Kann Klimaschutz als Entwicklungshilfe, Gerechtigkeits- und Friedenspolitik funktionieren? Nach dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie sogar ganz bestimmt. Er ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und bezeichnet sich als alt 68er. Seit 2008 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und setzt den Klimaschutz in den politischen Rahmen, wie er betrachtet werden sollte: nicht nur global oder lokal, sondern glokal. Weil das Klimaproblem eben keinen Halt vor Nationalgrenzen macht.
Zum Auftakt des Klimaherbstes in München haben wir uns mit ihm getroffen und mit ihm über das große Ganze, aber auch das ganz Alltägliche gesprochen.
- Herr Leggewie, was ist Klimaschutz heute?
Klimaschutz und Nachhaltigkeitspolitik sind heute Gegenentwürfe zum rechterhand prophezeiten Untergang des Abendlandes und die beste Antwort auf die Frage, ob Europa seine Chance verspielt hat. Wir brauchen eine neue Geschichte für Europa und Deutschland, gerade weil man sich hierzulande in Untergangsszenarien suhlt. Die Lösung ist ein Klimaschutz, mit dem eine Verbesserung der Demokratie und soziale Gerechtigkeit einhergehen, und zwar im Zusammenwirken der vielen lokalen Initiativen mit globalen Akteuren wie UIN und G20. Denn sollte der Klimawandel uneingeschränkt fortschreiten, sind Bürgerkriege und Klimaflüchtlinge vorprogrammiert. Wir brauchen hierzulande mehr „Könnensbewusstsein“, das war und ist das Lebenselixier der Demokratie. Wenn nicht hier, wo dann? Ein so reiches und wohlhabendes Land wie Deutschland sollte endlich aufhören sich in Selbstmitleid zu baden.
- 2009 haben Sie mit Harald Welzer das Buch „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten: Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie“ geschrieben. Hatten Sie damals schon das Gefühl, dass zu wenig für die Demokratie getan wird?
Wir wollen nicht als Moralprediger wahrgenommen werden, sondern stellen anheim. Das heißt, wir weisen auf Missstände hin und geben Anregungen. Wir wollten keine Schauergeschichten oder apokalyptische Prophezeiungen verfassen, nach fem Motto: Zukunft als Katastrophe, sondern die Frage aufwerfen, ob die Welt in der wir leben tatsächlich die denkbar beste ist. Das heißt: nicht nur wegen dem Klimawandel wollen sich mehr und mehr Menschen weltweit anders ernähren, anders bewegen und wohnen. Weniger ist weniger, aber anders und besser. Was die Demokratie betrifft, die von rechts unter Druck steht:Vielen Menschen fällt gerade auf, dass man sich für die Freiheit, für Europa und auch für die Demokratie in Deutschland etwas mehr einsetzten muss als vielleicht online ein paar Petitionen anzuklicken oder einen Oberbürgemeister anzumeckern. Vielen wird bewusst, dass viel auf dem Spiel steht.
- Auch der jüngeren Generation?
Ich war nie der Auffassung, dass junge Leute durchwegs desinteressiert sind am politischen Geschehen. Andererseits habe ich das Gefühl, dass die junge Generation mehr tun kann. Ich mache zum Beispiel bei der Kölner Initiative „Arsch huh und Zäng ussenander! (zu deutsch: Arsch hoch und Zähne auseinander) mit, gegen Rassismus und Neonazis, das könnte auch das Motto für die Klimarevolution sein. Neue Medien können dazu viel beitragen, wenn endlich vernünftige Formate jenseits von Facebook und Twitter genutzt werden. Es nützt nichts, wenn Internetnutzer in ihren Blasen mit nur Gleichgesinnten diskutieren. Die Auseinandersetzung, der Diskurs muss im echten Leben stattfinden.
- Momentan herrscht ja eher eine Politikverdrossenheit. Menschen wählen aus Trotz zur etablierten Politik die Alternative für Deutschland. Haben Sie eine Idee, wie sich das wieder ändern lässt?
Die AfD liegt in Umfragen bei 15 Prozent, das heißt 85 Prozent denken anders und unter den Nicht-Wählern ist auch ein Potenzial, das nicht AfD-lastig ist. Die „Alternative für Deutschland“ ist mehr konstruktive Bürgerbeteiligung. Mit Patrizia Nanz habe ich eine „Konsultative“ als vierte Gewalt, als eine Art „außerparlamentarische Proposition“ vorgeschlagen. Ansätze gibt es dazu. Fahren Sie nach Weyarn, dort gibt es eine Art Zukunftsrat. Die Gemeindesatzung sieht vor, dass sich die Bürger in Form diesen Rates über die Angelegenheiten der Gemeinde Gedanken machen. Das könnte genau so im Hasenbergl hier in München stattfinden. Das heißt, man versucht auf Quartiers-, Stadtteil- und Nachbarschaftsebene eine politische Debatte herzustellen. Das wäre für die Parteien, die es auch hier in München und gerade bei den jüngeren Leuten schwer haben, eine Art Frischebad. Um wieder in Kontakt zu kommen mit dem Bürger und der Bürgerin und andererseits deren Wissenspotenzial zu nutzen und zu stärken. Solche Zukunftsräte könnten im Staat, also auch auf Landes- und Bundesebene, eine vierte Gewalt werden und die Politik beraten. In unserer postfaktischen, meistens von (Angst-)Stimmungen beherrschten Zeit, kann dann auch Politik wieder Spaß machen.
- Könnte mehr direkte Demokratie dazu beitragen?
Nur von Fall zu Fall mit klar präzisierten Agenden. Sonst kommt es zur einer Tyrannei der uninformierten Mehrheit, wenn die Bevölkerung über etwas abstimmen soll, worin sie sich nicht wirklich auskennt und populistische Unternehmer diese Direktdemokratie missbrauchen, wie es sich gerade in der Schweiz oder Kalifornien abzeichnet. Prinzipiell finde ich es gut, dass es Bürgerentscheide gibt, allerdings will ich davor und danach mehr konsultative Einrichtungen, wie die erwähnten Zukunftsräte, stärken. Dort wird das Pro und Contra tiefgreifender durchdacht.
- Was sagen Sie zu Menschen, die behaupten sie können eh nichts ausrichten in Sachen Klimawandel?
Es ist einfach, den Chinesen und den Indern, also den Schwergewichten der weltweiten Emission, die Schuld in die Schuhe zuschieben. Die Ausrede, dass die Welt zu komplex geworden sei um selbst gegen den Klimawandel zu engagieren ist schlichtweg eine faule Ausrede. Die lasse ich nicht gelten. All jene, die der Klimawandel nicht interessiert, rate ich nur einmal die Klimaprognosen vom Potsdamer Institut für Klimaforschung für München im Jahr 2030 anzusehen. Das wird auch in München nicht schön, wenn die Münchner nicht gegensteuern. Ich bin heute mit einem Taxi vom Hauptbahnhof in die Muffathalle gefahren, weil ich dachte, es würde schneller gehen. Ich habe eine glatte dreiviertel Stunde gebraucht. Das ist der normale Feierabendverkehr an einem Dienstag in München. Das macht doch niemandem Spaß, oder?
Herr Prof. Leggewie, vielen Dank für das Interview!
Bilder: ©Ingo Weichselbaumer, yes2/2016
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