Sandro Langholz hat vor eineinhalb Jahren eine ganz besondere Reise angetreten: Nur mit einem Handwagen hat er sich zu Fuß aufgemacht, Selbstversorger- und Gemeinschaftsprojekte auf dem Land zu suchen. Im Interview spricht er über das „gute Leben“ und ob er es gefunden hat.
Grün&Gloria: Du bist vor 1,5 Jahren zu Fuß losgezogen, um Selbstversorger- und Gemeinschaftsprojekte zu besuchen. Wie kam es zu dieser Idee?
Sandro Langholz: Ja, da sind einige Dinge zusammengekommen. Zum einen wollte ich nach meinem Studium in München nicht in diesem „normalen“ Stadtleben bleiben, also mit hohen Miet- und Lebenshaltungskosten, dem dementsprechenden Zwang zu relativ viel Lohnarbeit, dem vielen Lärm, den Abgasen, dem Stress der Stadt… Ich wollte stattdessen näher an der Natur und in einem ruhigeren Umfeld leben, in dem ich auch sehr viel leichter ein materiell genügsames Leben führen kann. Genügsamkeit ist mir einerseits aus einer relativ egoistischen Motivation heraus wichtig, also dass ich durch weniger Konsum und einen einfacheren Lebensstil auch weniger Einkommen brauche, was wiederum bedeutet, dass ich mehr Freiheiten habe, ohne Druck Dinge tun zu können, die ich liebe. Außerdem finde ich es auch ein sehr schönes Gefühl, durch ein genügsameres Leben sehr viel weniger ökologische Schäden und Leid zu verursachen. Und wenn ich dann gleichzeitig noch ein freieres und zufriedeneres Leben führen kann, fühlt sich das sehr gut an.
Wo warst du überall unterwegs?
Ich bin von München aus zu Fuß losgelaufen Richtung Osten, weil ich irgendwie so ein Bauchgefühl Richtung Österreich hatte. Ich habe mir vor der Reise ein paar interessante Projekte rausgesucht und dann habe ich unterwegs auch immer wieder von weiteren spannenden Orten und Projekten erfahren und so hat sich dann ein Weg ergeben, der mich durch Bayern, Oberösterreich, über Linz bis ins Waldviertel im Norden Österreichs geführt hat.
Nachdem ich dann dort mehrere Monate bei einer Gemeinschaft mitgelebt und -gearbeitet habe und sich aber einige sehr intensive und für mich auch schmerzhafte zwischenmenschliche Turbulenzen entwickelt hatten, brauchte ich Abstand. Weil es aber Winter war und ich nicht einfach mit meinem Handwagen und Zelt weiterziehen wollte, bin ich seitdem auch immer wieder mit dem Zug unterwegs zu Projekten in ganz Österreich und Bayern.
Was genau hast du eigentlich gesucht?
Meine Vorstellung, von dem was ich suche, hat sich eigentlich erst im Laufe der Reise wirklich konkretisiert. Ich weiß jetzt zum Beispiel, wie viel Nähe und Distanz ich zu einer Gemeinschaft brauche und wie ich leben und arbeiten will. Für mich ist zum Beispiel körperliche Arbeit ein wichtiger Bestandteil, weil es ein wahnsinnig toller und gleichzeitig auch noch sinnvoller Ausgleich ist zu Computer- und Kopfarbeit und mich wieder wirklich verbindet mit meinem Körper und meinem Umfeld.
Was willst du mit deinem Projekt bezwecken?
Also zuerst mal natürlich die Suche für mich nach einem zufriedenen Leben, bei dem ich gleichzeitig das Gefühl habe, dass ich die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen meines Handelns und Konsumierens sehr klein halten kann. Und dann fände ich es natürlich auch sehr schön, wenn ich durch die unter anderem filmische Dokumentation meiner Reise zum Diskurs über die notwendigen alternativen Wege beitragen kann.
Welches Selbstversorger- und Gemeinschaftsprojekt hat dich am meisten beeindruckt? Erzähle uns kurz davon.
Am meisten beeindruckt haben mich die Langerhorsts, eine Familie mit landwirtschaftlichem Betrieb, die vor über 40 Jahren angefangen haben mit bio-veganer Mischkultur ohne Maschineneinsatz zu experimentieren und mittlerweile sehr, sehr viel Wissen in dieser Form der Landwirtschaft angesammelt haben. Zum einen fand ich es schonmal spannend, dass sie ohne Hilfe von Maschinen und ohne Tierhaltung eine so wahnsinnig schöne und fruchtbare Form der Landwirtschaft entwickelt haben und vor allem hat mich aber der sehr simple Lebensstil bei gleichzeitig großer Zufriedenheit und Vertrauen ins Leben sehr beeindruckt.
Wie ist es dir selbst bei deiner Reise gegangen?
Am Anfang war es ein wahnsinnig schönes Freiheitsgefühl, so einfach mit allen Sachen, die ich brauchte, unterwegs zu sein und dahin gehen zu können, wo es mich hinzog. Mittlerweile habe ich natürlich auch die Schattenseiten kennengelernt, also dass es teilweise auch sehr schmerzhaft sein kann, kein soziales Umfeld um sich zu haben, das einen auffängt, wenn man schwierige Phasen durchlebt. Wobei ich auch daran gewachsen bin und jetzt weiß, dass ich auch solche Situationen meistern kann.
Drei Schlagwörter: Was macht für dich ein „gutes Leben“ aus?
Bewusstes Sein, Integrität, Zufriedenheit.
Achtung Spoiler Alert! Hast du dieses „gute Leben“ auf deiner Reise gefunden?
Noch nicht komplett, aber ich denke ich komme ihm immer näher!
Wie bewertest du das Stadtleben jetzt nach deiner Reise?
Das Stadtleben war für mich vielleicht ganz gut für die Phase meines Studiums, um mich ein bisschen ausleben zu können und um die Vielfalt der Stadt kennenzulernen. Aber seitdem ich das Leben am Land kennen und lieben gelernt habe, bin ich eher ungern in großen Städten. Da kann man auch nicht einfach mal in den Garten gehen zum Holzhacken oder mit der Sense mähen, da merk ich dann teilweise schon wie wertvoll solche Sachen mittlerweile für mich geworden sind.
Als ehemaliger Student in München – welche Schritte könnte München in Richtung nachhaltigeres Stadtleben und gemeinschaftlicheres Miteinander tun?
Werbung ist ein Thema, über das ich oft nachdenke. Werbung verbieten oder zumindest sehr viel mehr Beschränkungen setzen, finde ich einen sehr wichtigen Ansatz. Wenn ich von super raffinierten Werbeagenturen andauernd mit unterschwellig manipulativen Werbebotschaften und Bildern bombardiert werde, verliere ich einerseits das Gespür für meine wirklichen Bedürfnisse und außerdem auch für die teilweise katastrophalen Auswirkungen unseres Konsumverhaltens. Wenn wir das nicht bald ändern, werden wir auf anderen Wegen die entsprechenden Rückmeldungen bekommen.
Ein weiterer Punkt ist natürlich das Wachstumsstreben oder generell das Streben in jedem Einzelnen nach immer mehr, dass man nie zufrieden ist mit dem, was man hat. Hier ist schon langsam eine Kultur im Entstehen und Heranwachsen, die wieder mehr Wert legt auf Teilen, auf das Miteinander, auf genügsamere Lebensstile. Diese Initiativen zu unterstützen, würde ich mir wünschen von einer Stadt wie München und auch von jedem Einzelnen.
Info: Wer Sandro bei seinem Projekt unterstützen möchte, kann sich hier finanziell an der Fertigstellung seines Films über die Reise beteiligen.
Wow was für eine schöne, mutige Idee. Gratuliere Sandro nicht nur zum Mut für diesen aussergewöhnlichen Schritt, sondern auch zu seinen wohltuenden, inspirierenden Antworten. Ich hoffe sehr, dass seine Art zu Leben viele Nachahmer findet. Es würde den Fussabdruck zum Wohle unseres einzigartigen, blauen Planeten Erde nachhaltig verändern. Vielleicht treffen wir uns unterwegs. Nach einer Pilgerreise zur Weltklimakonferenz nach Paris letzten Oktober-November sind meine Frau Gabriele, nach Auflösung der Wohnung, nur noch je mit Rucksack unterwegs. 2 Menschen, 2 Rucksäcke, bereit zu Gesprächen mit Gastgebern jeder Art auf unserem Weg. Themen Suffizienz, Grundeinkommen, Umwelt, Gesundheit, Migration, Politik und Wirtschaft. Sandro Du bist ein wunderbares Beispiel von „Walk your talk“! Bis bald, irgendwo unterwegs….