Hinterhoftomaten sind keine Mauerblümchen

Urban_Gradening

Wir leben im Schlaraffenland. In den Supermärkten wartet Obst und Gemüse chemisch gespritzt und glänzend poliert in den Regalen. Erdbeeren im Winter? Kein Problem. Äpfel aus Neuseeland? Man muss nur zugreifen. Die Absurdität des (Über)Angebots ist Alltag. Doch immer mehr Menschen drehen der bunten Warenwelt den Rücken zu und setzen auf Früchte der Marke Eigenbau – auch in der Stadt. Gärtnern ist in. Das gibt es jetzt auch schwarz auf weiß. Gerade ist das Buch „Urban Gardening – Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt“ im oekom Verlag erschienen.

Aber halt! Wer hinter dem Titel einen Ratgeber in die Richtung „Stadtkarotten anbauen, aber richtig“ vermutet, liegt falsch. „Urban Gardening“ ist ein Sammelband wissenschaftlicher Beiträge, die das begrünende Phänomen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten. Die Herausgeberin Christa Müller lässt rund 25 Autoren und Autorinnen in ihrem Buch zu Wort kommen: von Soziologen über Agrarwissenschaftler, Gartenaktivisten, Philosophen und Landschaftsarchitekten bis zu Zukunftsforschern.

Urban Gardening im Spiegel der Wissenschaft

Die Kultursoziologin Karin Werner erkennt in den Gemeinschaftsgärten „Orte des Widerstands gegen die neoliberale Ordnung“. Das kollektive Schaffen erhebe sich über den Individualismus und verwandle die Gärten in Räume gemeinschaftlichen Handelns. Für Werner ist die Ästhetik der Gärten, deren improvisierter und verspielter Charakter, eine Absage an vorherrschende Perfektheits-Prinzipien. Gartenzwerge haben Zutrittsverbot.

Der Ökonom Niko Paech geht in seinen Überlegungen von der schlichten aber folgenreichen Erkenntnis aus, dass auf einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum möglich ist. Die Verknappung fossiler Brennstoffe sei vorhersehbar. Im Kontext dieser Entwicklungen sieht der Wissenschaftler die Etablierung „neuer Formen der Subsistenz“ als zwingend. Er plädiert für eine Neubewertung der Relation von Fremd- und Eigenversorgung.

Ist Urban Gardening also wirklich mehr als nur ein Öko-Trend? Ist die Wiederentdeckung des Gärtnern vielleicht vielmehr eine lebenswichtige Maßnahme? In ihrem Beitrag will Silke Borgstedt die Motivation der Urban-Gardening-Bewegten mit Hilfe der Erkenntnisse empirischer Trendforschung beleuchten. Die Wissenschaftlerin erläutert, was hinter dem erwachten Interesse der Menschen am Blumenzwiebelnpflanzen und Unkrautjäten steckt und welche mehr oder weniger bewussten Motive die Gärtner vorantreiben.

Spannend zu lesen sind die Visionen der beiden Londoner Architekten Katrin Bohn und André Viljoen. Geht es nach ihnen, verwandeln sich die Städte der Zukunft in „zusammenhängende Produktive Stadtlandschaften“: Hier gibt es viel Platz für urbane Landwirtschaft, natürliche Lebensräume, ökologische Korridore und Fuß und Radlwegnetz. Einfach „wie ein Venedig, in dem die Kanäle Felder sind“.

Zurück zur Natur

Nur etwa jeder fünfte Deutsche lebt auf dem Land. Der Rest kann von Blumenwiesen und Gemüsegärten nur träumen. Magazine wie „LandLust“, „Liebes Land“ oder „Heimat“ verkaufen sich blendend, der Büchermarkt startete gerade eine Großoffensive mit klingenden Titeln wie „Schöner Mist – Mein Leben als Landei“ oder „Landleben – Von einer die raus zog“. Das Verlangen nach Natur ist allgegenwärtig. Vor diesem Hintergrund scheint das gemeinsame Bewirtschaften von Gärten in der Stadt vielmehr eine logische Konsequenz, geboren aus der Sehnsucht des Menschen wieder zum eigenen Ursprung zu finden.

Unser Fazit: Das Buch zeichnet ein holistisches Bild der Bedeutung der Gärten für die Stadt, und der Menschen, die in ihr gärtnern. Nicht nur für die Stadtgärtner ein interessantes Buch, sondern für jeden, der gerne in neue gesellschaftliche Bewegungen eintaucht und sich nicht von zuweilen sehr wissenschaftlicher Schreibe abschrecken lässt.

Tipp: Einen Blog zum Buch gibt es auf www.urban-gardening.eu

CoverChrista Müller (Hg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt (oekom Verlag 2011, 19.95 €)

Bild:©mobstr. (flickr.com)

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