhn“, sagt Schweisfurth, „man kann diese Hybridhühner, die maximal 18 Monate leben, auf seinem Bauernhof jedoch nicht selber weiterzüchten. Das ergebe ein großes Durcheinander.“ Denn technisch gesehen, handelt es sich bei einem Hybridhuhn um komplizierte Kreuzungen zwischen verschiedenen, bereits optimierten Inzuchtlinien – von Rassen kann man nicht mehr sprechen. Die Hybridzucht liegt weltweit in der Hand von nur wenigen Konzernen: wie beispielsweise dem deutschen Erich-Wesjohann-Konzern, dem die Lohmann Tierzucht AG gehört. Oder der niederländischen Firma Hendrix, der französischen Investmentgruppe Natexis oder der ungarischen Legehybrid-Zuchtgesellschaft Bábolna Tetra. Alle vier züchten eigene Hühnerlinien – also die Eltern aller Elterntiere, die sie zur Kreuzung verwenden. Von den Produzenten der Legehennen kaufen die Landwirte die Küken oder Junghennen. Die verschiedenen Hybridherkünfte tragen oft die Namen der Zuchtfirma, wie zum Beispiel: Lohmann oder Tetra. Die Zucht ist auf diese Weise zu einem komplexen und teuren Verfahren geworden, das sich nur noch große Gesellschaften leisten können. Daraus entsteht eine große Abhängigkeit der Bauern zu den Großkonzernen. Außerdem entstehen dadurch sogenannte Inzucht-Linien. Henry Wallace, ehemaliger Vizepräsident der USA und Gründer des Saatgut- Riesen „Pioneer Hi-Bred“, übertrug 1960 das Prinzip der Hybridzüchtung vom Mais auf das Huhn. „Das Italiener-Huhn beispielsweise gibt es kaum noch, das ist das schöne, bunte Huhn, das die Kinder aus Malbüchern kennen“, sagt Schweisfurth, der auf dem Gut Herrmannsdorf Sulmtaler- Hähne (Österreich) und Les-Bleues-Hennen (Frankreich) zusammenbringt und kreuzt.

„Die legen 180 Eier im Jahr“, erklärt er, „und da arbeite ich als Züchter zwar ebenso daran, dass die Hühner mehr Eier legen. Aber auf natürliche Art und Weise.“ Nicht im Maße einer hochgezüchteten Hybridhenne. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Massentötung der männlichen Küken, da diese keine Eier legen und nicht genügend Fleisch und Fett hergeben, um als Suppenhuhn oder Brathändel zu enden. „Diesem Elend der Industriehühner stellen wir uns entgegen“, sagt Schweisfurth. „Darüber muss auch der Verbraucher besser informiert werden, damit jeder weiß und frei entscheiden kann, was er kauft und isst.“ Neben den Sulmtaler- und Les-Bleues-Hühnern finden auch noch andere alte und vergessene Nutztierrassen auf dem Gut Herrmannsdorf einen angenehmen Lebensraum – wie das Tiroler Grauvieh, die Thüringer Waldziege oder das Schwäbisch-Hällische Landschwein, von dem es vor 20 Jahren nur noch zehn Sauen gab, die auf einem Bauernhof in Schwäbisch Hall lebten. Karl Schweisfurth weiß aber auch: „Es geht nur miteinander. Der Verbraucher muss die Zusammenhänge kennenlernen.“ Erst dann könne sich das Konsumverhalten der Gesellschaft ändern. „Weniger Fleisch, dafür von Tieren, die gut gelebt haben“, meint Schweisfurth. Und er hofft: „Es sollte wieder angesagt sein, mindestens einmal in der Woche einen Veggie-Day zu machen.“ Dann würden die globalen Fleischberge kleiner werden, die Ernährung der Leute bewusster – und dann macht es auch nichts, wenn ein ganz normales Huhn statt 320 nur noch 180 Eier legt.

|||| Veranstaltung: Ökolandbau erleben & verstehen Führung über den Bio-Betrieb Obergrashof in Dachau am 20. Oktober von 10.30 Uhr bis 15 Uhr mit Vortrag „Von grünen Wiesen und glücklichen Kühen“ für Kinder und Erwachsene Eintritt frei (Spenden erbeten)

Text: Sebastian Schulke, Foto 1: PeTA Deutschland e.V. / pixelio.de, Foto 2: Gut Herrmannsdorf

Weiterführende Links:

Der Beginn eines lebenslangen Leidens – Ein Bericht über industrialisiertes Hühnerleid

Legebatterieverbot

Unwort des Jahres : „Hybridhuhn“ tierfeindlichstes Wort 2011

Skandal bei Wiesenhof

Wer ist die PHW-Gruppe

Wer ist die EW Gruppe

Der Lohmann-/Aviagen-Skandal

Was ist Antispeziesismus

Kommentieren