Taktik am Tippin Point

Duerre_Fotolia_3938578_M Kopie_589

Die Munich Re warnt seit fast 40 Jahren vor den Folgen des Klimawandels. Kein Wunder, das Unternehmen versichert seine Kunden auch gegen Naturkatastrophen. Für das Klimaherbst-Magazin besuchten wir Peter Höppe, den Verantwortlichen für die Geo-Risiko-Forschung der Munich Re. Ein Gespräch über globale Risiken, das Leid der Entwicklungsländer und die Chancen der Solarthermie.

Herr Höppe, die Munich Re zeichnet seit Ende der 1970er-Jahre alle Naturkatastrophen auf, mehr als 27 000 Ereignisse sind dokumentiert. Wo und wann passiert die nächste Katastrophe?

Höppe_020 Kopie_589

Höppe: Nur weil wir solche Ereignisse dokumentieren, wissen wir noch lange nicht, was an welchem Ort in der Zukunft passiert. Wir wissen aus den Daten – deshalb zeichnen wir sie auch auf –, was im Mittel zu erwarten ist. Wir sehen, dass es vor 20 Jahren weniger Naturkatastrophen gab als heute. Die Zahl hat sich innerhalb der letzten 30 Jahre verdoppelt. Wir versuchen aus der Vergangenheit und aus Annahmen über die künftigen Entwicklungen das Risiko für die Zukunft zu berechnen. Das ist die Basis jedes Versicherungsgeschäfts. Wir müssen vor allem wissen, welche Schadenserwartung wir für das kommende Jahr haben, weil wir unsere Verträge jährlich erneuern können.

Sie zeichnen die Klimakatastrophen auf, um Ihr Geschäft zu schützen. Als Rückversicherer versichern Sie Versicherungen. Sorgen Sie sich um das Klima, weil ihr Geschäftsmodell in Gefahr ist?

Wir versichern wetterbedingte Naturkatastrophen. Und wenn die „Tipping Points“ dann mal erreicht sind …

… wenn also das Eis in Grönland schmilzt oder der Golfstrom abreißt …

… dann wäre das Risiko nicht mehr berechenbar, und dann wäre es ein Problem für unser Geschäft. Das wird nicht in den nächsten Jahrzehnten passieren, aber vielleicht im zweiten Teil des Jahrhunderts.

Inwiefern ist der Mensch für die steigende Zahl von Katastrophen verantwortlich?

Das herauszufinden, ist ein Ziel unserer Analysen. Es gibt natürliche Klimazyklen mit Phasen von einigen Jahren bis zu einigen Jahrzehnten und langfristig auch einen natürlichen Klimawandel. Im Nordatlantik gibt es zum Beispiel ein länger anhaltendes Phänomen, das dazu führt, dass die Meeresoberflächen mal einige Jahrzehnte lang wärmer sind als im langjährigen Mittel, dann mal wieder einen ähnlichen Zeitraum kälter. Dazu kommt jetzt aber der nahezu lineare Anstieg der Meerestemperaturen durch den Klimawandel. Global sind die wetterbedingten Naturkatastrophen weit stärker angestiegen als die geophysikalischen, wie etwa Erdbeben. Um Beispiele zu nennen: In Baden-Württemberg haben die Hageltage zugenommen, in ganz Deutschland die Starkniederschlagstage. Im Nordatlantik, an den Küsten der USA, in der Karibik und im Golf von Mexiko sind die Hurrikane intensiver und häufiger geworden. Das hat höchstwahrscheinlich auch mit dem CO2-Anstieg zu tun – dafür ist der Mensch verantwortlich. Bei steigendem Lebensstandard steigt der Energieverbrauch, und das ist momentan mit mehr Treibhausgasen verbunden.

Gibt es weitere Gegenden in Deutschland, die besonders gefährdet sind?

Hochwasser_Fotolia_2200850_M Kopie_589

In Deutschland erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen. Da ist vor allem Südwestdeutschland gefährdet, weil es da sowieso schon am wärmsten ist. Von Gewittern und Unwettern ist das ganze Land, von Winterstürmen sind eher küstennahe Gebiete betroffen. Es gibt Hinweise, dass auch Überschwemmungen wie im Mai an der Oder durch den Klimawandel zunehmen werden.

Die USA werden stärker als Deutschland betroffen sein – es wird vor allem mehr Hurrikane geben.

Die Wirtschaftskraft ermöglicht aber eine gute Anpassung. Besonders betroffen sind Menschen in vielen ärmeren Ländern, die sich nicht so gut an die Folgen anpassen können. Daher ist der Klimawandel sehr ungerecht. Vor allem, weil diejenigen, die ihn nicht verursacht  haben, am meisten darunter leiden. Und diejenigen, die ihn verursacht haben, können ihn eigentlich ganz gut managen.

Warum leiden gerade arme Regionen?

In den Entwicklungsländern konnte sich der Wohlstand nicht so entwickeln wie bei uns, weil sie immer wieder durch Dürre und andere Wetterextreme zurückgeworfen werden. Man kann dort gerade noch Landwirtschaft betreiben, das Trinkwasser ist knapp. Wenn sich nur eine Kleinigkeit ändert, sind sie massiv betroffen.

Wenn die Industrieländer dafür verantwortlich sind, müssten sie den Entwicklungsländern eigentlich helfen.

Wir unterstützen das mit unserer Münchener Klimaversicherungsinitiative. Wir haben mit Vertretern der Weltbank, von Nichtregierungsorganisationen und aus der Wissenschaft ein Risiko-Management-system für Entwicklungsländer entwickelt, das wir auf den jüngsten Weltklimatagungen der Vereinten Nationen vorgestellt und mit den Delegierten diskutiert haben. Es geht darum, den Entwicklungsländern durch Prävention und Versicherungslösungen bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Wenn sich eine große Naturkatastrophe ereignet, sollen sie Geld bekommen, um Infrastrukturschäden zu reparieren. Für das gesamte Konzept werden zehn Milliarden Dollar pro Jahr benötigt – das Geld muss von denen kommen, die große Mengen CO2 in die Atmosphäre blasen.

Auf der Klimakonferenz in Kopenhagen konnten sich die Staaten nicht auf gemeinsame Klimaziele einigen. Ihr Konzept klingt nicht sehr realistisch.

Auf der Klimakonferenz in Kopenhagen wurden unsere Vorschläge zwar befürwortet, aber wegen der Uneinigkeit bei den CO2-Reduktionszielen nicht verabschiedet. Einer der wenigen Erfolge war aber, dass die Industrieländer ihre Bereitschaft erklärt haben, 30 Milliarden Dollar für die nächsten drei Jahre für die Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen und dass ab 2020 dann 100 Milliarden Dollar pro Jahr in diesen Topf gegeben werden sollen. Daraus könnte man dann locker die 10 Milliarden für unsere Initiative finanzieren.

Mal ehrlich: Es wird kaum reichen, nur den ärmsten Ländern zu helfen.

CO2 ist das Haupttreibhausgas, es stammt vor allem aus der Energiewirtschaft – aus dem Verbrennen der fossilen Brennstoffe. Der Schlüssel zum Klimaschutz liegt daher in einer Umstellung der Energiererzeugung. Dabei müssen wir einen großen Schritt tun. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr mit der Desertec Stiftung die Desertec Initiative gegründet.

Bei Desertec geht es darum, Strom aus der Sahara nach Europa zu liefern. Sie schreiben, dass die Wüsten der Erde in sechs Stunden so viel Energie von der Sonne bekommen, wie alle Menschen der Erde an einem Tag verbrauchen. Wenn es so einfach ist, wieso macht es keiner?

Die Technologie der solarthermischen Stromerzeugung in der Sahara mit Spiegeln und Kraftwerken gibt es schon länger. Das Problem war die Übertragungstechnologie. Sie muss den Strom möglichst verlustfrei über weite Distanzen transportieren können. In China gibt es schon Leitungen, die die Leistung von fünf Kernkraftwerken über 1400 Kilometer bei einem Verlust von nur fünf Prozent übertragen können. Der Beweis ist erbracht, die Technologie funktioniert.

Aber?

Heute kostet die Kilowattstunde für Strom aus einem solarthermischen Kraftwerk in Südspanien 20 Cent. Die Kosten müssen auf etwa 5 Cent runter, um wettbewerbsfähig zu sein. Auf dem Weg dazu brauchen wir auch die Politik. Sie muss eine Anfangsförderung und internationale Rahmenbedingungen schaffen.

Wann also werden unsere Kaffeemaschinen mit Wüstenstrom betrieben?

Alle werden wohl nie mit Wüstenstrom betrieben, das wollen wir auch gar nicht. Wir haben ja noch andere erneuerbare Energien. Ich denke, dass in 30, 40 Jahren 50 Prozent der Energien aus dezentralen Anlagen kommen werden, und dass ein Teil – 20 bis 30 Prozent – aus der Wüste kommen wird. Diese Kraftwerke können rund um die Uhr laufen, weil die bei der Solarthermie anfallende Wärme gut zu speichern ist, im Gegensatz zur Photovoltaik. Und sie ergänzen sich auch gut mit Windkraftanlagen in der Nordsee, wo im Winter auch mal an mehreren Tage wenig Wind weht. Dafür scheint dann in der Sahara die Sonne.

An welchen Orten auf der Welt könnte die Solarthermie noch zum Einsatz kommen?

Nordafrika ist gut geeignet, Australien wäre es aber noch viel besser. Letztens waren zwei australische Klimatologen bei mir, denen habe ich gesagt: „Fangt doch mal in Australien an!“ Anders als in der Sahara gibt es dort ein einziges politisches System, zudem relativ gesehen zu der geringen Bevölkerungszahl sehr viel Fläche und sehr viel Sonnenschein. Auch geeignet sind Südafrika, die Wüsten auf beiden amerikanischen Kontinenten, auch in Asien würde es funktionieren. Es kann zum globalen Modell werden.

… an dem Sie wiederum verdienen?

Als großer Rückversicherer brauchen wir viel Kapital, um große Risiken versichern zu können . Und das muss gut angelegt sein. Wir sehen immer mehr, dass Investitionen in erneuerbare Energien gute Investitionen sind. In den vergangenen zwei Krisenjahren ist der Strompreis nicht gesunken. Wenn Sie in Photovoltaik mit einer festen Einspeisevergütung investiert hatten, haben Sie einen konstanten Rückfluss der Investitionen.

Glauben Sie, dass die Munich Re Einfluss auf die Klimapolitik nehmen kann, weil sie aus der Wirtschaft kommt? Weil die Politiker bei Ihnen sagen: „Denen geht‘s ums Geld, wenn die was machen, dann muss es relevant sein“?

Ja, wir haben da schon eine ganz besondere Glaubwürdigkeit, wahrscheinlich sogar mehr als die Wissenschaft. Wenn ein großes Wirtschaftsunternehmen bestätigt, was die Wissenschaft sagt, dann wird das von Politikern manchmal noch sehr viel ernster genommen.

Heute arbeitet die Munich Re klimaneutral, sie engagiert sich in der Klimaversicherungsinitiative und bei Desertec. Eigen-PR?

PR ist wirklich nicht das Hauptmotiv. Unser Einsatz ist ein Baustein in der gesamten Klimawandelstrategie. Es geht darum, einen relevanten Beitrag zu leisten und dabei immer glaubwürdig zu sein. Wir können nicht einerseits sagen, der Klimawandel ist schlimm und das größte Problem, das die Menschheit in diesem Jahrhundert hat, und dann selbst bedenkenlos CO2 in die Luft pusten.

Sie sind Wissenschaftler, sammeln Daten, denken in Jahren. Gleichzeitig hängen im Flur Fotos von menschlichem Leid. Berührt Sie diese menschliche Seite noch?

Natürlich, wir sind ja nicht nur Versicherer, sondern auch Menschen, hauptsächlich sogar. Wir geben unser Menschsein nicht am Eingang zum Büro ab.

DER VERSICHERUNGSRIESE

Die Munich Re, früher Münchner Rück, ist die größte Rückversicherungsgesellschaft der Welt. Sie sichert 5000 Versicherungen in 150 Ländern gegen Ausfallrisiken durch Großschäden und sonstige Schadenslasten ab. Weitere Geschäftsfelder sind die Erstversicherung (ERGO Versicherungsgruppe) und die Verwaltung von Anlagegütern (MEAG). Die 1880 gegründete Aktiengesellschaft beschäftigt weltweit 47 200 Menschen. Größter Einzelaktionär: US-Investor Warren Buffett. Gewinn 2009: 2,56 Milliarden Euro, bei einem Umsatz von 41,4 Milliarden Euro.

INTERVIEW: PETER SEIFFERT, VERONICA FRENZEL

Kommentieren