Wünsche an den neuen Stadtteil Freiham

Überlegungen zu den Wettbewerbsergebnissen Freiham

Die Wettbewerbe gingen über Flächen in Freiham an der Bodenseestraße O/W und entlang der bisherigen Stadtgrenze Neuaubing auf der Höhe der neuen S-Bahn-station N/S. Der Wettbewerbsumgriff hat im Bereich des Bahnhofs eine Planüber-schneidung. Die unterschiedlichen Stadtvorstellungen der beiden prämierten Architekten sollen vom Planungsreferat zu einem Ganzen gefügt werden. Der AK Stadt: Gestalt und Lebensraum des Forums hat sich im Vorfeld der Planung intensiv mit den Planungszielen auseinandergesetzt. So in „Geplant, gestaltet, erlebbar – Leitsätze des Münchner Forums zur Münchner Stadtentwicklung“ 2006 und „Forderungen an die Planung von Freiham für den Auslobungstext der Wettbewerbe“ 2009.

Dabei spielt der urbane Stadt-Raum eine entscheidende Rolle. Hier soll keine Schlafstadt nach dem Vorbild der Charta von Athen entstehen. Durchmischung von Wohnen und Arbeiten soll ebenso selbstverständlich sein wie die Möglichkeit, den täglichen Bedarf in kleineren Läden einzukaufen. Es sollte auch kein Stadtviertel entstehen, das sich von Neuaubing absetzt. Im Gegenteil: Es sollten nicht nur die Straßen und Wegeverbindungen aufgenommen werden, sondern die Zusammenfügung von Alt und Neu das „Fremdeln“ von vornherein vermeiden. Ganz besonders wichtig aber ist die Forderung nach Beteiligung der neuen Anwohner an ihrem Haus und ihrer Straße, ihrem Viertel. Das erfordert besondere Genossenschaftsformen, Hausherrenmodelle und lebendige Wohn- und Beteiligungsformen beim öffentlich geförderten Wohnungsbau.

Auf diese Erwartungen gehen die beiden Preisträger ganz unterschiedlich ein. Die Arbeit der Architekten West 8 urban design & landscape architecture, Rotterdam in Nord-/Süd-Richtung bricht am eindrücklichsten mit dem starren Muster der Charta-Ideologie. Hier wird die Kreativität und Nutzungsvielfalt in den Mittelpunkt gestellt. Beteiligung scheint hier der Kerngedanke. Daher hat der Preisträger auch, das Preisgericht unterstreicht das, Regeln vorgeschlagen, damit der öffentliche Raum dabei nicht unter die Räder gerät.

Vorsicht ist beim Überhandnehmen der unguten halböffentlichen Bereiche geboten, sind sie doch nicht privat nutzbar und der Öffentlichkeit trotzdem entzogen. München hat mit der Staffelbauordnung, dem Regelwerk Theodor Fischers, gute Erfahrungen gemacht. Die Stadt könnte mit diesem Entwurf wieder den Bauherrn, die Bauherrengemeinschaft und die genossenschaftliche Zweckgemeinschaft als lang vermisstes Kreativitätspotential nutzen. Allerdings sollten hierfür auch die Grundbedingungen geschaffen werden: Grundstücksvergabe, Preis, Genehmigungspraxis. Leider wird in diesem Entwurf die Zäsur zu Neuaubing zu sehr betont. Aber das ließe sich bei der Überarbeitung richten.

Weniger verständlich ist das übergeordnete Grünkonzept. Hier spielt das Ziel der Fußgänger und Radfahrer vor der Stadt, das nahe Gut Freiham, keine Bezugsrolle und daher auch keine im Städtebau, schade. Das war im überholten Wettbewerb Petzold/Hansjakob zu recht anders. Bedeutet das etwa, dass dieses Gut auch keine Rolle mehr spielen soll als Landwirtschaftsfläche und eventuell sich sogar zu einer Gewerbefläche entwickeln darf?

Auffällig ist die Verkehrsbehandlung. Im Entwurf wird deutlich, dass dem Verkehr eine dienende Rolle zugedacht ist, nur so kann man dessen schädlichen Einfluss auf die Freiflächen reduzieren: z.B. statt Schallschutz Tempo 30, Wohnen ohne Auto, Carsharing, etc.

Die Handschrift des Entwurfs von Ortner & Ortner Baukunst Berlin ist noch ganz gefangen im großmaßstäblichen Investoren-Siedlungsbau der vergangenen Jahre. Hier muss die Qualität einer lebendigen Vielfalt durch exzellente Architektur ersetzt werden. Das bleibt ein Wagnis, das in München meist ins Mittelmaß führte. Die Vorgabe, einen urbanen Raum im Vorfeld der S-Bahn zu schaffen, ist mit der problematischen Vorgabe der durchgehenden Bodenseestraße wohl gelungen. Dabei hilft, dass das Einkaufszentrum nicht alle Bedürfnisse deckt. Die kleineren Geschäfte werden sich nach Norden entwickeln dürfen. Der Gedanke eines Schulcampus für Grund-, Realschule und Gymnasium unterläuft die Hoffnung auf Belebung des Zentrums durch das Schulvolk.

Zwischen diesen Einrichtungen und dem Stadtplatz schiebt sich ein Riegel, der die Separierung noch betont. Die Volkshochschule in den Schulgebäuden unterzubringen, wird wie in Riem und in Pasing nicht funktionieren, da Kinderbelange immer vor denen der Erwachsenen rangieren, ist aber auch unverständlich, weil es dem öffentlichen Raum weitere Belebung entzieht. Daher gehört sie an den Platz. Ganz unangenehm ist das nördliche Wohnband. Hier mischt sich öffentlicher und halböffentlicher Raum wie in vielen nichtfunktionierenden Siedlungen, die nur von Streetworkern friedlich gehalten werden können.

Insgesamt bedarf es großer Anstrengungen, die beiden preisgekrönten Arbeiten in eins zu bringen.

Wolfgang Czisch, AK Stadt: Gestalt und Lebensraum

Foto: W. Czisch

Ein Beitrag unseres Medienpartners Münchner Forum.

1 Kommentar zu “Wünsche an den neuen Stadtteil Freiham”

  1. Ich war am vergangenen Sonntag wieder einmal draußen in Freiham zum Schauen und Photographieren. Derzeit bestimmen ja noch die großen und kleinen Betonfertigbau-Schachteln im Gewerbegebiet Freiham-Süd und der Geothermie-Turm die Landschafts-Perspektive – und die Verkehrs-Trasse Bodenseestraße + S-Bahn.
    Hier hätte beim städtebaulichen Wettbewerb die Grundforderung lauten müssen:
    Komplett hinunter mit Straße und Gleisen in den Untergrund und oben das ungestörte Ortszentrum Freiham.
    Wenn nun in der weiteren Entwicklung des Freihamer Quartiers-Flügel Süd und Nord das MÜNCHNER FORUM und möglichst viele interessierte BügerInnen hier sehr genau hinschauen und auch vernehmbar einfordern, dass
    A) die derzeit bestehenden guten Planungs-Vorsätze im Laufe der Zeit auch erhalten bleiben und tatsächlich wirksam umgesetzt werden
    und dass dann auch
    B) die vorhandenen Planungsfehler noch rechtzeitig gegen bessere Lösungen ausgetauscht werden können,
    dann wird das vielleicht noch ein Stadtquartier mit einer guten Zukunft.

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