Wo sollen die Milliarden für die neue S-Bahn-Stammstrecke her kommen?

Tunnelkritiker arbeiten vorsorglich bereits an einem „Plan B“

Verdächtig still geworden ist es um den beschlossenen zweiten S-Bahn-Stammstreckentunnel von Laim über den Marienhof und den Ostbahnhof bis zum Leuchtenbergring. Kein Wunder, sagen die Kritiker dieses Projekts; von Anfang an sei es naiv gewesen anzunehmen, dass das Projekt finanzierbar gewesen wäre. Um es zu stemmen, hätten außerdem praktisch alle anderen Verkehrsinfrastrukturprojekte in Bayern zurückstehen müssen. Auch wenn das Projekt an seinen exorbitanten Kosten scheitern sollte, braucht die Region München und braucht die Stadt aber mehr Schub für den öffentlichen Verkehr. Rechnet man außerdem den Preisanstieg für Benzin der letzten Jahre für ein Jahrzehnt linear hoch, dürften sehr viele Autofahrer schon aus Kostengründen mittelfristig auf Bahnen umsteigen. Nötig, sagen die Kritiker, ist daher eine abgestimmte Alternative zum zweiten Tunnel, ist ein „Plan B“.

Zahlreiche Elemente einer solchen Alternativplanung gibt es bereits. Aber noch sind nicht alle diese Elemente passgenau aneinander gefügt. So ist nach wie vor strittig, ob U-Bahn-Verlängerungen nach Pasing und nach Englschalking erforderlich sind, wenn man bedenkt, dass München die Erschließung des auf 20.000 Einwohner geplanten Stadtteils Freiham mit Trambahnen bewältigen will. Auch ob für einen S-Bahn-Südring ein Stufenkonzept zweckmäßig ist, das zunächst von einer teilweise wie bisher nur zweispurigen Streckenführung ausgeht, ist noch nicht ausdiskutiert. Ein kompletter vierspuriger Neubau, den die Bahn hatte durchrechnen lassen, wäre genau so utopisch teuer wie der zweite Stammstreckentunnel. Er ist aber, wie Fachleute sagen, zunächst durchaus nicht nötig, um das Südring-Konzept in Gang zu bringen.

Ein „Plan B“, von den Landtags-Grünen spätestens für Sommer 2011 gefordert, muss, wie sich in einer Aussprache des Forums-Arbeitskreises Schienenverkehr am 10. November zeigte, abgestimmte Antworten auf eine ganze Reihe von Fragen erlauben:

  • Wie sollen die vorhersehbar weiter wachsenden Pendlerströme aus dem Umland so in die Stadt gebracht werden, dass sich immer mehr Autofahrer entschließen, die Bahn zu benutzen?
  • Wie lassen sich die Äste des S-Bahn-Systems auf dem Stadtgebiert so miteinander verknüpfen, dass nicht fast jede Fahrt automatisch über den Hauptbahnhof oder den Marienplatz führen muss, wo und wie sollten also Tangentialverbindungen verlaufen, die die Stadtviertel wo sinnvoll auch außerhalb des Mittleren Rings miteinander verbinden?
  • Welche Linienführung unterstützt am besten eine polyzentrische Stadtstruktur, eine Stadtplanung also, die auf die Entwicklung mehrerer zentraler Bereiche setzt, nicht nur der Altstadt?
  • Wo müssen künftige Verkehrslinien verlaufen, um dem absehbaren Wachstum der Stadt mit immer neuen Wohnungen für immer mehr Bürger bestmöglich zu entsprechen? Wo sollte entlang bestehender oder kommender Linien und rund um deren Bahnhöfe mehr Baurecht ausgewiesen werden, damit sich die dortigen Haltestellen auch lohnen?
  • Wie ist der Güterverkehr zu organisieren, und zwar sowohl der überregionale (zwei Drittel des Güterfernverkehrs, der derzeit aus Süden durch München rollt, hat mit München gar nichts zu tun und belastet die Stadtstrecken nur deshalb, weil ein „By-pass“ fehlt, also eine Umgehung) als auch der regionale (das Thema City-Logistik dümpelt noch immer vor sich hin)?
  • Die Verknüpfungen des öffentlichen zum motorisierten und zum nicht motorisierten Verkehr müssen systematisch untersucht und entwickelt werden. Es gibt zwar einen Entwicklungsplan für den Radverkehr, aber keinen für Fußgänger, nicht einmal im Umkreis größerer Bahnhöfe.

Kritiker der Stammstreckentunnelplanung verweisen darauf, dass sich mit einem „Plan B“ schrittweise nicht nur die Ziele finanzieren lassen, die auch die Tunnelplanung verfolgt, sondern auch die, die ungelöst bleiben, etwa den Zehn-Minuten-Takt auf allen S-Bahnen. Sie wollen diesen Plan B in den kommenden Monaten weiter strukturieren und öffentlich machen.

Ein Beitrag unseres Medienpartners Münchner Forum.

Foto: Melani Schaller / pixelio.de

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